München liegt hunderte Kilometer weit weg vom Meer – und ist trotzdem eine weltbekannte Surfer-Metropole. Unsere Autorin will Flusssurfen lernen. Ihr Ziel: einmal im Leben auf der legendären Eisbachwelle stehen.
Es ist neun Jahre her, dass ich das letzte Mal ein Surfbrett berührt habe. Ich war 16 Jahre alt und Teilnehmerin eines Surfcamps in Frankreich. Am dritten Tag lief ich gegen eine Wurzel und brach mir den Zeh. Der tat dann so weh, dass ich nicht mal im Sand laufen, geschweige denn weitersurfen konnte.
Jetzt versuchen wir es noch mal, das Surfen und ich. Nur nicht auf dem Meer, sondern auf dem Fluss, mitten in München, der Hauptstadt des Flusssurfens. Der Sport wurde hier vor mehr als vierzig Jahren erfunden. Stehende Wellen zum Surfen haben nicht viele Städte, in München gibt es mehrere. Die bekannteste ist die Eisbachwelle neben dem Haus der Kunst – Gäste aus der ganzen Welt sehen dort den Surfern zu, bei Wind und Wetter, Tag und Nacht wird hier gesurft.
Ebenfalls am Eisbach, etwas tiefer im Englischen Garten, ist die etwas kleinere Welle „E2“. Und an der Floßlände in Thalkirchen gibt es eine Welle, die sich sehr gut für Anfänger eignet. Anfang der Siebzigerjahre begründeten hier die ersten Münchner Flusssurfer den Sport. Auf der Eisbachwelle kann man erst seit den Achtzigerjahren gut surfen.
Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass ich beim Fahrradfahren Menschen mit Surfbrett unterm Arm überhole. Wenn ich den Eisbach-Surfern zusehe, bin ich fasziniert, wie leicht es aussieht, wenn sie das Brett durch die Welle steuern. Mir kam lange nicht in den Sinn, dass ich das Surfen auf dem Fluss selbst einmal lernen könnte. Zu exklusiv wirkte diese Surfer-Welt in München, kein Anknüpfungspunkt, kein Kurs, bei dem ich hineinschnuppern könnte. Vielleicht spielte auch die Frustration meines 16-jährigen Ichs mit hinein. An der Faszination fehlte es zumindest nicht. Jetzt frage ich mich, ob ich selbst bald am Eisbach surfen kann.
Vor meinem ersten Versuch an der Floßlände bin ich so aufgeregt, dass ich nichts essen kann. Ich bin mit Quirin Rohleder verabredet. Er surft seit mehr als 30 Jahren in München und ist auch in der internationalen Surfszene bekannt. Mit 13 hat er am Eisbach angefangen, mit einem Bodyboard, das er sich aus einer Styropor-Platte von einer Baustelle zurecht geschnitzt hatte – und auf dem er dann auch schnell im Stehen surfte.
Stehende Wellen zum Surfen haben nicht viele Städte, in München gibt es mehrere.
Zusammen mit Christian Bach hat er in München die Rapid Surf League gegründet. Das Surfen auf dem Meer wird 2020 olympisch, fürs Surfen auf stehenden Wellen gab es bisher noch nicht einmal organisierte Meisterschaften. Quirin und Christian wollten das ändern und diese Art von Surfen zu einer eigenen Sportart machen, mit einer europaweiten Liga. Die Wettkämpfe finden auf allen Arten von stehenden Wellen statt, auch auf künstlichen. Gleichzeitig sagt Quirin: „Es ist uns wichtig, jedes Jahr auch ein Event auf einer halbnatürlichen Welle zu machen. Da wird kein Strom verbraucht, es ist also CO2-neutral.“
Die Welle an der Floßlände ist so eine halbnatürliche Welle. Als ich dort ankomme, sehe ich quasi als erstes einen Mann mit weißem Pflaster auf der Nase. Ich bekomme mit, dass er sich die Nase angebrochen hat – hier beim Surfen an der Floßlände, weil ihm das Brett ins Gesicht geschlagen ist. Ich werde noch nervöser.
