Münchens Sterneküchen sind genauso bunt wie die Viertel selbst. Wir treffen die Spitzenköch*innen dort, wo sie selbst gern Mittag machen. Unsere Autorin begleitet diesmal Florian Berger aus dem Gabelspiel auf einen Kebab in Giesing.
Florian Berger und seine Frau Sabrina lernten sich vor fast zehn Jahren im Tantris kennen – er stand in der Küche, sie arbeitete im Service. Mit Mitte zwanzig wagten sie dann gemeinsam den großen Schritt: ein eigenes Restaurant. Das Gabelspiel in Giesing eröffnete 2016 und nur eineinhalb Jahre später war der Guide Michelin am Telefon. Kein Wunder, denn an diesem kleinen und charmanten Sternerestaurant ist einfach alles besonders: die Geschichte, die Immobilie, die Menschen, der Standort, das Viertel und natürlich das Essen.
Das alles erzählt mir Florian Berger heute genauer, doch zuerst einmal treffe ich ihn vor dem Türkitch zum Mittagessen. Der Imbiss ist ein echtes Giesinger Original – mittlerweile gibt es zwar fünf Filialen in der ganzen Stadt verteilt, aber angefangen hat alles hier in der Humboldtstraße: An den Wänden in dem kleinen Laden hängen Schwarz-Weiß-Fotos von türkischen Gastarbeitern, die in den 60er-Jahren so wie der Vater von Betreiber Hayri Onbasi am Münchner Hauptbahnhof ankamen. Onbasi selbst wohnte lange in Berlin und verliebte sich schließlich in das Viertel Untergiesing.
Sein Imbiss, der 2014 öffnete, brachte frischen Wind nach München: So kann Kebab also auch schmecken – mit einem Spritzer Zitronensaft und Minze, hausgemachter Spezial- oder Trüffelsoße und Feta oder Hummus dazu. Und auch das Veggie-Angebot aus Falafel, Halloumi und Gemüse war von Anfang an überraschend groß. Küchenchef Berger bringt es auf den Punkt: „Türkitch schafft den Spagat zwischen dem altbekannten Kebab und einem richtig guten Sandwich.“ Er selbst bestellt meist den klassischen Kebab, so auch heute Mittag. Das Brot ist schön fluffig, das Fleisch gut gewürzt.
„Türkitch schafft den Spagat zwischen dem altbekannten Kebab und einem richtig guten Sandwich.“
Florian Berger legt auf seinem Arbeitsweg gerne einen Zwischenstopp bei Türkitch ein, wenn er vormittags aus der Münchner Großmarkthalle kommt. Dort kauft er die Basics an Obst, Gemüse und Kräutern für's Restaurant in Obergiesing ein. Exotische Sorten bestellt er dann beim jeweiligen Händler wie bei der Bio-Gärtnerei von Johannes Schwarz oder dem Hofgärtner Peter Kunze. Saisonalität und Regionalität sind im Gabelspiel ganz selbstverständlich, das möchte Florian Berger gar nicht an die große Glocke hängen.
Und auch sonst ist der Koch und Restaurantbetreiber ein sehr zurückhaltender Typ. Keiner, der sich mit seinem Stern oder seinem Küchenstil in den Vordergrund drängen möchte. Am wichtigsten ist ihm, dass die Gäste zufrieden sind. Er selbst schafft das eher selten – zufrieden sein mit seiner Arbeit: „Ich bin noch lange nicht da, wo ich sein möchte. Es gibt vieles, was ich gerne umsetzen würde, aber oft fehlt die Zeit dafür. Gerade arbeite ich wahrscheinlich um die 60 Stunden pro Woche, aber ich würde es nicht anders haben wollen. Ich hab meine Stunden auch nie gezählt.“
Mit 15 begann Berger seine Lehre ganz unspektakulär in der Kantine eines Kurheims nahe seiner Heimatstadt Grieskirchen in Österreich. Danach die Entscheidung: Dort bleiben und sich ein entspanntes Leben machen mit geregelten Arbeitszeiten oder raus in die Welt? Er entschied sich für zweiteres: „Ich habe in Gastro-Magazinen über Sterneköche gelesen, daraufhin war mir schnell klar, dass ich mit den Besten kochen möchte.“
Zudem erzählt er, war er schon immer künstlerisch interessiert, hat gerne gezeichnet und auf Leinwand gemalt. Wie kreativ man als Koch arbeiten muss, vor allem in der Sternegastronomie, wird oft vergessen. Sich neue Gerichte ausdenken, zu überlegen, welche Zutaten man wie kombiniert und anrichtet – dieser Prozess kann mehrere Wochen dauern. Im Gabelspiel dürfen alle Mitarbeiter*innen daran teilnehmen, probiert wird dann beim gemeinsamen Personalessen. „Wenn ein neues Gericht entsteht, wird viel diskutiert in der Küche. Zur Forelle passt beispielsweise Säure – das kann Essig sein oder eine Frucht. Dazu brauchen wir dann noch etwas Knuspriges, wie gepufftes Getreide“, erklärt Berger den Prozess.
