Brot wird in Deutschland jeden Tag millionenfach gebacken und gegessen – doch seine Herstellung ist eine Kunst. Unser Autor hat beim Münchner Biobäcker Julius Brantner eine Probeschicht absolviert – und dabei herausgefunden, ob er selbst das Zeug zum Meisterbäcker hätte.
Für einen kurzen Moment beneide ich die plumpen, mehlbestäubten Teigstücke, die vor uns auf der Arbeitsplatte liegen. Gleich werden sie von kräftigen Bäckerhänden massiert und eingeschlagen, davor durften sie 48 Stunden lang ruhen. Klingt herrlich. Die Müdigkeit, die ich bisher nicht gespürt habe, hat mich offenbar doch eingeholt. Meine Gedankenspiele vom Rumhängen in einer der großen Teigwannen werden unterbrochen von Julius Brantner, der mir in seinem weichen Schwäbisch erklärt, wie wir mit den fertig geformten Laiben weiter verfahren: „Mir backet direkt auf em Stein für mehr direkte Hitz“, sagt er. „So bekommet mir a resche Kruste und des Brot bleibt länger frisch, weil weniger Feuchtigkeit entweicht.“
Nur die sonst unsichtbaren Menschen, die München für den nächsten Tag vorbereiten, sind schon unterwegs: Stadtreinigung, Müllabfuhr, Lieferwagen. Ich spüre eine Verbundenheit mit ihnen, natürlich ist die eingebildet, trotzdem bin ich heroisch gestimmt.
Ein paar Stunden zuvor: Da fühle ich mich noch munter, obwohl finstere Nacht herrscht. Es ist kurz nach vier Uhr morgens, ich bin mit dem Fahrrad auf dem Weg in die Kreuzstraße 1, zu einer der beiden Backstuben von Julius Brantner. Ein sichtbar angetrunkenes Paar lässt sich erschöpft auf die Rückbank eines Taxis fallen. Ansonsten sind die Straßen leer. Nur die sonst unsichtbaren Menschen, die München für den nächsten Tag vorbereiten, sind schon unterwegs: Stadtreinigung, Müllabfuhr, Lieferwagen. Ich spüre eine Verbundenheit mit ihnen, natürlich ist die eingebildet, trotzdem bin ich heroisch gestimmt. Wir halten die Stadt am Laufen, während alles schläft! Mein winziger Beitrag zu diesem stillen Wunder des Alltags soll sein, den Bio-Bäcker Julius Brantner dabei zu unterstützen, die Menschen in München mit frischem Brot zu versorgen.
Zum Backen hatte ich immer ein ambivalentes Verhältnis. Ich liebe das Ergebnis, kann mir kaum einen größeren Genuss vorstellen als eine Scheibe gutes, frisches Sauerteigbrot mit einer dicken Schicht Salzbutter. Auch was Kuchen, Torten und Teilchen betrifft, würde ich mich als zugänglich beschreiben. Mit der Herstellung, also dem Backen selbst, bin ich allerdings nie warm geworden. Während ich mich beim Kochen auf mein Bauchgefühl verlasse, zwischendurch immer wieder abschmecken und nachjustieren kann, fühle ich mich beim Backen von Rezept und Küchenwaage terrorisiert.
Julius Brantner stammt aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie im Schwarzwald, er übt das Handwerk mittlerweile in dritter Generation aus.
Sobald die Ofentür zu ist, regiert die Hoffnung. Meistens wird sie enttäuscht. Bei unserem München-Botschafter Julius Brantner möchte ich herausfinden, ob ich tatsächlich völlig frei von Backtalent bin – oder ob ich bisher einfach den falschen Ansatz hatte. Wenn es mir jemand sagen kann, dann er. Julius Brantner stammt aus einer alteingesessenen Bäckerfamilie im Schwarzwald, er übt das Handwerk mittlerweile in dritter Generation aus. 2019 eröffnete er eine eigene Backstube in Münchens Maxvorstadt und wurde quasi über Nacht zu einem der beliebtesten Bäcker der Stadt. Mittlerweile hat er eine zweite Backstube, es ist zum gewohnten Bild geworden, dass vor ihnen die Menschen in langen Schlangen warten, um sich mit frischem Brot, Semmeln, Croissants und Brezen einzudecken.
