Außenansicht der Villa Stuck in München

Bogenhausen: Franz von Stuck

„Stuck geht immer in die Vollen“

Um 1900 war er ein Superstar: der Maler, Grafiker, Bildhauer und Architekt Franz von Stuck. Wie kein zweiter definierte er die Kunst der Jahrhundertwende in Deutschland und weit darüber hinaus. Und auch noch über 100 Jahre später geht von seinem vielfältigen Werk eine beinahe beunruhigende Faszination aus. Woran liegt das? Wir stellen den Künstler und sieben seiner exemplarischen Werke vor.

Franz von Stuck: Den meisten kulturinteressierten Einheimischen und Gästen Münchens ist vor allem sein architektonisches Erbe ein Begriff – die Villa Stuck in Bogenhausen, eines der schönsten Baudenkmäler der Stadt und eines der bekanntesten Künstlerhäuser international. Von außen im strengen neoklassizistischen Stil gehalten, ist ihr Inneres von der außergewöhnlichen Raumkunst Stucks in Goldmosaik und Wandmalerei geprägt, auf der Rückseite des Hauses befindet sich ein Künstlergarten in pompejanischem Stil.

Die Villa Stuck ist heute ein international renommierter Ort für Ausstellungen vom 19. bis 21. Jahrhundert und zuweilen rauschender Sommerfeste. Im rechten Flügel der Villa befinden sich Arbeiten des Mannes, der das Künstlerhaus im Jahr 1897/98 nach eigenen Entwürfen erbaute, 1914/15 kam das Neue Atelier links dazu. Noch heute wird schnell klar, dass es sich dabei um einen Superstar gehandelt haben muss, um einen Künstler, der schon zu Lebzeit zu fulminantem künstlerischem Erfolg, Ruhm und dadurch auch Geld kam.

Margot Th. Brandlhuber, Leiterin der Sammlungen der Villa Stuck, kennt Leben und Werk des Künstlers wie keine zweite. Sie erklärt: „Seine große Karriere wurde ihm nicht in Wiege gelegt. Er kommt in der bayerischen Peripherie, weitab der wichtigen Kreise zur Welt.“ Geboren wird Stuck (das „von“ kam erst 1906 in seinen Namen) im niederbayerischen Tettenweis bei Passau in bescheidenen Verhältnissen – als Sohn eines Müllers. Sein Talent mit Stift und Pinsel wird jedoch bald erkannt, Stuck besucht in München die Kunstgewerbeschule und die Akademie der bildenden Künste, innerhalb weniger Jahre macht er sich einen Namen als Grafiker, Designer und Karikaturist.

Brandlhuber: „Sein großer Durchbruch als Künstler passiert in den 1890er-Jahren. Mit Stuck wird München – auch durch die erste Secession, die er 1892 mitbegründet – ein internationales Zentrum der Kunst, das kurz vor 1900 förmlich explodiert vor Ideen für die Gestaltung der frühen Moderne, von der bildenden und angewandten Kunst bis zur Architektur. Als Stuck 1893 in Wien ausstellt, schreibt der junge Literat Hugo von Hofmannsthal, man könne es kaum aushalten, wie beunruhigend neu und radikal Stucks Kunst sei. Sie beeinflusste die Wiener Kunstszene und vor allem Gustav Klimt und riss selbst den 17-jährigen Egon Schiele noch im Jahr 1908 zu Bekundungen seiner Verehrung hin.“ Und auch nach über 100 Jahren sprechen Stucks Arbeiten noch unmittelbar zu den Betrachtenden. Margot Brandlhuber bringt diese Faszination auf den Punkt: „Stuck geht immer in die Vollen. Er schont sein Publikum nicht und sucht sich Themen, die so groß, ja archetypisch sind, dass sie alle Betrachtenden etwas angehen.“

