Surfen ist seit den Olympischen Spielen 2020 in Tokio eine olympische Disziplin. In München zuhause ist der dreifache Surf-Europameister Tao Schirrmacher. Er ist einer der Stars der Münchner Eisbachwelle, denn er trainiert hier seit bald 15 Jahren – und gehört mittlerweile zu den Besten der Stadt.
Hobby, Leidenschaft, Alltagsflucht – für Tao Schirrmacher ist der Eisbach all das. Der dreifache Europameister im Wellenreiten geht seit nun mehr fünfzehn Jahren an der Eisbachwelle surfen. Und sobald ihm die Welt da oben zu viel wird, taucht er in Münchens bekanntestem Fluss buchstäblich ab. Wir haben mit ihm über den Zusammenhalt in Münchens Surfszene, den Eisbach als bunten Begegnungsort und diese ganz besondere Freiheit gesprochen, die man hier spürt.
Was macht den Eisbach besonders?
Die Energie, die hier aus dem Tunnel kommt, ist einzigartig. Die Eisbachwelle ist eine der besten Flusswellen der Welt, die man jeden Tag rund um die Uhr und für umsonst surfen kann. Andere Surfspots in München wie die Floßlände oder die E2 sind auch schön und wahrscheinlich ruhiger, aber der Eisbach zieht einen nun mal in seinen Bann.
„Die Energie, die hier aus dem Tunnel kommt, ist einzigartig. Die Eisbachwelle ist eine der besten Flusswellen der Welt, die man jeden Tag rund um die Uhr und für umsonst surfen kann.“
Die E2 ist die zweite Eisbachwelle im Englischen Garten – warum ist die nicht so berühmt?
Die Welle ist kleiner und schwächer, daher eher für Anfänger geeignet. Außerdem ist das Wasser hier tiefer im Gegensatz zur großen Eisbachwelle. Das macht die E2 auch weniger gefährlich. Mittlerweile hat aber auch die kleine Welle jede Menge Zuschauer, obwohl sie versteckter liegt.
Nervt es nicht, wenn man immer beobachtet wird beim Surfen?
Wenn man mal einen der wenigen Zeitpunkte erwischt, an denen die Welle leer ist, ist das schon genial. Ausblenden kann man die Zuschauer leider nicht, aber sie gehören mittlerweile auch irgendwie dazu: Die Zuschauer und die Welle sind so verknüpft wie die Münchner U-Bahn mit den Gleisen. Am Eisbach treffen Touristen auf Locals und Surfprofis aus aller Welt auf absolute Anfänger. Und das ist auch das Schöne hier: Es ist eine wahnsinnig bunte Mischung an einem so überschaubaren Ort.
„Wenn ich einen anderen Surfer auf dem Radl sehe, grüßt man sich schon mal. So wie der Busfahrer seinem Kollegen im Vorbeifahren zuwinkt.“
Wie empfindest du die Surfszene in München?
Die Szene ist überall für ihren Zusammenhalt bekannt, aber in München nehme ich das noch einmal stärker wahr. Es ist genauso wie am Meer – es gibt verschiedene Gruppierungen und die einen mögen sich lieber – aber grundsätzlich ziehen alle Surfer an einem Strang. Wenn ich einen anderen Surfer auf dem Radl sehe, grüßt man sich schon mal. So wie der Busfahrer seinem Kollegen im Vorbeifahren zuwinkt. Es gibt eine große Verbundenheit unter den Surfern und man darf auch nicht vergessen: München ist klein. Es ist also etwas Besonderes, wenn ich jemanden in meinem Viertel treffe, der auch surft.
Wo trifft man dich sonst, wenn du nicht hier bist?
Momentan mit Baby zuhause oder irgendwo im Westend – an der Schwanthalerhöhe, im Westpark oder an der Theresienwiese. Einer der wenigen Plätze, an denen man in München Weitblick genießen kann.
Lebst du eigentlich schon immer in München?
Mit Ausnahme von zwei Jahren in Portugal habe ich immer hier gewohnt. Auf der einen Seite würde ich natürlich gerne am Meer leben, auf der anderen Seite ist München eine geniale Stadt. Es hat so eine angenehme Größe, ich kann jederzeit nach Hause laufen oder bequem mit dem Radl fahren. Dann natürlich die Berge und der Eisbach. München ist schon ein phänomenales Gesamtkonzept.
Du bist dreifacher Surf-Europameister und hast schon viele Wellen gesurft. Was ist am Eisbach anders?
Es gibt einen gravierenden Unterschied: Im Meer schiebt die Welle einen von hinten an, beim Fluss-Surfen fließt das Wasser unter einem durch – man surft also auf der Stelle. Beide Arten sind zwar grundlegend verschieden, aber letztendlich doch recht ähnlich. Man gewöhnt sich schnell daran und fährt am Eisbach auch das selbe Surfbrett wie am Meer.
