Bunt, traditionell, vielfältig – das sind die Münchner Stadtviertel. Unser Podcast „Auf eine Runde mit ...“ bietet ganz persönliche Einblicke durch die Linsen der Menschen, die hier leben und ihre Viertel am besten kennen. Diesmal: die Schriftstellerin Nina Sahm zeigt uns ihr Giesing.
Heute gehe ich auf eine Runde mit Nina Sahm durch Giesing, genauer gesagt Obergiesing. Hier finden sich neben alteingesessenen Kneipen auch hippe Lokale und einmalige Ladengeschäfte. Auf der Tegernseer Landstraße wird es schnell laut, biegt man in kleine Seitenstraßen ein, fühlt man sich plötzlich wie auf dem Dorf mit kleinen Häusern und Kopfsteinpflaster. Giesing ist bodenständig und gleichzeitig modern, man kommt schnell mit Menschen ins Gespräch und findet versteckte Schätze. Mehr dazu verrät Nina Sahm: Sie ist Schriftstellerin, ihr aktuelles Buch heißt „Die Tage mit Bumerang”. In Giesing lebt die Autorin und Verlagsredakteurin seit vielen Jahren. Auf eine Runde mit Nina Sahm!
Liebe Nina, wo sitzen wir hier und warum?
Wir machen einen kleinen Spaziergang durch Obergiesing und sitzen gerade tatsächlich an der Grenze von Giesing zur Au, im idyllischen Kronepark.
Unsere Viertelrunde startete an der Shotgun Sister Coffeebar. Was verbindet dich mit dem Café?
Das Café ist tatsächlich ein wichtiger Ort für mich. Wenn ich zuhause nicht mehr weiterschreiben kann oder möchte, gehe ich dorthin und schreibe weiter. Die Shotgun Sister Coffeebar (mittlerweile umbenannt in Barista Sistar) ist für mich ein zweites Wohnzimmer, weil es dort super entspannt ist. Das Café ist für mich der Anlaufpunkt in Giesing.
Weißt du, was es mit dem ungewöhnlichen Namen auf sich?
Ja, Shotgun Sister ist ein Song der Band Friska Viljor und gleichzeitig das Lieblingslied von Katharina. Eine schöne Anekdote: Als Friska Viljor ein Konzert in München gespielt hat, gab es das Café schon eine Weile. Katharina als großer Fan war natürlich dabei und dann hat die Band auf der Bühne verkündet, dass sie von dem Café erfahren haben. Sie fragten dann, ob die Besitzerin des Cafés da ist und alle im Publikum haben dann auf Katharina gezeigt und applaudiert.
Oh, wie schön! Solche Geschichten machen Orte dann ganz besonders. Du hast gerade schon erzählt, dass du gerne in dem Café schreibst – wie kam es denn überhaupt dazu, dass du Schriftstellerin geworden bist?
Durch die Liebe zu den Büchern. Ich war Stammgast in der Stadtbibliothek. Als Kind bin ich jede Woche mit meinem Jutebeutel hingegangen und habe mir Bücher mitgenommen. Die Angestellten kennen mich noch heute, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass jemand so viele Bücher in so kurzer Zeit liest. Ich stand immer vor dem Regal und hatte zwei Ziele vor Augen: 1. Alle Bücher der Stadtbibliothek lesen und 2. Selbst ein Buch schreiben, das dann hier stehen wird. Der Traum war also schon immer da gewesen – es hat nur etwas gedauert. Mit dreißig habe ich meinen ersten Roman geschrieben.
Aber heute steht er in der Stadtbibliothek.
Absolut. Und das Beste ist: Ich habe dort eine Lesung veranstaltet und die Leute der Stadtbibliothek haben meinen Leseausweis aufbewahrt und mir gezeigt (lacht).
Wir kommen später nochmal auf deine Arbeit zurück, nimm uns doch jetzt mit auf deine Route durch Obergiesing.
Gerne. Es ist eine schöne Runde, die man an einem Nachmittag gehen kann. Man startet mit Kaffee oder einer Limonade im Café, dann läuft man zur Tegernseer Landstraße und den Tegernseer Platz, den man auch gerne als Stachus Giesings bezeichnet, weil er das Zentrum des Viertels darstellt. Direkt gegenüber findet man das „Schau ma moi“, das eine unglaublich charmante Mischung aus Boazn, Biergarten und Café darstellt. Es gibt einen kleinen Hof mit einer Linde, wo man am Abend auch ganz entspannt ein Bier trinken kann …
Welches Bier trinkst du da?
Am liebsten eins von Giesinger Bräu, beispielsweise das Helle mit dem Namen Untergiesinger Erhellung. Die Brauerei ist eine Institution des Viertels und befindet sich nur wenige Straßen weiter. Das „Schau ma moi“ ist ein schöner Anlaufpunkt, wenn man noch nicht genau weiß, wie der Abend verlaufen wird und man sich erstmal dort mit Freund*innen trifft. Man kann aber auch gut alleine hingehen.
Ist das typisch für Giesing, dass man einfach ins Gespräch kommt, wenn man alleine unterwegs ist?
Ich habe schon das Gefühl, dass die Leute hier sehr offen sind. Wenn man Giesing mag, fühlt man sich im „Schau ma moi“ wohl.
Danach sind wir durch ein paar sehr schöne Straßen spaziert, während ich mir die ganze Zeit dachte: “Hm, in welches Haus würde ich hier am liebsten ziehen?”
