Sie filtern das Licht der Sonne und erzählen Geschichten in leuchtenden Farben: Kirchenfenster faszinieren die Menschen seit Jahrhunderten. Michael Mayer, der in fünfter Generation an der Spitze der Mayer’schen Hofkunstanstalt steht, stellt die spektakulärsten Kirchenfenster der Stadt vor.
Michael C. Mayer ist mit Kirchenfenstern nicht nur aufgewachsen; die Begeisterung für Glas und seine leuchtende Ausdruckskraft in der Kunst dürfte ihm tatsächlich in den Genen liegen. Der gelernte Mosaikbildner, Jahrgang 1967, führt in fünfter Familiengeneration die Mayer’sche Hofkunstanstalt in der Münchner Innenstadt – eine weltweit führende Werkstätte für Glaskunst. Wo also anfangen, in einer an faszinierenden Kirchenfenstern nicht gerade armen Stadt wie München? Mayer liebt die modernen Werke, ist aber auch stolz darauf, dass seine Werkstätte die Technik der klassischen Glasmalerei über Jahrhunderte erhalten hat. Ein Lieblingsfenster? Unmöglich! Aber zu einem Streifzug durch die Vielfalt dieser Kunst lädt er gerne ein.
„Da fehlt doch was, mag man vielleicht denken, wenn man zum ersten Mal die vier seitlichen Fenster der Salvatorkirche entdeckt: Nur einzelne farbige Felder schmücken die sonst spärlich mit schwarzen Linien verzierten Fenster, viele Flächen sind fast ganz klar geblieben. Das gotische Gotteshaus in der Altstadt nahe dem Odeonsplatz ist seit 1829 griechisch-orthodox. Künstlerisch ist es ein interessantes Beispiel für richtigen und aktuellen Denkmalschutz. Tragisch an diesen Fenstern ist nämlich, dass die ursprünglich spätgotischen Exemplare vom Ende des 15. Jahrhunderts – wie so viele in Münchner Kirchen – 1941 ausgebaut wurden, um sie vor den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zu schützen.
Eingelagert waren sie in der Deutschen Bank. Das Gebäude wurde allerdings bei einem Angriff vollkommen zerstört. Die Glasfenster schmolzen quasi zusammen, nur wenige Fragmente blieben erhalten. Die wurden in den 90er-Jahren in einer großen Kiste auf der Empore wiederentdeckt. Die ursprünglichen, farbigen Fragmente hat man dann nach alten Fotografien, die es glücklicherweise gab, wieder zusammensetzen können. Der übrige Platz wurde mit speziell überzogenem Klarglas aufgefüllt, nur die Konturen der Szenen sind dunkel nachgezeichnet. Das war eine Puzzlearbeit über viele Jahrzehnte hinweg. Aber ich finde, es zeigt einen guten Weg, mit diesem mittelalterlichen Erbe und vor allem seinen Fehlstellen umzugehen.“
„Die Wahl dieser Fenster wird sich vielleicht nicht auf den ersten Blick erschließen: In der monumentalen, denkmalgeschützten Trauerhalle aus dem Jahr 1931 wirken sie zunächst sehr einfach. Keine Figuren, keine Szenen, wenige Farben. Aber ich mag diese Werke von Karl Knappe sehr. Ein Universalkünstler, der von 1884 bis 1970 lebte, malte, zeichnete, Skulpturen schuf und eben auch viel mit Glas arbeitete. Er war sehr eng mit meinem Großvater verbunden und hatte für unsere Firma eine nachhaltige Bedeutung, weil er uns stark in Richtung Moderne beeinflusste und das Mosaik entscheidend weiterentwickelte. An diesem Raum mag ich die perfekte Verbindung der Architektur mit den zarten, schlichten Glasfenstern, die eine unwahrscheinlich schöne Ruhe in diesen Bau bringen.“
„Natürlich die Frauenkirche, unser Dom! Hat man die nicht gesehen, kennt man die Münchner Kirchenfenster nicht! Diese spätgotische Kirche, 1494 fertiggestellt, vereint Fenster verschiedener Stilrichtungen: Vorne im Chorbereich hat man die mittelalterlichen, noch erhaltenen Werke gruppiert, wie zum Beispiel das original gotische Scharfzandtfenster von Peter Hemmel aus dem Jahr 1490, benannt nach dem Stifter Wilhelm Scharfzandt; es zeigt drei Szenen aus dem Leben Marias.
