Haxe, Niere, Backen, Schwanz: Ungewöhnliche Teile vom Tier liegen weltweit im Trend. In München war das schon immer so. Unser Autor ist mal ein bisschen essen gegangen.
Was mich wirklich überrascht: dass in so einem Schweineschwänzchen ein Knochen steckt. Als der Teller mit dem in vier Happen geschnittenen Schweineschwanz endlich vor mir steht, stecke ich mir ein Stück sofort in den Mund und beiße zu. Es knirscht und kracht. Die japanischen Gäste vom Nebentisch schauen entsetzt. Ich spüre ein Stechen im Kiefer, im ganzen Kopf, für einen kurzen Moment bleibt mir der Mund offen stehen. Und dann breitet sich an meiner Zunge, an meinem Gaumen ein unglaubliches Aroma aus: Der fettige, würzige Geschmack des Schweinefleischs, die Süße des Starkbiers, mit dem der Schwanz glasiert wurde.
In den Metropolen dieser Welt entfaltet sich gerade der Nose-to-Tail-Trend, bei dem man ungewöhnliche Stücke vom Tier zubereitet – und nicht nur das Filet oder den Nacken.
Ich kaue und hoffe einfach, dass die Splitter in meinem Mund vom Schweineknochen und nicht von meinem Zahn kommen. Ich wusste gar nicht, wie viel Spaß es machen kann, an einem Stück Knochen zu nagen und zu lutschen. Offenbar muss ich noch viel über das Schwein lernen. Will ich auch. Der Plan ist: mich durch ein ganzes Schwein zu essen, von hinten nach vorne. So will ich zeigen, wie traditionell die Münchner Küche ist – und gleichzeitig wie modern.
In den Metropolen dieser Welt entfaltet sich gerade der Nose-to-tail-Trend, bei dem man ungewöhnliche Stücke vom Tier zubereitet – und nicht nur das Filet oder den Nacken. Der britische Starkoch Fergus Henderson hat die britische Küche mit radikaler Resteverwertung auf Weltniveau gehoben. In Paris wird die traditionelle Bistroküche auf Herz und Nieren geprüft.
Und in Berlin schreiben vollbärtige Köche in krakeliger Schrift Wörter wie Lammleber auf die Büttenpapier-Speisekarte ihres Szenerestaurants und kommen sich sehr innovativ vor.
Im Schneider Bräuhaus, wo ich den Schweineschwanz esse, ist die Speisekarte selbstverständlich gedruckt, laminiert und abgegriffen und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Das Bräuhaus ist nicht cool, sondern gemütlich und eine dieser typischen Münchner Innenstadtwirtschaften, in die sowohl Einheimische gehen als auch Gäste. Der Chefkoch Josef Nagler versteht noch nicht einmal das Wort „Hipster-Lokal“, als ich ihm davon erzähle.
Nagler sieht aus wie ein bayerischer Pirat (wenn es in Bayern Piraten gäbe) und ist riesengroß, beim Händeschütteln komme ich mit meinen Fingern fast nicht um seine rechte Pranke herum. Nagler sagt: „In München hat man schon immer alles vom Rind, vom Kalb, vom Schwein verwertet. Und so ist es bis heute geblieben.“ Das sogenannte Münchner Voressen – ein Ragout aus Innereien – steht bis heute in vielen Gasthäusern auf der Speisekarte. Natürlich auch im Schneider Bräuhaus.
„Für mich ist die Schlussfolgerung, dass wir den Tieren mit Respekt begegnen. Und dazu gehört auch, dass man alle Teile des Tiers isst."
In Deutschland werden pro Jahr 750 Millionen Tiere geschlachtet, darunter knapp 60 Millionen Schweine. Nur etwa zwei Drittel eines Schweins werden tatsächlich gegessen. Der Rest wird weggeschmissen oder weiterverarbeitet (aus der Schwarte kann man beispielsweise Gelatine herstellen). „Mittlerweile machen sich ja viel mehr Leute über die ethischen Probleme des Fleischessens Gedanken“, sagt Josef Nagler. „Für mich ist die Schlussfolgerung, dass wir den Tieren mit Respekt begegnen. Und dazu gehört auch, dass man alle Teile des Tiers isst.“
Nagler hat sogar schon einmal eine Spanferkelhirnpraline hergestellt. An diesem Mittag serviert er mir ungefähr jedes erdenkliche Stück vom Schwein (Brust, Fuß, Leber) und, weil er schon einmal dabei ist, auch gleich noch vom Rind und Kalb. Das Schneider Bräuhaus ist berühmt für seine Innereienküche. Gegen zwei Uhr verlasse ich den Laden. Hungrig bin ich nun wirklich gar nicht mehr. Sondern froh, dass jetzt erst einmal ein längerer Spaziergang vor mir liegt.
Die Gaststätte Großmarkthalle liegt im Süden der Stadt, etwa drei Kilometer vom Marienplatz entfernt, in einem Viertel hinter dem Schlachthof, der dort in den 1870er-Jahren erbaut wurde und der heute noch genutzt wird. Ludwig Wallner, der Wirt der Gaststätte Großmarkthalle, hat die Wirtschaft vor fast zwanzig Jahren zusammen mit seiner Schwester von seinem Vater übernommen.