„Andere Surfspots in München sind auch schön und wahrscheinlich ruhiger, aber der Eisbach zieht einen nun mal in seinen Bann.“
Wie gefährlich ist der Eisbach?
Er ist nicht ganz ungefährlich. Unter der Welle befinden sich Steine – die klassische Platzwunde am Kopf passiert schon recht häufig. Ein Helm ist daher eine gute Idee oder man schützt seinen Kopf beim Abtauchen zumindest mit den Armen.
Welche Regeln gelten an der Welle?
Wenn die anderen Surfer auf ihre Bretter klopfen, bedeutet das entweder, dass man etwas gut gemacht hat oder dass man verschwinden soll, weil man schon zu lange auf der Welle surft. Was es von beidem ist, weiß die Person dann schon von selbst (lacht). Ansonsten schauen alle, dass sie sich immer abwechselnd an jeder Seite anstellen.
Wie hat sich der Eisbach in den letzten Jahren verändert?
Ich gehe nun bald seit 15 Jahren hier surfen, daher habe ich schon Einiges miterlebt. Früher gab es hier noch Walter, den sogenannten „Hausmeister“. Der hat die Eisbachwelle nicht nur mitgestaltet, sondern auch immer für Ruhe und Ordnung gesorgt, um den Spot zu schützen. Das ist ihm auch gelungen, aber mittlerweile ist die Welle weltweit bekannt. Wenn man in Australien jemandem vom Eisbach erzählt, dann sagt er im Zweifel „Klar, kenne ich, da war ich schon!“. Die Welle ist eben die Geburtsstätte des Fluss-Surfens und durch die sozialen Medien berühmt geworden. Viele sagen auch, dass es nach dem Kinofilm „Keep Surfing“ so richtig losging mit dem Hype. Ich glaube, es ist eben wie bei jedem Sport, der wächst.
„Am Eisbach treffen Touristen auf Locals und Surfprofis aus aller Welt auf absolute Anfänger. Und das ist auch das Schöne hier: Es ist eine wahnsinnig bunte Mischung an einem so überschaubaren Ort.“
Was bedeutet der Eisbach für dich?
Der Eisbach ist für mich Kulturgut. Man spürt, wie auch an der Theresienwiese und dem Friedensengel, eine ganz bestimmte Freiheit. Und er ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten, ein Wahrzeichen von München – mittlerweile wird er häufiger fotografiert als der Olympiapark und die Bavaria. Hinzu kommt natürlich, dass der Eisbach mein Leben mitgestaltet. Es ist ja nicht nur das Surfen mehrmals die Woche, sondern auch das Tauchen und damit mein Projekt Lost'n'drowned. Der Bach ist für mich zu einem Ort geworden, an dem ich für mich selbst Kunst machen kann, wie meine Videos. Tauchen ist Meditation für mich und eine Flucht in eine andere Welt. Die Welt unter Wasser.
Wo genau gehst du tauchen?
Es ist wie mit jeder Leidenschaft – es zieht immer größere Kreise. Mittlerweile suche ich den ganzen Eisbach ab. Viele Dinge entdeckt man sofort unter Wasser, nach einigen muss man wühlen. Außerdem kenne ich ein paar Stellen, an denen immer wieder Gegenstände hängen bleiben – ein bisschen wie beim Pilze sammeln. Aber manche Sachen sind eben auch für immer weggespült. Das Wasser funktioniert wie ein Siegel.
Wie oft erfährst du die wahre Geschichte des Fundstücks?
Leider selten, aber genau das ist das Geniale daran! Bei einem Anstecker stellst du dir vor, wie eine Frau den beim Baden verliert. Der Fotograf denkt sich vielleicht, ein Kind hat den Anstecker der Mutter am Eisbach seinen Freunden zeigen wollen und ihn dann aus Versehen ins Wasser fallen lassen. Jeder hat seine eigene Geschichte dazu im Kopf. Natürlich wird das Puzzle erst komplett, wenn man die wahre Geschichte kennt – nur manchmal ist sie leider stinklangweilig.
„Tauchen ist Meditation für mich und eine Flucht in eine andere Welt. Die Welt unter Wasser.“
Was war das Abgefahrenste, das du jemals im Eisbach gefunden hast?
Ich habe irgendwann einmal lange im Schlamm gefühlt und plötzlich ein Hakenkreuz hervorblitzen sehen. Das waren wahrscheinlich alte Türplaketten, die schon ewig hier unten liegen mussten – vermutlich aus dem Haus der Kunst.
Kam es so auch zu deiner Ausstellung im Haus der Kunst?
Das war im Rahmen des Festival of Independents. Ich hatte schon immer den Traum, die Fundstücke hier auszustellen. Durch die Nähe zum Englischen Garten und vor allem zur Eisbachwelle schien mir das Haus der Kunst dafür perfekt. Solche Sammlungen gibt es auch in anderen Städten – wie die Schlammsammlung aus der Themse, wenn das Wasser abgelassen wird. Aber der Eisbach ist durch die Lage und seine Welle schon sehr speziell.