Im Verkehrszentrum des Deutschen Museums am Münchner Bavariapark gibt es mehr als 275 Exponate, von Kutsche über Dampflok bis zum ersten Auto. Dr. Bettina Gundler, die das Museum mit aufgebaut hat und es seit 2015 leitet, kennt sie alle. Zusammen mit ihr haben wir die Sammlung durchsucht: nach Kuriositäten, Superlativen und den spannendsten Geschichten.
Dr. Bettina Gundler steigt gerade die Treppe zum Übergang in Halle III hinauf, als hinter ihr ein lautes Pfeifen ertönt. Das Geräusch stammt von einer der historischen Dampfloks, die in voller Pracht in Halle II: „Reisen“ aufgebaut sind. Der Ton der Dampfpfeife entfaltet offenbar große Anziehungskraft auf die Gäste, ein Großteil strömt vorbei an Gundler in Halle II. Einige rennen sogar, als würden sie tatsächlich gleich in die Dampflok einsteigen müssen und hätten Angst, ihren Zug zu verpassen. Die Leiterin des Verkehrszentrums lässt sich davon nicht beirren, sie möchte schließlich ein Exponat präsentieren, das in ihren Augen noch viel sehenswerter ist. Die Dauerausstellung ist thematisch in drei Hallen aufgeteilt und das, was Gundler als „die Mona Lisa des Deutschen Museums“ bezeichnet, steht in Halle III: „Mobilität und Technik“.
Sie geht vorbei an einem Porsche 911, der mit seiner Karosserie aus unlackiertem Edelstahl sehr widerstandsfähig aussieht, lässt einen Elektrolaster aus den 1920er-Jahren hinter sich und bleibt schließlich vor ihrem Ziel stehen. Es ist nicht das teuerste Exponat des Verkehrszentrums, sagt sie, das müsste einer der historischen Rennwagen sein, die hier ausgestellt sind, genaue Angaben will Gundler nicht machen, es soll ja niemand auf Ideen kommen. Aber: „Das hier ist der historisch wertvollste deutsche Wagen, den wir haben“, sagt sie und zeigt auf das Ausstellungsstück.
„Das hier ist der historisch wertvollste deutsche Wagen, den wir haben.“
Es ist der Originalwagen, den Carl Benz im Jahr 1886 als Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb zum Patent anmeldete und der als Grundlage dafür diente, dass die Firma Benz in den 1890er-Jahren nicht mehr nur Motoren baute, sondern zum ersten großen Autohersteller des Deutschen Reiches wurde. „Es ist schon auch ein uriges Stück“, sagt Gundler mit Blick auf die Dreiradkonstruktion. „Unser heutiges visuelles Konzept von Autos sieht garantiert anders aus als das, was wir hier sehen.“
Und wirklich: Die Räder wurden von Benz damals bei einem Fahrradhersteller angekauft. Ganz allgemein ließ Benz viele Elemente aus dem Fahrradbau in seine Idee eines Motorwagens einfließen. Dass das Original heute im Verkehrszentrum steht, ist einem Bergwerk und viel Glück zu verdanken. Während des Zweiten Weltkriegs war das Auto in einem Stollen eingelagert. Die Lenkung war gebrochen, eins der Räder ging kaputt, ein paar Messingteile waren verloren, aber im Großen und Ganzen überlebte es, wurde restauriert und steht jetzt auf festen Rädern im Museum. Wenn man die Augen zusammenkneift und die Fantasie anstrengt, formen sich einige Strukturen sogar zu einem Lächeln. Mona Lisa eben.
Das mutmaßlich älteste Objekt des Verkehrszentrums befindet sich am Eingang zu Halle III, und wäre da nicht Gundler mit ihrem Wissen, würde man wohl achtlos daran vorbeigehen. Denn das Exponat, um das es geht, ist bei Weitem nicht so riesig und lang wie die Dampflok aus dem Jahre 1912, so schnell wie das BMW-Weltrekord-Motorrad mit Baujahr 1937 und einer Rekordfahrt von 279,503 km/h oder so auffällig wie der dunkelgrüne „Laubfrosch“ in Halle II – ein Opel 4 PS, der zwischen 1924 und 1931 produziert wurde.