Ich setze mich auf die Kante am Ufer, Quirin hält mein Brett, sodass ich mich nur draufstellen muss. Ein großer Vorteil vom Surfen am Fluss: Ich stehe von Anfang an. Die Frustration, über Tage nur auf dem Brett zu liegen, bleibt mir erspart. Das Surfen auf dem Fluss ist deshalb anfängerfreundlicher als auf dem Meer, denn das Aufstehen ist der schwierigste Teil dieser Sportart. Außerdem ist die Welle immer relativ gleich, man muss sich nicht auf unterschiedliche Bedingungen einstellen wie am Meer.
Erster Versuch: Es ist sehr wackelig. Ich würde sofort fallen, wenn Quirin mich nicht halten würde. Die Spitze taucht ins Wasser – ich falle.
Zweiter Versuch: Es klappt ein bisschen besser. Die Spitze taucht ins Wasser – ich falle.
Der Mann mit dem Pflaster zeigt mir eine Wurzel, sie ist wie ein Griff, an dem ich mich festhalten kann, wenn ich aus dem Wasser steige. Eine Surferin gibt mir den Tipp, mehr in die Knie zu gehen. Das sagt auch Quirin. Und nicht vergessen, die Spannung zu halten. Den hinteren Arm locker hängen lassen, nicht zu viel machen, einfach mal ganz ruhig stehen. Klappt. Für ein paar Sekunden. Dann ist die Spitze wieder im Wasser.
„Jetzt brauchst du einen Surfbretthalter fürs Fahrrad“, sagt Quirin. Am ersten Tag fahre ich mit dem Surfbrett unterm Arm nach Hause, das ist ganz schön anstrengend. Ich bin erschöpft und begeistert von der Erfahrung. Als ich mir ein paar Tage später einen Fahrradhalter kaufe, fühle ich mich ein bisschen wie ein Teil der Szene, obwohl ich noch gar nichts kann. Ich habe den Eindruck, dass man sich gegenseitig hilft, zumindest an der Floßlände. Trotzdem frage ich mich, wie ich das nächste Mal ohne Quirin auf das Brett kommen soll.
Ich beschließe, einmal dorthin zu gehen, wo man das Surfen ganz ohne Connections und Ausrüstung ausprobieren kann, in die Jochen Schweizer Arena. Ich habe nur meinen Bikini dabei, Neoprenanzüge gibt es vor Ort. Wir sind etwa zehn Leute. Michael, einer der beiden Trainer in der Halle, erklärt uns, worauf wir achten müssen. Wenn wir ins Wasser fallen, sollen wir die Arme vors Gesicht halten, bis wir wissen, wo das Board ist. „Wenn du auftauchst, und denkst, jetzt kann nichts mehr passieren – das ist der Moment, auf den das Board gewartet hat“, sagt Michael.
Am Anfang üben wir an einer Stange, die einmal quer übers Becken führt. Auf dem Brett stehen, festhalten, die hintere Hand loslassen, beide Hände loslassen. Nach einer Viertelstunde kommt die Stange weg. Jetzt starten wir abwechselnd von beiden Seiten, auf jeder Seite ist ein Trainer, der uns beim Einsteigen hilft.
Ich lege mein Surfbrett auf den höchsten Punkt der Welle und stehe auf, wie man von einem Stuhl aufsteht. „Nicht aufs Wasser schauen, sondern hoch zur Tribüne“, sagt Michael. Und dann auf die andere Seite gucken, wo ich hinfahren will. Ich fahre auf die andere Seite, ohne so richtig zu wissen, wie. Dort streckt schon Luis, der zweite Trainer, die Hand aus. Jetzt soll ich meinen linken Arm ausstrecken und nach hinten gucken. Ich fahre ein Stück weg, dann falle ich.