Teilweise stammen die Fenster noch aus der Vorgängerkirche um das Jahr 1430, etwa das Dreikönigsfenster oder die ,rot-grüne Passion‘ in der Kapelle Mariä Opferung. Weiter hinten im Kirchenraum kommen dann die moderneren Fenster. Aber da wurde ein sehr guter Übergang geschaffen. Das wirkt nicht – in manchen Kirchen ist das ja so – wie eine Galerie, wo jeder Künstler ein Fenster gestalten durfte, die miteinander gar nichts zu tun haben. Ich mag besonders wieder ein Werk von Karl Knappe: ,Die Engel Gottes Wächter über die Erde und ihr Wachstum‘ von 1961 über dem Sixtusportal an der Nordseite der Kirche. Die Engel schützen auf dem Bild die Erde vor der Atombombe. Künstlerisch faszinierend, inhaltlich berührend.“
„Es gab Anfang des 19. Jahrhunderts dreizehn Glasmalereibetriebe in München. Diese neugotische Kirche am Johannisplatz in Haidhausen bietet eine sehr interessante Mischung der verschiedenen Werkstätten: Da findet man Fenster von uns, aber auch von Kirchmair/Brückl, Bockhorni oder van Treeck. Diese Vielfalt ist natürlich vor allem für Fachleute spannend, dem Laien bietet die Kirche ein künstlerisch faszinierendes Erlebnis. Denn die Fenster stammen komplett aus einer Epoche. Sie sind alle zwischen 1903 und 1918 entstanden, und passen deshalb stilistisch perfekt zueinander. Hinter dem Altar zeigen sie den Kirchenpatron Johannes den Täufer; im Kirchenschiff geht es um das Leben und Wirken von – heute zum Teil unbekannten – Heiligen. Entworfen hat sie fast alle der Münchner Künstler Augustin Pacher, der sich im ,Fenster der Ordensleute‘ links im Kirchenschiff als Kunstmaler in Grau selbstporträtierte. Die Fenster zeigen trotz der neogotischen Grundhaltung oft deutliche Anleihen aus dem Jugendstil. Ganz unten finden sich häufig Hinweise auf Stifter, Künstler und Werkstätte des jeweiligen Fensters.“
www.pfarrverband-haidhausen.de
„Lassen Sie den lauten Marienplatz hinter sich, gehen Sie im Rathaus ein Stockwerk hoch und staunen Sie: Im Gedenkraum wird an die Toten der beiden Weltkriege, aber auch an die im Dienst verunglückten Angestellten der Stadt erinnert. Auch an diesem Raum, 1958 geschaffen zum 800. Stadtgeburtstag, mag ich die ruhige Stimmung, die wesentlich durch die Glasfenster bestimmt wird. Wie die in der Trauerhalle im Friedhof am Perlacher Forst sind sie von Karl Knappe, mit blauen Elementen seitlich und oben, leicht opaleszent. Das bedeutet, dass das Glas ein wenig ins Milchige changiert und dadurch mehr Licht einfängt. Die Fenster scheinen auch bei trübem Wetter richtig zu leuchten. Übrigens ist auch das goldfarbene Steinmosaik an der Stirnseite von Karl Knappe.“
Eine Tour durch das Neue Rathaus
„Selten, dass in einer Großstadt wie München noch neue Kirchen gebaut werden. Hier in Neuhausen war das 2000 der Fall, nachdem die frühere Kirche dort abgebrannt war. Die Architekten Allmann Sattler Wappner haben ein fantastisches Gotteshaus gebaut, dessen vorangestelltes Portal in kompletter Höhe des Bauwerks aus blauem Glas besteht. So gesehen vielleicht das größte Kirchenportal weltweit und ein ganz besonderes ,Fenster‘. Denn dieses Glas haben wir nach den Plänen des britischen Künstlers Alexander Beleschenko mit blauen Nagelsymbolen bedruckt. Diese sind nicht zufällig angeordnet, sondern entsprechen den Buchstaben des Alphabets. Beleschenko hat damit einen Text aus der Passion des Johannesevangeliums codiert. Er hat eine biblische Geschichte erzählt, wie die figürlichen Glasmaler in vielen hundert Jahren zuvor, aber eben auf moderne Art. Diese Technik, das Glas mit Schmelzfarben erhaben zu bedrucken, haben wir übrigens erst in den 90er-Jahren gemeinsam mit dem Künstler entwickelt.“
„Noch mal ein Neubau, diesmal in der Messestadt Riem aus dem Jahr 2005 mit zwei faszinierenden modernen Kirchenfenstern: Die Künstlerin Hella Santarossa hat hinter dem Altar ein riesiges Fenster in ,Action Painting‘-Technik gestaltet: 17,5 mal sieben Meter groß! ,Resurrectio‘, Auferstehung, heißt das in verschiedensten Gelbtönen leuchtende Werk. Es ist nach Westen ausgerichtet. Kommen Sie also am Nachmittag hierher! Das strahlend goldene Licht, das den Kirchenraum erfüllt, ist umwerfend. Und dann trotz aller Faszination bitte umdrehen! An der gegenüberliegenden Seite sehen Sie nämlich ein weiteres großformatiges Glaskunstwerk: Den Kreuzweg von Horst Thürheimer auf 14 Glasflächen, jede etwa 100 mal 285 Zentimeter groß, die sich alle zum Kirchenraum öffnen lassen. Das Werk ist abstrakt, aber malerisch sehr gut gemacht. Der Kontrast des düsteren Kreuzwegs zur leuchtenden Auferstehung hinter dem Altar hat eine enorme Kraft.“
„Diese große Kirche gegenüber der Praterinsel ist quasi der evangelische Dom von München. Die ursprünglichen Fenster, Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen, wurden alle im Krieg zerstört. Beim Aufräumen auf einem Speicher unserer Werkstätten fanden wir vor einigen Jahren Zeichnungen der beiden Rosetten über der Süd- und der Nordseite der Kirche. Die waren vom britischen Künstler William Francis Dixon 1896 geschaffen worden. 2008 nahm sich der Künstler Reiner John diese Zeichnungen vor und setzte sie zeitgemäß um, mit einem bronzefarbenen Raster und den angedeuteten figürlichen Zeichnungen in Schwarz. Die Rosette im Süden mit dem blauen Farbakzent in der Mitte stellt die Himmelfahrt Christi dar, die andere Christi Geburt. Über dem Altar strahlen außerdem Fenster, die 1946 geschaffen worden sind, teilweise vom Künstler Hermann Kaspar. Er blieb wegen seiner führenden Rolle im Nationalsozialismus umstritten.“