Unser Autor testet die traditionellen bayerischen Sportarten: Armdrücken, Steinheben und Maßkrugstemmen. Wird am Ende aus ihm ein richtiger Bayer?
Ich bin im Jahr 1984 in Schwabing geboren, also im Herzen von München. Das hat aber leider auch nicht viel geholfen. Denn abgesehen von meiner Herkunft bin ich so bayerisch wie ein Dudelsack. Ich mag kein Bier, meine Lieblingsfußballmannschaft ist Borussia Dortmund und meine bayerischen Sprachkenntnisse beschränken sich auf den Ausdruck „Ja mei …“. Da man in Bayern gerne grantelt, reicht das zum Glück für die meisten Unterhaltungen. Wenn ich auf der Wiesn mit alteingesessenen Urbayern am Tisch sitze, fliege ich allerdings jedes Mal schnell auf. Die schütteln den Kopf, dass der Gamsbart auf dem Hut nur so wackelt, und sagen: „Na, du bisd koa Bayer ned.“
... abgesehen von meiner Herkunft bin ich so bayerisch wie ein Dudelsack. Ich mag kein Bier, meine Lieblingsfußballmannschaft ist Borussia Dortmund und meine bayerischen Sprachkenntnisse beschränken sich auf den Ausdruck „Ja mei …“.
Dann sitze ich da, mit meinem Radler in der Hand, zucke mit den Schultern und erwidere bloß „Ja mei …“. Aber insgeheim kränkt es mich natürlich schon, wenn ich in meiner Heimat nicht akzeptiert werde. Ich würde das gern ändern. Vielleicht hilft es ja, sich Fertigkeiten in einigen traditionellen Sportarten der Bajuwaren anzueignen. In den nächsten Tagen lerne ich daher: Armdrücken, Maßkrugstemmen und Steinheben.
In der Andreestraße 5 stöhnen fünfzehn verschwitzte Männer in einem Raum. Und ich bin mitten unter ihnen. Klingt erst mal missverständlich, vielleicht sollte ich es lieber anders formulieren: Jeden Sonntag um 12 Uhr treffen sich die Bavarian Grizzlys hier zum Armdrücken. Sie haben mich freundlicherweise eingeladen, für eine Schnupperstunde vorbeizukommen. Also stehe ich nun in dem kleinen Fitnessstudio im Keller des Jugendhauses und kann meine Hand nicht mehr spüren. Wie eine Autopresse schließt sich die Pranke von Dimitar Yankov um mein Patschehändchen und drückt zu. Meine Knochen schmerzen. Und dabei schütteln wir uns bloß die Hand zur Begrüßung. Vielleicht hätte ich doch lieber mit einer anderen bayerischen Tradition anfangen sollen. Zum Beispiel Akkordeonspielen.
Herr Yankov war drei Mal Deutscher Meister und schaffte bei einer EM immerhin den vierten Platz. Er hat breite Schultern und dicke Arme, denn für das Armdrücken braucht man den kompletten Oberkörper. Die Beine braucht man nicht. Deshalb sieht Herr Yankov auch ein bisschen aus wie eine Pyramide, die auf der Spitze steht. Er führt mich zu einem kleinen Tischpult, mit jeweils einem Griff an jeder Seite zum Festhalten. An den übrigen Tischen stehen bereits die anderen Mitglieder und messen unter lautem Schnaufen ihre Kräfte.
„Wir haben immer mehr Mitglieder“, sagt Herr Yankov mit Blick auf die bulligen Typen. „Vor zwei Jahren waren wir noch zu dritt.“ Einer der Hauptgründe für den Mitgliederanstieg ist das Internet. Durch Youtube erreicht die Randsportart immer mehr Menschen – so wie mich. Deshalb will ich nun endlich loslegen.
Die Jungs könnten alle im nächsten „The Expendables“-Film mitspielen, während es bei mir höchstens für eine Rolle in „Schwiegertochter gesucht“ reicht.