Bei jedem Versuch klappt es besser und ich bin ganz begeistert. Es motiviert mich, dass ich direkt einen Fortschritt spüre. Die Dreiviertelstunde geht viel zu schnell vorbei. Ich argwöhne, dass der Fortschritt nicht direkt meinen Surfkünsten geschuldet ist, sondern dass es in der Jochen Schweizer Arena deutlich einfacher ist als an der Floßlände. Und auch Quirin lacht, als ich ihm von dem Erfolg in der Arena berichte: „Klar, viel einfacher da.“
Ich fahre wieder zur Floßlände und habe Angst, dass ich alleine nicht mal aufstehen kann. Niemand da, der mich hält. Ich gucke genau zu, wie die anderen einsteigen. Es hilft nicht, dass ich in der Schlange warte – meine Nervosität hat genug Zeit, sich aufzubauen und stärker zu werden. Aber als ich dran bin, klappt es ohne Probleme.
„Wer an der Floßlände nicht zehn Mal hin und her fahren kann und das Ganze mit einem Drop-in startet, also direkt aufs Brett springt, hat am Eisbach nichts verloren."
Ich versuche, mich an alle Tipps zu erinnern. Mehr in die Knie gehen, dort hinschauen, wo ich hinfahren will. Hinterer Fuß ganz nach hinten. Vorderer Fuß im 45-Grad-Winkel.
Nach ein paar Malen schaffe ich es, fast bis zur anderen Seite zu fahren. Erfolgserlebnis! Ich überlege, dass es hilft, jeden kleinen Erfolg zu feiern, wenn man etwas neu anfängt. Dann denke ich, dass es immer hilft, die eigenen Erfolge zu feiern. Wir konzentrieren uns viel zu oft auf das Negative.
An einem Sonntag, meinem dritten Tag an der Floßlände, ist es 30 Grad warm. Als ich ankomme, stehen mehr als 20 Menschen vor mir in der Schlange – nur auf meiner Seite. Ich warte eine Viertelstunde – um dann fünf Sekunden auf dem Surfbrett zu stehen.
Während das Flusssurfen in München früher eine Nischensportart war, wird es heute immer mehr zum Trend. Dass es die Jochen Schweizer Arena gibt, trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen das Surfen ausprobieren. Und inzwischen gibt es einen regelrechten Run auf die Wellen.
Später lerne ich Thilo Hartung von der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) kennen. Er zeigt mir ein Foto von einem Tag, an dem die Schlange an der Floßlände etwa doppelt so lang war. Seit Jahren setzt sich die IGSM dafür ein, dass es mehr Wellen gibt, besonders für Anfänger, und dafür, dass die Welle an der Floßlände länger läuft.
Aktuell läuft die Welle etwa von 14.15 Uhr bis 19.30 Uhr, von Mai bis Mitte September. In dieser Zeit lassen die Stadtwerke mehr Wasser durch, sodass die Welle entsteht. Robert Meier-Staude, Professor für ressourcenschonende Konstruktion und Entwicklung an der Hochschule München, hat zusammen mit den Surfern eine Konstruktion entwickelt, die in Flüssen eine stehende Welle erzeugt. 2015 wurde sie an der Floßlände eingebaut, nachdem es in den Jahren davor oft keine Welle mehr gab.
Verschiedene Interessen spielen eine Rolle beim Thema Surfen in München: Die Surfer wollen mehr Wellen, sie bekommen auch Rückenwind aus der Politik, aber bisher passiert wenig Konkretes. Das Wasser an der Floßlände brauchen die Stadtwerke, um Strom zu erzeugen. Sie würden den Surfbegeisterten auch das überschüssige Wasser überlassen, aber es gibt bisher keine automatische Steuerung. Ob es zum Beispiel am Eisbach eine neue Welle geben soll, kann die Stadt nicht allein entscheiden, denn der Englische Garten gehört dem Land Bayern.