Das älteste Objekt hat noch nicht mal einen Motor, es hat nur sich selbst: ein paar Knochen. Die Knochenschlittschuhe, die im Verkehrszentrum ausgestellt sind, stammen noch aus dem Mittelalter. Die Kufen, die aus Gebein von Rentieren, Kühen, Jagdwild oder manchmal auch Haustieren geschliffen wurden, stellt das Deutsche Museum schon seit 1925 aus. „Sie gehören zu unserer kleinen Reihe von Objekten, die halfen, auf den eigenen Beinen schneller zu werden“, sagt Gundler.
„Jetzt gehen wir mal in Richtung Lebensgefühl Amerika“, sagt Gundler und steuert in Halle II auf einen Cadillac-Straßenkreuzer in Altrosa zu. Doppelte Scheinwerferreihen, gebogene Scheiben, 8-Zylinder-Motor, sechs Meter Wagenlänge, ausladende Heckflossen, raketenartige, knallrote Doppelblinker – das Lebensgefühl des Cadillac Series 62 Sedan aus dem Jahre 1959 ist klar: cool, schnell, frei.
Daneben steht das Auto gewordene Lebensgefühl des alten Kontinents: ein eher rundlicher Fiat 600 Multipla in Hell- und Dunkelblau. Gut zum Transport von Gemüsekisten oder sechs bis acht Personen. „Ich finde, das macht schon so ein bisschen was deutlich“, sagt Gundler und schmunzelt. „In den USA war das Thema Massenmotorisierung immer mit 30 Jahren Vorsprung vor Europa unterwegs. Bei uns wurden zwar die ersten Benzinautos gebaut, aber früher verbreitet hat sich das Auto ganz klar in den USA.“ Müsste sie schätzen, würde sie sagen, dass der Cadillac die größte automobile CO₂-Schleuder hier im Haus ist – mit ungefähr 20 Litern Benzinverbrauch auf 100 Kilometern. „Die Raketenoptik ist da beinahe ein bisschen ein Omen“, sagt Gundler und schaut auf die spitzen Heckflossen.
Apropos Lebensgefühl: In Halle I: „Stadtverkehr“ stehen die Objekte, die das Leben und den Alltag der Menschen seit Jahrzehnten erleichtern, ausweiten und manchmal auch sauber machen. Etwas weiter hinten in der Halle findet sich zum Beispiel eine Straßenkehrmaschine von Krupp. Sie stammt aus den 1920er-Jahren, also einer Zeit, in der Autos in Deutschland langsam begannen, auf den Straßen aufzutauchen, und die Straßenreinigung mechanisch werden sollte. „Das ist ja schon ein ziemliches Ungetüm“, sagt Gundler und zeigt auf die graue Maschine mit Wasserkessel und Stoffdach.
Die drei Reifen aus Vollgummi bewegten sich damals eher langsam durch die Straßen – „sonst wäre es schlicht umgekippt“, sagt Gundler. Auch sonst gab es noch Optimierungsbedarf, die Bürsten der Kehrmaschine nutzten sich schnell ab. „Die verlieren manchmal sogar bei uns noch Federn“, sagt Gundler und grinst. Es sind die kleinen und großen Geschichten, die Gundler an den Objekten im Verkehrszentrum so sehr schätzt.
In Halle II steht ein paar Meter vor dem Cadillac noch ein Oldtimer mit zwei skurrilen Ausstattungsmerkmalen, deren Nutzen manchmal auch die Profis nur mutmaßen können. Die Funktion des länglichen schwarzen Geräts, das auf der rechten Seite des braunen Käfers angebracht ist, ist noch relativ klar. Es ist wohl eine Art Peilmarke zum Einparken, um bei der eher kugeligen Form des Käfers den Überblick zu behalten.
„Das Schild hatte wohl die Funktion, Kleingetier aerodynamisch abzuleiten.“
Aber das kleine, durchsichtige und sehr gelbe Schild vor der Windschutzscheibe – das lässt nur Vermutungen zu. „Da kenne ich auch nur die Legende“, sagt Gundler. „Das Schild hatte wohl die Funktion, Kleingetier aerodynamisch abzuleiten.“ Heute gebe es ja nicht mehr so viele Insekten, sagt Gundler, aber früher, „da war man im Sommer gerade mal 30 Kilometer unterwegs und hatte überall Leichen am Fenster.“ Ein Insekten-Abwehrschild fürs Auto also. Bei solchen Geschichten treten andere Superlative schnell in den Hintergrund, Hauptsache der Fliegenschutz hilft. Eins ist nach dem Rundgang jedenfalls klar: Die Bandbreite vom „Insekten-Abwehrschild“ bis zur „Mona Lisa des Deutschen Museums“ kann so schnell niemand übertreffen.