Es war für lange Zeit eine kleine Tradition von mir, am Wochenende durch die sogenannte Feldmüllersiedlung zu laufen. Dort kann man noch den alten Charakter Giesings erkennen, es war ja lange Zeit ein Dorf. In dieser Siedlung stehen heute noch kleine Häuser mit liebevollen Gärten. Du bist nicht die Einzige, die da entlangschlendert und überlegt, wo sie hinziehen möchte. Es lebe das Träumen!
Absolut.
Danach überquerten wir noch einmal die Tegnerseer Landstraße und bogen in die Watzmannstraße ein. Dort befindet sich die Inge-Manufaktur. Es gibt nichts, was ich so oft verschenkt habe, wie den Ingwer-Sirup, den es dort zu kaufen gibt. Der Besitzer stammt aus Giesing und hat früher in seiner Küche den Ingwer eingekocht, mittlerweile wird der hier verkauft gemäß dem Motto: von Giesing in die Welt. In der Gastronomie wird der Sirup mittlerweile auch oft verwendet. Ein schönes Produkt und auch Souvenir mitten aus Giesing.
Wer shoppen geht, bekommt auch irgendwann Hunger. Wo kann man gut essen gehen?
Direkt ums Eck befindet sich mein kulinarisches Highlight, das Restaurant Attentat Griechischer Salat. Der Name gefällt mir als Autorin natürlich. Hintergrund ist der, dass Griechischer Salat ja eine Beilage ist, die zum Souvlaki gereicht wird. Ansonsten bekommt er jedoch nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Die beiden Besitzer dachten sich: Das müssen wir ändern, wir starten eine Attacke auf den Salat und zeigen, wie vielseitig man ihn zubereiten kann. Im Restaurant gibt es deshalb abgefahrene Salatvarianten, leckere Pasta und super Drinks. Ich habe dort auch schon die WM angeschaut und wenn Deutschland ein Tor schießt, wird eine Runde Ouzo spendiert. Ich war mal dort, als ein Spiel 4:0 ausgegangen ist, da war die Stimmung richtig gut!
Danach sind wir noch kurz über den Ostfriedhof geschlendert, der sehr weitläufig und schön angelegt ist. Wie empfindest du es dort?
Als einen ruhigen Platz, wenn man mal kurz durchatmen möchte. Man kann sich auf eine Bank setzen und sich entspannen, dabei ein Buch lesen ...
Und schon sind wir auch bei der letzten Station angelangt. Warum hast du sie ausgesucht?
Das Crönlein am Nockherberg ist eine tolle Bar, um sich mit Freund*innen zu treffen. Es gibt leckeren Wein, Waffeln am Stiel und kleine Pizzen. Das Besondere ist der Ort selbst. Es handelt sich hier um ein ehemaliges, steinernes Klohäuschen am Nockherberg. So wie ich es mitbekommen habe, haben die Besitzer jahrelang Anträge geschrieben, um daraus ein Café beziehungsweise eine Bar machen zu können. Das konnte sich jedoch niemand so wirklich vorstellen. Heute ist es total beliebt, mit seiner tollen Terrasse und dem Anschluss zum Kronepark. Ein ungewöhnlicher Ort, um den Abend ausklingen zu lassen. Witzig ist übrigens, dass die einen vom Crönlein in der Au sprechen, die anderen vom Crönlein in Giesing. Tatsächlich gehörte der Nockherberg bis 1800 zu Giesing, aktuell zählt er jedoch zur Au.
Lustig ist wirklich, dass das Stadtviertel-Schild mit der Aufschrift „Au“ gegenüber vom Crönlein zu finden ist – man kann also Wein und Pizza in der Au holen und über den Park zurück nach Giesing laufen.
Genau.
Wem würdest du Giesing, insbesondere diesen kleinen Spaziergang durch Obergiesing, empfehlen?
Allen, die Lust haben auf etwas Ungewöhnliches. Wer etwas entdecken möchte und sich überraschen lassen will. Giesing hat so viele unterschiedliche Facetten.
Bist du eigentlich bewusst nach Giesing gezogen?
Die Liebe hat mich nach München gebracht und direkt nach Giesing. Rückblickend kann ich sagen, dass ich nie zuvor in einer Stadt oder einem anderen Viertel so schnell angekommen bin wie hier. Schön finde ich auch, dass viele, die aus Giesing stammen, irgendwann wieder zurückkommen, beispielsweise um Gastro-Projekte zu verwirklichen.
Kommen wir nochmal zurück zu deiner Arbeit. Ich glaube, was viele interessiert ist, wie so ein Tag im Leben einer Schriftstellerin abläuft?
Im besten Fall fange ich direkt nach dem Frühstück mit dem Schreiben an. Entweder zu Hause oder im Café, so für zwei bis drei Stunden. Man schreibt ja selten acht Stunden am Stück, da wird auch mal überarbeitet oder drübergelesen. Außerdem empfinde ich es als wichtig für mich, dass ich rausgehe und was sehe. Wenn ich beispielsweise eine Interaktion in der Tram beobachte, komme ich auf neue Ideen.
Kennst du eigentlich ein Buch über die Stadt, das du magst?
Ich lese wenige Krimis, aber welche ich sehr mag, sind die von Friedrich Ani. Der sitzt auch oft im Café „Schau ma moi“, so schließt sich der Kreis. In seinen Krimis beschreibt er immer mal wieder schöne Münchner Ecken.
Welche Münchner Autor*innen kannst du außerdem empfehlen?
Ich liebe Sandra Hofmann, die hat eine unfassbar tolle Art, mit Sprache umzugehen. Ansonsten mag ich Max Scharnigg, der auch für die SZ schreibt. Ein Artikel von ihm hat mich mal zu einer Romanidee inspiriert.
Vielen Dank für den Spaziergang und das Gespräch!