Um gerade der jungen Generation Rücksicht aufeinander und die Freude an der Gemeinschaft und am Sport zu vermitteln, fördern die IGSM und die Rapid Surf League den Nachwuchs: An der Floßlände haben sie dieses Jahr einen Wettkampf für Kinder veranstaltet.
Im Gegensatz zu Quirin spricht sich Thilo vehement dafür aus, dass Anfänger nur an der Floßlände surfen. „Wer an der Floßlände nicht zehn Mal hin und her fahren kann und das Ganze mit einem Drop-In startet, also direkt aufs Brett springt, hat am Eisbach nichts verloren“, sagt er.
Mit 13 hat Quirin Rohleder am Eisbach angefangen, mit einem Bodyboard, das er sich aus einer Styroporplatte von einer Baustelle zurechtgeschnitzt hatte.
Ich sehe ein paar Menschen wieder, die ich schon an den beiden ersten Tagen gesehen habe. Die junge Surferin im türkisfarbenen Neoprenanzug. Den Vater mit seinem Sohn, die zusammen surfen gehen. Den Mann mit grauen Haaren und Bart, der immer direkt aufs Brett springt, statt sich erst draufzustellen. Manchmal, wenn jemand einen Trick macht, klopfen die anderen auf ihre Surfbretter. Sie klopfen auch für mich, die Anfängerin, die nach mehreren Versuchen das erste Mal für ein paar Sekunden auf dem Brett steht.
Am vierten Tag an der Floßlände frage ich den Surf-Dad, ob er mir Tipps geben kann. Die Welle spült mich immer gleich weg. Ein bisschen weiter vorne stehen, rät er, und stärker in die Knie gehen. „Es muss brennen“, sagt er. „Es muss wehtun“, sagt ein anderer, der hinter ihm in der Schlange wartet. Als ich drankomme, gehe ich in die Knie, stelle meinen vorderen Fuß weiter vorne aufs Brett. Ich fahre auf die andere Seite. Jemand klopft auf sein Brett. Für mich.
An Tag sieben an der Floßlände erreiche ich einen Tiefpunkt. Es sind viele Leute da, ich muss lange warten und falle schnell. Wo bleibt das Erfolgserlebnis? Es macht keinen Spaß. Ist das jetzt schon der Punkt, den ich bei so vielen Sportarten erreicht habe? Der, an dem die Motivation fehlt, weil der Fortschritt stagniert, weil da nicht das Erfolgserlebnis ist, das mich pusht? So schnell will ich eigentlich nicht aufgeben.
Am achten Tag an der Floßlände ist es bewölkt und kalt. Perfektes Wetter – endlich sind nicht mehr so viele Leute an der Welle. Das gibt mir neue Motivation. Die Kurve klappt zwar nicht, aber es ist nicht schlimm. Einmal werde ich von der Welle so runtergedrückt, dass ich Angst bekomme und vergesse, meine Arme vor den Kopf zu halten. Der Moment, auf den das Surfbrett gewartet hat, wie Michael sagte. Ich spüre einen Schlag an meiner Stirn, es tut ganz schön weh. Ich bekomme eine Beule, aber es hätte schlimmer sein können. Ich nehme mir noch einmal vor, immer meine Arme vor den Kopf zu halten.
Thilo von der IGSM meint, es dauert schon ein paar Jahre, bis man gut hin- und herfahren kann. Und er sagt, wenn ich nach so kurzer Zeit schon einmal hin und zurück fahren konnte, spricht das dafür, dass ich „nicht ganz talentfrei“ bin. Thilo ist eher ein ironischer Typ, ich nehme das als Kompliment.
Bis ich am Eisbach surfen kann, muss ich mich wohl trotzdem noch eine Weile gedulden. Und üben, üben, üben. In der nächsten Saison geht es weiter. Und immerhin habe ich schon mehr geschafft, als mein 16-jähriges Ich je zu erträumen gewagt hätte.
Auch interessant: Newbie, Promi, Profi: kleine Typologie der Eisbach-Surfer