Nach seiner Ausbildung arbeitete Florian Berger in der Waldschänke in Grieskirchen – der Wechsel von der Kantine zum Fine-Dining-Restaurant war eine Herausforderung und brachte viel Arbeit, neue Eindrücke und auch ganz andere Arbeitszeiten mit sich. „Mir hat es sehr gut gefallen, so viele neue Geschmäcker zu entdecken und jeden Tag dazuzulernen", erzählt er. Danach folgt die für Berger wichtigste Station: das Restaurant Ikarus im Hangar 7 in Salzburg. Jeden Monat ist dort ein anderer internationaler Sternekoch zu Gast – aus Spanien, Hongkong, Italien. Es kommt also vor, dass man an einem Tag noch asiatisch kochte und am nächsten schon italienisch.
„Ich habe in Gastro-Magazinen über Sterneköche gelesen, daraufhin war mir schnell klar, dass ich mit den Besten kochen möchte.“
Als wäre das noch nicht Herausforderung genug, ging es für Florian Berger 2013 dann ins Tantris zu Hans Haas – diesmal nicht nur eine neue Stadt, sondern auch ein neues Land. Den ersten Kulturschock hatte Berger, als er beim Abendessen mit Kollegen einen Almdudler bestellen wollte und die Kellnerin ihn nur verdutzt anguckte. Im Tantris lernte er nicht nur viel über die gehobene Sterneküche, sondern auch seine Frau Sabrina kennen, die zu diesem Zeitpunkt Gastronomiemanagement studierte.
Ein eigenes Lokal war der große Traum von Berger. Nach weiteren Aufenthalten im französischen Restaurant No 15 und dem Tian in München, sowie einem Praktikum bei dem ehemaligen Drei-Sterne-Koch Michel Bras in der südfranzösischen Gemeinde Laguiole, war es dann endlich soweit. Sabrina und Florian Berger wohnten zu dem Zeitpunkt in Obergiesing. Bei ihren Spaziergängen entlang der Tegernseer Landstraße kamen sie immer wieder an dem ehemaligen Bauernhof von 1870 vorbei, in dem damals noch ein französisches Bistro war.
„Wir fanden das Haus mit seinen alten Stockfenstern schon immer total süß. Und als es dann hieß, dass das Bistro schließt, sind wir mit den Schwiegereltern her. Ich weiß noch genau, wir saßen an Tisch acht und waren uns einig – für den Anfang war das kleine Lokal perfekt!“ Die beiden bekamen die Location, nahmen eine Kredit auf und starteten, zuerst einmal nur zu zweit. Sabrina im Service und für Wein zuständig, Florian in der Küche. Mit der Zeit kamen dann nicht nur eine Handvoll Angestellte dazu, sondern eben auch ein Stern vom Guide Michelin.
„Ich habe geheult wie ein kleiner Junge, weil's so ein großer Traum war und es noch mal etwas anderes ist, wenn man das aus eigener Kraft schafft. Alles, was heute hier steht, haben wir uns selbst erarbeitet.“
Es war ein Samstag, Berger zerlegte gerade Sardinen in der Küche, als das Telefon klingelte. Seine Frau ging ran und es hieß: „Herzlichen Glückwunsch, sie dürfen zur Preisverleihung nach Berlin fahren!“. Florian erinnert sich noch genau an diesen Tag im Winter 2018: „Ich habe erst einmal geheult wie ein kleiner Junge, weil's so ein großer Traum war und es noch mal etwas anderes ist, wenn man das aus eigener Kraft schafft. Wir haben keinen Investor, keine Eltern, die Geld reingesteckt haben. Alles, was heute hier steht, haben wir uns selbst erarbeitet.“
Momentan gibt es ein sehr spannendes Gericht auf der Karte – Berger's Lieblingsgang und wahrscheinlich auch bald das Signature Dish vom Gabelspiel: die „Faux Gras“, vegetarische Entenleber aus Nüssen, Pilzen und Roter Beete. Berger ist selbst kein Vegetarier – siehe auch am Kebab und seinem All-time-Lieblingsessen, dem Wiener Schnitzel, wie man das von einem waschechten Österreicher erwarten würde. Aber das Gabelspiel probiert sich gerne neu aus: Wenn Florian Berger und seine Frau am Sonntag und Montag frei haben, probieren sie entweder unbekannte Rezepte oder gehen in München und Umland essen.
Ihre Lieblingslokale befinden sich alle ein bisschen außerhalb – das August und Maria in Aying oder das Miyabi in Grünwald. Mittlerweile wohnen die beiden auch nicht mehr in Obergiesing, sondern etwas weiter draußen in Haar. Florian Berger gefällt es dort gut: „Ich bin ein Landei, ich mag es dörflich. Wir haben einen Hund und sind von dort aus gleich im Wald oder am Wochenende beim Wandern. Die Bergnähe war mir immer wichtig, denn all meine Kindheitserinnerungen sind verbunden mit den Bergen.“
Das Gabelspiel ist allerdings genau richtig hier: „Wir sind geerdet und Giesing ist es auch. Das Viertel ist für mich noch eines der bodenständigsten in München, es ist nicht aufgesetzt. Das liegt wahrscheinlich auch an den Sechzgern, die hier jedes Wochenende zum Spiel laufen.“ Und die hinterlassen auch das ein oder andere Andenken, wie die blau-weißen Graffitis an der Fassade. Woanders würde das stören – wo gibt es schon einen vollgesprayten Bauernhof, in dem sich ein Sternerestaurant befindet? Eben nur in Giesing.