Aber bevor ich Herrn Yankovs Arm drücke, bekomme ich noch eine kleine Einweisung. Es gibt drei Techniken beim Armdrücken, an denen die Jungs hier beim Training jede Woche feilen:
1. Der „Top Roll“: Man drückt mit der Hand möglichst auf die Fingerspitzen des Gegners. Man rollt sozusagen darüber, und seine Handfläche zeigt zur Decke. Aufgrund der Hebelwirkung ist es nun viel schwieriger für ihn zu gewinnen. Perfekt für Menschen mit großen Händen.
2. Der „Side Pressure“: die klassische Variante, bei der man den Arm des Gegners einfach nur zur Seite drückt. Sieht man eher im Biergarten als bei offiziellen Wettkämpfen.
3. Der „Hook“: Hier dreht man die Hand nach innen und zieht den Arm des Gegners zu sich, während man ihn nach unten drückt. Diese Technik ist besonders geeignet, wenn man kurze Arme hat.
Da ich 1,90 Meter groß bin und lange Arme habe, ist der „Top Roll“ für mich am geeignetsten (auch ohne Pranken). Trotzdem gibt es ein Problem: Armdrücken ist immer noch ein Kraftsport. Wenn der Gegner keine Technik beherrscht, kann ich mir mit diesem Wissen einen Vorteil verschaffen und kleine Kraftdefizite ausgleichen.
Davon kann hier im Trainingsraum aber keine Rede sein. Die Jungs könnten alle im nächsten „The Expendables“-Film mitspielen, während es bei mir höchstens für eine Rolle in „Schwiegertochter gesucht“ reicht. Da bringt mir auch die Technik nichts. Die beherrscht hier sowieso jeder. Klar, dass ich reihenweise verliere. Einer nach dem anderen knickt mein Spaghetti-Ärmchen um. Genauso gut könnte ich versuchen, eine Litfaßsäule mit einer Hand umzustoßen. Hoffentlich schlage ich mich beim Maßkrugstemmen besser.
Matthias von Mulert ist Mitarbeiter beim Triebwerkhersteller MTU – und das, was die Bayern ein „gestandenes Mannsbild“ nennen. Fast zwei Meter groß und mit einer bulligen Statur gesegnet, sozusagen geboren zum Maßkrugstemmen. Sein Rekord liegt bei knapp zwei Minuten. In den letzten sechs Jahren hat der 32-jährige Karlsfelder immerhin vier Mal den Wettbewerb beim traditionellen Starkbierfest des Technischen Hilfswerks Dachau gewonnen.
Wirklich beeindruckt bin ich davon aber nicht. Als ich bei mir zu Hause in der Küche mit einem Maßkrug übe, schaffe ich auf Anhieb eine Minute und fünfzehn Sekunden. Ich habe mich immer gefragt, welche Talente in mir schlummern. Vielleicht ist es tatsächlich das Maßkrugstemmen.
Bei Wettbewerben wird eine Fahne auf Höhe des ausgestreckten Arms gehievt. Sobald der Krug unter diese Fahne absinkt, scheidet man aus.
Als Herr von Mulert mich vor dem Eingang des Hirschgartens mit meinem Maßkrug in der Hand sieht, grinst er. So wie ein Vater, wenn das kleine Kind am Morgen mit seinem Spielzeugaktenkoffer vor der Haustür steht und sagt, es käme mit zur Arbeit. So niedlich. Denn offenbar verwendet man beim Maßkrugstemmen traditionell einen Drei-Liter-Steinkrug und füllt diesen mit Wasser. Der volle Krug wiegt dann fünf Kilo, wie mir Herr von Mulert erklärt. Ich gucke ihn entsetzt an. So viel wiegt ja nicht mal mein kleiner Neffe. Die spinnen doch, die Bayern.
Einer dieser Prachtkrüge steht in den Regalen der Wirtschaft im Hirschgarten. Der Kellner leiht ihn uns für das Training freundlicherweise aus. Als ich meinen Maßkrug auf dem Tisch danebenstelle, wirkt er wie das kleine Wassergläschen, das man zum Kaffee kostenlos dazubekommt.
