Die nahen Gipfel, das Eisstockschießen und heiße Maroni: Warum München im Winter besonders guttut.
Man muss es mal wieder lobend erwähnen: München ist eine Stadt, bei der im Winterhalbjahr zumindest ein paar Tage lang auch wirklich Winter herrscht. Das sind Tage, an denen man morgens aus dem Fenster schaut und statt des altvertrauten Stadtanblicks ein mittleres Postkartenidyll geboten bekommt: mit Schnee auf den Hausdächern und Parkbänken, mit Eiszapfen an Dachrinne und Friedensengel und einem insgesamt friedlichen Erscheinungsbild – gestört nur vom Kratzgeräusch an den Autoscheiben.
Und wenn alle paar Jahre mal wieder viel Schnee in die Stadt fällt und die Nächte kalt bleiben, wird München sogar regelrecht zum Winterwonderland – mit den breiten Gehwegen als Langlaufloipen, mit Kindern, die auf dem Schlitten zur Kita gebracht werden, mit ersten Skiversuchen am Olympiaberg und natürlich dem Nymphenburger Kanal als münchnerischstem aller Wintertreffpunkte: zum Eisstockschießen!
Die Kunde, dass das königliche Eis vor dem Schloss endlich trägt, verbreitet sich jedenfalls auch ohne Social Media immer rasend schnell in der Stadt. Über Nacht verwandelt sich der sonst so ruhige Karpfenhighway im Westen dann in ein fröhliches Brueghel-Gemälde inklusive Glühweinbuden und Schaulustigen am Rand. Für frisch Zugezogene dürfte der Anblick leicht verstörend sein und Fragen aufwerfen: Woher kommen all diese Menschen mit ihren doppelt dicken Lammfelljacken auf einmal? Wo sind diese dampfenden Altherrenrunden sonst stationiert, die so leidenschaftlich den Spielverlauf auf ihrer Eisstockbahn diskutieren, als wären sie jeden Tag hier?
Oft werden Weihnachtsmarktvorlieben auch in der Familie weitervererbt, so ähnlich wie sommers die bevorzugten Biergärten.
Aber das ist eben eine liebenswerte Münchner Eigenheit – das Lauern aufs Nymphenburger Eis und der sofortige Vollzug, sobald es so weit ist. Und wer dem Stockschieben nichts abgewinnen kann, der bringt eben die Schlittschuhe mit. Ein echtes Münchner Kellerabteil oder Dachboden sieht jedenfalls typischerweise so aus: ein antiker, hölzerner Eisstock gleich neben abgewetzten Eishockeyschlägern, einem alten Schlitten mit Kinderaufsatz, ausgelatschten Moonboots und einem plastösen Zipfelbob jüngeren Datums.
Nicht ganz so einheitlich wie zum Kanal pilgern die Münchnerinnen und Münchner zu den Weihnachtsmärkten, da haben alle einen Favoriten. Oft werden Weihnachtsmarktvorlieben auch in der Familie weitervererbt, so ähnlich wie sommers die bevorzugten Biergärten. Regel: Wo man als Kind die eindrucksvollste Kollision mit dem Nikolaus hatte, geht man zeitlebens immer wieder vorbei – zum Krippenfigurenschauen und Eine-Tüte-Maroni-Kaufen, als Handwärmer in der Manteltasche.
Ähnlich wie im Biergarten herrscht auf den Münchner Weihnachtsmärkten auch eine ganz eigene Zeitrechnung. Da kann es passieren, dass man nachmittags nur schnell aus dem Büro auf einen Punsch zum Sendlinger Tor geht und sich spätnachts an der Münchner Freiheit wiederfindet – mit drei teuren Pfandtassen im Arm und verschiedenen Senfflecken am Schal. Oha!
Vorboten jedes Münchner Winters sind natürlich die nahen Gipfel, die irgendwann über Nacht in ihr Brautkleid schlüpfen und es dann bis in den Mai nicht mehr ausziehen. Sie sorgen auch dafür, dass Ski und Snowboards in den nächsten Monaten wie selbstverständlich durch U-Bahn und Fußgängerzone getragen werden, wodurch die ganze Stadt immer ein bisschen olympisch wirkt. Allgemeines Motto: Nur schnell zum Schuster, Kanten schleifen! Besonders hübsch ist dieser Effekt bei der BOB oder dem Eilzug nach Garmisch, wo sich jeden Tag ein ulkiges Gemisch von Stadtmenschen mit Aktentaschen und Bergmenschen mit Skistiefeln auf dem Bahnsteig verquirlt. Laptop und Lawinenschaufel sozusagen.
Als temporärer Stadtteil wird in diesem Sinne dann auch das Städtchen Kitzbühel annektiert und zum Spielplatz für die Münchner deklariert. Da dürfen die ganzen Allradautos vom Mittleren Ring mal zeigen, was sie können, wenn sie vor dem Stanglwirt oder am Parkplatz der Hornbahn rangieren müssen. Die kleine Gams am Auto markiert jedenfalls deutlich all jene, für die der Winter die schönste Jahreszeit ist. Wenige sind es nicht.
Vorboten jedes Münchner Winters sind natürlich die nahen Gipfel, die irgendwann über Nacht in ihr Brautkleid schlüpfen und es dann bis in den Mai nicht mehr ausziehen.
Traditionell das greisligste Wetter ist dann immer an Fasching, was vielleicht die ambivalente Haltung der Einheimischen zu diesem Termin unterstreicht. Man tut sich damit jedenfalls heute irgendwie schwerer als zum Beispiel mit dem Starkbieranstich wenig später. Und gerade dann, wenn man ernsthaft übers Auswandern in südlichere Gefilde nachdenkt und den kalten Ostwind aus dem Bayerischen Wald verflucht, stehen die ersten Schneeglöckerl im Englischen Garten. Wenig später ist vom Winter in der Stadt nichts mehr übrig. Nur eine Tüte mit Maronischalen in der Manteltasche.