Der Wächter des Paradieses, 1889       
Dieses Bild ist Stucks Eintrittskarte in die künstlerische Avantgarde seiner Zeit. Entstanden ist es zu einer Ausstellung im 1931 abgebrannten Glaspalast, Stuck gewann damit eine Goldmedaille zweiter Klasse. Brandlhuber erklärt: „Zu sehen ist eine neue, radikale Version des bekannten Motivs der Vertreibung aus dem Paradies. Der Erzengel, der Adam und Eva die Rückkehr ins Paradies verwehrt, ist hier nicht in eherner Rüstung vor malerischer Paradieslandschaft dargestellt, sondern als androgyner Jüngling in durchscheinendem Gewand, der noch dazu die Züge des jungen Künstlers trägt. Das Paradies selbst ist beinahe abstrakt dargestellt, gleißend hell, der Garten Eden changiert zwischen gelben, rosa, ocker und blauen Tönen, formt Sterne, stiebende Funken und Rosetten.“ Diese aufgeladene Bedeutungskunst sprach nach Jahrzehnten der ausformulierten Akademismus-Malerei zu den Betrachtenden. Ein belgischer Sammler zahlte Stuck 60.000 Goldmark für das Bild – der finanzielle Grundstock für dessen Karriere und den Bau seiner Künstlervilla.

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/derwaechterdesparadieses-40000002

Orpheus und die Tiere, 1891
Auch Stucks Orpheus begeisterte das Publikum. „Der sehr attraktive Männerakt im Viertelprofil war erotisch aufgeladen und erinnert zugleich an Stucks Selbststilisierung als jugendlicher Römer seit Anfang seiner Karriere. Das mythologische Motiv des Orpheus, der mit der Schönheit seines Gesangs Tiere, Pflanzen und sogar Steine zum Weinen brachte, entsprach der Hochachtung, die man damals der Macht der Musik und ihrer unmittelbaren Wirkung auf die menschliche Seele entgegenbrachte. Deutlich wird hier Stucks Wille zur Abstraktion, wenn er auf die seit mehreren Jahrhunderten aus der Mode geratene Technik des Goldgrunds zurückgreift – und diesen statt eines figurativen Hintergrunds verwendet“, so Margot Brandlhuber. „Auch wird seine Ausbildung als Werbegrafiker deutlich – der Schriftzug „Orpheus“ im Bild wirkt wie ein Markenname, seine Typografie hat einen großen Wiedererkennungseffekt.“

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/orpheusunddietiere-40000035

Die Sünde, vor 1906 (erste Version 1893)
Die Sünde ist Stucks bekanntestes Motiv. 13 Versionen davon sind bis heute international bekannt, sie hängen in der Alten Nationalgalerie in Berlin, in der Galleria d'Arte Moderna in Palermo oder im Frye Art Museum in Seattle. Als Stuck das Motiv zum ersten Mal zeigte, in der ersten Ausstellung der Münchner Secession 1893, war das Publikum fasziniert. Alle gaben ein Urteil zur Neuinterpretation des biblischen Sündenfalls ab, waren hin- und hergerissen zwischen Voyeurismus und Scheu. Für Margot Brandlhuber ist das Motiv der Femme fatale bis heute faszinierend. „Die Sünde ist eine der großen Bilderfindungen ihrer Zeit, wer sie einmal gesehen hat – insbesondere die Version auf dem Altar der Sünde in der Villa Stuck – wird sie nicht mehr vergessen. Eine antike Tempelarchitektur bildet den Rahmen, auf den der Bildtitel in der Typografie Stucks graviert ist. Der Künstler erzeugt so eine kulissenhafte Sphäre des Sakralen. Was für eine Inszenierung! Die Frau, wie sie hier gezeigt wird, ist kein Opfer. Bei ihm sind Frauen oft – und die Sünde ist ein Beispiel dafür – selbstbewusst und klug, bisweilen gefährlich und potenziell todbringend für den Mann. Erst die feministische Bewegung dreht diesen historischen Mythos in der Kunst um und besetzt ihn neu.“