Herr von Mulert füllt den Drei-Liter-Krug mit Wasser, wie es sich traditionell gehört. Denn das Maßkrugstemmen hat seinen Ursprung beim Starkbierfest. Irgendwas mussten die Bayern ja tun, um sich die Zeit zu vertreiben, bis das erste Bier des Jahres ausgeschenkt wurde. Also füllten sie Wasser in die Krüge und guckten, wer sie länger hochhalten kann. Da soll noch einer sagen, die Bayern wüssten nicht, wie man Spaß hat. Ich nehme den Krug und halte ihn …
Eine Sekunde.
Zwei Sekunden.
Drei Sekunden.
Viiier Sekunden.
Füüüünf Sekunden.
Seeee … jetztwirdesaberlangsamschwer… chs Sekunden.
Sieee … Huijuijuijui … ben.
Aaaa … rgh!
Nach dreizehn Sekunden zittert mein Arm wie ein Chihuahua in der U-Bahn, dabei verschütte ich so viel Wasser, dass ich jetzt eigentlich disqualifiziert wäre, wie Herr von Mulert erklärt. Bei Wettbewerben wird eine Fahne auf Höhe des ausgestreckten Arms gehievt. Sobald der Krug unter diese Fahne absinkt, scheidet man aus. Es gibt aber ein paar Tricks, die mir Herr von Mulert zeigt – vorausgesetzt ich duze ihn endlich. In Bayern macht man das nämlich so. Sagt Herr von Mulert. Also Matthias.
Nach dreizehn Sekunden zittert mein Arm wie ein Chihuahua in der U-Bahn, dabei verschütte ich so viel Wasser, dass ich jetzt eigentlich disqualifiziert wäre, wie Herr von Mulert erklärt.
Ich soll den Krug nicht am Henkel greifen. Denn dann wäre er bloß noch weiter vom Körper weg und aufgrund der Hebelwirkung noch schwerer. Besser: Die Hand locker zwischen den Henkel schieben. Nicht zupacken, denn das verschwendet bloß Kraft, und den Krug einfach an der Hand hängen lassen.
Brav folge ich den Anweisungen. Der Krug drückt schmerzhaft gegen meinen Fingerknöchel, aber immerhin: Ich schaffe 24 Sekunden. Gegen Matthias habe ich damit noch keine Chance – aber es ist ja auch noch kein Maßkrugstemmer vom Himmel gefallen.
Zugegeben, weder beim Armdrücken noch beim Maßkrugstemmen habe ich meine Heimat stolz machen können. Aber wie heißt es so schön? Das Beste kommt zum Schluss. Nämlich beim Steinheben.
Jannik Hormel ist 30 Jahre alt und gewann 2015 den Gräfelfinger Newcomer-Wettbewerb im Steinheben. Einmal in der Woche kommt er in den „Kraftkeller“ in Forstenried und trainiert an der Maschine. Jawohl, Maschine. Beim Steinheben wird nämlich kein gewöhnlicher Brocken gehoben, wie ihn beispielsweise der Gallier Obelix gerne durch die Luft wirft. Es ist viel eher ein Kasten, in dem Gewichtsplatten liegen.
Der Boden ist mit einer Eisenstange verbunden, die durch ein Loch in den Platten führt und oben aus dem Kasten guckt. Am Ende der Stange befindet sich ein Griff, an dem ich die Platten nach oben ziehen soll. Die Übung ähnelt dem Kreuzheben im Fitnessstudio. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass ich dort normalerweise fünf Kilo auf beiden Seiten der Hantelstange auflege – hier soll ich nun 254 Kilo wuppen: das offizielle Startgewicht beim Steinheben.
254 Kilo entspricht ungefähr dem Gewicht von vier Schafen. Man könnte mir also genauso gut sagen: „Hey, könntest du mal eben kurz die Schafherde hochstemmen?“
Die Erklärung für diese krumme Zahl liegt in der Geschichte des Steinhebens. Der Münchner Metzger Hans Steyrer bewies im 19. Jahrhundert seine Kraft, indem er einen 254 Kilo schweren Stein für mehrere Sekunden hob – der Überlieferung nach mit seinem rechten Mittelfinger. Seitdem machen es ihm die Männer in Bayern nach. Bloß dass es heute eben kein Stein mehr ist.