Seinen Bauch trägt er so stolz vor sich her, als hätte er Wertpapiere darin gelagert. Wallner sagt: „Ich bin ein gelernter Metzger, wie das früher übrigens viele Wirte waren. Natürlich interessiere ich mich da auch für die eher ungewöhnlichen Stücke vom Tier.“
Am Dienstag stehen traditionell Innereien auf der Speisekarte. Warum es ausgerechnet der Dienstag ist, kann Wallner gar nicht begründen. Aber eine Tradition braucht keinen Grund. Wallner stellt mir die sauer eingelegte Niere auf den Tisch, geht nicht weg, sondern schaut mir direkt in die Augen, als ich den ersten Bissen nehme.
Leicht metallische Noten. Eine säuerliche Frische. Schmelzige Süße. Als würde jemand auf einem Klavier in meinem Kopf den perfekten Akkord spielen, drei Töne, die immer lauter werden, je mehr ich kaue, und dann verklingen sie, ganz langsam. Obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, nur drei, vier Bissen zu nehmen, esse ich den ganzen Teller leer (und wische die Soßenreste mit Brot auf).
„Meine Stammgäste erwarten, dass die alten Münchner Gerichte auf der Karte stehen. Und dazu gehören auch die Innereien“, meint Wallner. Noch in den 1980er-Jahren aß jeder Deutsche durchschnittlich gut ein Kilo Innereien pro Jahr. Nun liegt die Menge bei etwa 100 Gramm. „Ich hoffe, das ändert sich wieder. Vielleicht haben ja gerade die jungen Leute wieder mehr Mut und Neugier“, sagt Wallner. Es ist interessant, dass er ausgerechnet diese beiden Charaktereigenschaften nennt. Tatsächlich will der Mensch nicht einfach nur gut essen.
Er will auch ab und zu etwas Neues probieren. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren haben sich die Deutschen ja nicht nur nach italienischen Stränden gesehnt, sondern auch nach italienischem Essen. Mittlerweile kann man in einer Stadt wie München ungefähr jede Länderküche der Welt essen, nigerianisch genauso wie mongolisch (oder sogar holländisch). Vielleicht wird es da Zeit, das eigentlich Vertraute wiederzuentdecken, das vielen Menschen fremd geworden ist. Warum also nicht Schweineschwanz? Oder Schweineniere, gerade weil man sich ein wenig davor gruselt?
Meine letzte Station ist die Gaststätte Walter & Benjamin im Münchner Gärtnerplatzviertel. Der Koch, Viktor Gerhardinger, versucht sich an einer „zeitgemäßen bayerischen Küche mit leichten Noten aus aller Welt“, wie er sagt. Gerhardinger ist 26 Jahre alt, ein schlanker ernsthafter Mann, seine Frisur sitzt so perfekt, als hätte er heute Morgen jedes Haar einzeln gewaschen, gekämmt und gelegt.
In seiner Schürze steckt eine Pinzette, die braucht er, um das Essen zu dekorieren. Und der Teller, den er mir hinstellt, sieht dann auch aus wie der Traum eines kubistischen Malers: Schweinebacke, Schweinekinn. Schweinemaske. Und über noch etwas bin ich froh: Die Portion ist ziemlich klein.
Als ich die ersten Bissen nehme, geht in meinem Inneren ein riesiger Reißverschluss auf. Die Backe schmilzt auf meiner Zunge und besitzt in Reinform das typische, nussige, frische, säuerliche Schweinearoma. Das Kinn hat den festen knackigen Biss, den nur Schweinefleisch besitzt. Die Schweinemaskenchips sind so knusprig, dass ich nie wieder Kartoffelchips essen will. Und ich werde nicht nur süchtig nach dem Geschmack, sondern auch nach dem Knistern und Krachen, wenn ich auf einen Chip beiße: „Es ist auch wichtig, wie sich Essen anhört“, sagt Gerhardinger, der Ingenieur der Perfektion.
Vielleicht wird es Zeit, das eigentliche Vertraute wieder zu entdecken, das vielen Menschen fremd geworden ist. Warum also nicht Schweineschwanz? Gerade weil man sich ein wenig davor gruselt?
Das Kinn hat Gerhardinger erst gepökelt, dann gedämpft und knusprig gebraten, die Schweinebacke gepökelt und dann in Weißwein geschmort, die Schweinemaske weichgekocht, dehydriert und frittiert. „Die seltenen Stücke vom Schwein schmecken erst einmal nicht so gut“, sagt Gerhardinger. „Man muss also etwas draus machen. Man braucht aufwendigere Zubereitungsmethoden.“ Das Ergebnis ist umso spektakulärer, ganz egal, ob es sich um glasierten Schweineschwanz handelt oder um dehydrierte Schweinemaske.
Ich lehne mich in meinen Stuhl zurück, lege die Hände auf meinen Bauch. Ich esse Schweinefleisch, seit ich denken kann (oder länger). Aber erst jetzt weiß ich, wie großartig es wirklich ist. Ich habe mich nicht nur durch ein ganzes Schwein gegessen. Ich habe die Idee von Schweinefleisch verstanden. Und außerdem bin ich so satt, dass ich mir nicht vorstellen kann, je wieder etwas zu essen. Aber das macht nichts. Besser kann es ohnehin nicht mehr werden.