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/diesuende-40000009

Selbstbildnis, 1899
Franz von Stuck porträtiert sich seit seinen Anfängen als Maler häufig selbst, hier sieht man ihn im Alter von 35 Jahren. Er hatte alles erreicht. Margot Brandlhuber erläutert: „Er war der jüngste Professor aller Zeiten an der Münchner Akademie und hatte gerade seine einzigartige Künstlervilla nach eigenen Entwürfen vollendet. Auf diesem Bild zeigt er sich mit bezwingendem, selbstbewusstem Blick.“ Auch bei diesem Werk fällt auf: Stuck entwarf für zahlreiche seiner Bilder Rahmen, die er in mehreren Werkstätten fertigen ließ und die man als Teil der Kunstwerke betrachten muss. Margot Brandlhuber erklärt: „Viele Rahmen von Stucks Bildern sind unfassbar aufwendig gearbeitet, er verstand sich nicht allein als Maler, sondern dachte stets auch architektonisch. Die Rahmen sichern die Wirkung seiner Bilder unabhängig von Zeit und Ort, so konnte er den Kontext mitgestalten.“

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/selbstbildnis-40000007

 

Dissonanz, 1910
Margot Brandlhuber: „Dieses Motiv ist die meistverkaufte Karte in unserem Museumsshop, das Bild begeistert Jung und Alt. Ein ungleiches Paar sitzt auf einem Felsblock vor einem hohen blauem Himmel – ein bocksbeiniger Faun und ein rothaariges Kind mit Bockshörnern auf der Stirn. Der Mund des Kindes fährt die Rohrpfeifen einer Syrinx entlang und erzeugt so derartige Misstöne, dass sich der Faun aufgeregt abwendet und schmerzverzerrt die Ohren zuhält. In einem Nacktfoto, das Stucks Frau Mary im gemeinsamen Studio in der Villa aufgenommen hat, posierte der Künstler selbst als Modell für das bukolisch-humorvolle Thema. Die zeitgenössische Diskussion um Konsonanz und Dissonanz der neuen, atonalen Musik, deren erste Werke um 1908/09 komponiert und in München aufgeführt wurden, könnte Stuck den Anlass zu seiner witzigen Bildidee geliefert haben.“

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/dissonanz-40000012

Mary als Griechin, 1916
„Franz von Stuck hatte ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Tochter Mary“, erzählt Margot Brandlhuber. „Sie ist die am häufigsten von ihm porträtierte Person und hatte auch deshalb das Privileg, mit ihm viel Zeit in seinem Atelier zu verbringen, als kindliches Modell mag das zuweilen anstrengend gewesen sein. Stucks Ehefrau die ebenfalls Mary hieß war jedoch nicht ihre Mutter, Tochter Mary entstammte einer früheren Beziehung Stucks vor seiner Ehe. Die Tochter des Künstlers gehörte zu den populären Motiven, ihre Kinderbilder könnte man als unfreiwillige Verkaufsschlager des Künstlers bezeichnen. Mary ist hier in antikem Kostüm als junge Griechin dargestellt, Figur und Hintergrund leuchten in wundervollen Farben! So hochgradig kunstvoll komponiert Stucks Porträts sind, so zeitgemäß ging er auch bei ihrer Fertigung vor. Den meisten Porträts liegen Fotografien zugrunde, die Mary und Franz in einem damals hochmodernen Fotostudio produzierten.“

Link zum Bild:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/tochtermaryalsgriechin-40000037

 

Faun und Nixe, 1893
Dieses kleine Halbrelief ziert den berühmten Künstleraltar, den Stuck im Atelier seiner Villa als Umgebung für eines seiner berühmten „Sünde“-Bilder gebaut hat. Margot Brandlhuber erläutert: „Dabei ging es ihm darum, nicht ein isoliertes Werk, sondern ein ganzes Ensemble zu schaffen, in dem sich verschiedene Gattungen und Themen der Kunst sowie Kunstwerke der Natur zu einer großartigen Einheit – einem Gesamtkunstwerk – verbinden. Die paradiesische Leichtigkeit der beiden Figuren steht im Spannungsverhältnis zur Dramatik der „Sünde“, die sich über den beiden Nautilusmuscheln befindet. Die fröhliche Erotik der Szene zwischen Faun und Nixe ist mit sinnlichem Musikgenuss verbunden. Das ungleiche Paar repräsentiert das freie Leben in einem archaischen Naturzustand jenseits der Zivilisation, das für den Menschen verloren ging.“

Link zum Relief:
https://www.villastuck.de/sammlung-online/detail/faunundnixerelief-40000340

 

 

Fotos: Nikolaus Steglich, Frank Stolle, Christian Kasper
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