Dabei hat jeder Teilnehmer zwei Versuche, um die Platten mindestens hundert Zentimeter nach oben zu ziehen. Der bessere Versuch zählt. „Wichtig ist, dass du genau über dem Griff stehst. Damit du ihn senkrecht nach oben ziehst. Sonst ändert sich der Winkel und dir fehlt die Unterstützung aus den Beinen. Dann arbeitest du nur noch mit dem Rücken. Das ist viel anstrengender“, sagt Jannik und schnallt mir noch einen breiten Gürtel um.
Der sieht ein bisschen aus wie der Gürtel meiner Exfreundin. Bei ihr war es ein Accessoire, wie sie mir erzählte. Dieser hier soll meinen Rumpf stabilisieren, wie Jannik mich aufklärt. Als ob das einen großen Unterschied machen würde, denke ich, während ich auf den Kasten steige.
254 Kilo entspricht ungefähr dem Gewicht von vier Schafen. Man könnte mir also genauso gut sagen: „Hey, könntest du mal eben kurz die Schafherde hochstemmen?“
„Ja klar, kein Problem.“
„Moooomeeeent! Der Gürtel.“
„Ups, fast vergessen!“
Wenn es nicht der Gürtel von Batman ist, mit lauter kleinen Gadget-Taschen, in denen sich Anabolikaspritzen befinden, dann sehe ich leider schwarz. Mir tut ja immer noch der Arm weh von dem blöden Fünf-Kilo-Maßkrug. Ich gehe also in die Hocke, beuge mich nach vorne, packe den Griff und versuche meinen Rücken wieder aufzurichten.
Die Szene erinnert mich ein bisschen an das verwunschene Schwert Excalibur, das der Sage nach auf einem Marktplatz in einem Stein steckt, und nur wer würdig ist, kann es dort herausziehen und der neue König werden. Ich bin wohl eher der Dorftrottel, denn die Gewichtsplatten bewegen sich keinen Millimeter. Bevor ich mir noch den Rücken verreiße – oder schlimmer: meine Hose kracht – gebe ich schließlich schwer atmend auf. Als Bayer muss ich ja schließlich auch nur wissen, wie es funktioniert – und nicht gleich einen Rekord aufstellen.
Eine Woche später setze ich mich mit einem Freund im Biergarten an einen Tisch zu ein paar älteren Herren in bayerischer Tracht. Schnell kommt das Thema auf, woher wir kommen.
„Ich bin Münchner“, sage ich.
„Na, du bisd koa Bayer ned.“
„Bin ich wohl“, protestiere ich und fordere ihn zum Maßkrugstemmen auf.
Wollen wir doch mal sehen, wer hier mehr Bayer ist. Da mein Kumpel und ich jedoch jeder nur ein kleines Spezi vor uns stehen und die Herrschaften ihre Maß bereits geleert haben, schlägt mein Gegenüber stattdessen Fingerhakeln vor. Eine weitere traditionelle Sportart der Bayern. Leider hatte ich keinen Verein überreden können, mir eine Probestunde zu geben. Die Verletzungsgefahr sei zu hoch. Die beiden Kontrahenten haken sich mit den Zeigefingern in einen Lederriemen und versuchen den anderen auf ihre Tischseite zu ziehen. Nicht selten reißt dabei die Haut und das Blut fließt. Wenn kein Lederriemen zu Hand ist, keilt man stattdessen die Mittelfinger ineinander.
Mein bayerischer Kontrahent klemmt meinen zarten Schriftstellerfinger so fest ein, dass ich mir auf die Lippe beißen muss vor Schmerz. Er zieht einmal fest – und schon hänge ich mit meinem Bauch über dem Biertisch.
„Na, du bisd koa Bayer ned“, sagt er und lacht.
„Ja mei …“