Als ich in der Backstube ankomme, erhält mein Stolz auf das frühe Aufstehen direkt einen Dämpfer. Julius erwartet mich bereits; gut gelaunt erzählt er, dass er schon seit halb drei Uhr da ist. Auch Mandy und Philipp, mit denen ich mir die Schicht heute teilen werde, sind schon am Arbeiten. Es duftet nach Teig und Kaffee, aus den Lautsprechern kommt pumpender Techno. Meine erste Aufgabe ist es, Julius bei den Handsemmeln zu unterstützen. Der Teig wurde schon am Vortag gemacht, er durfte 16 Stunden ruhen und wurde portioniert. Jetzt geht es darum, ihn in die richtige Form zu bringen.
Nach wenigen Sekunden legt er die fertig eingeschlagene Semmel auf ein bereitgestelltes Tablett. Ich bitte um ein Instant Replay. Julius lacht und zeigt mir die Handgriffe erneut in Zeitlupe.
Julius nimmt sich eine der kleinen Kugeln, walkt sie ein paarmal, dann faltet er mit blitzschnellen Bewegungen den Teig von außen nach innen, unterbrochen von kurzen Karateschlägen mit der rechten Handkante. Nach wenigen Sekunden legt er die fertig eingeschlagene Semmel auf ein bereitgestelltes Tablett. Ich bitte um ein Instant Replay. Julius lacht und zeigt mir die Handgriffe erneut in Zeitlupe. Währenddessen erklärt er mir die Ursprünge der Handsemmel, die mit der geläufigeren Kaisersemmel verwandt ist.
Letztere erhält ihr charakteristisches Aussehen durch einen sternförmigen Einschnitt, der heutzutage in aller Regel von einer Maschine gemacht wird. Im Original entsteht der Stern aber durch die spezielle Einschlagetechnik, die mir Julius gerade vormacht. „Früher war das noch Teil der Bäckerausbildung, aber heute macht das eigentlich keiner mehr“, erzählt Julius. Er vermutet, dass sie in München die einzige Bäckerei sind, in der die Handsemmeln noch von Hand eingeschlagen werden.
Nach einigen zermürbenden Fehlversuchen bekomme ich langsam ein Gefühl für die Abfolge der Bewegungen. Auch Julius wirkt einigermaßen zufrieden und verschwindet in den Keller, um nach dem Sauerteig zu sehen. Nach etwa 20 Minuten kommt er zurück und begutachtet meine Arbeit. Durch das händische Einschlagen ist jede Handsemmel ein Unikat, die von mir geformten sehen besonders einzigartig aus.
Bin ich etwa ein verkanntes Semmel-Talent? Ist an mir gar ein Meisterbäcker verloren gegangen?
Julius wirkt überrascht: „Ganz ehrlich, die san gar ned schlecht“, sagt er. Bin ich etwa ein verkanntes Semmel-Talent? Ist an mir gar ein Meisterbäcker verloren gegangen? Zu Philipp gewandt sagt Julius: „Nimmst du Wolfgang seine Kaputte? Die walzet ma platt und machat Salzstangen draus.“ Vermutlich doch nicht. Am Ende bleiben von meinen Versuchen zwölf vorgeformte Handsemmeln übrig, die ich später backen soll.
Als Nächstes steht das Bio Brothandwerk 25 an, Julius Brantners Signature-Brot, dessen Geschmack zu einem nicht unerheblichen Teil für seinen kometenhaften Aufstieg verantwortlich sein dürfte. Auch hier ist der hellbraune Teig bereits fertig, er durfte 48 Stunden lang gehen und wartet in großen Kunststoffwannen darauf, in Form gebracht zu werden. Julius und Philipp heben eine Wanne an und kippen den Teig auf die Holzarbeitsplatte. Ein viskoser Miniaturberg, der mit seinen Schlaufen und Verwerfungen einen geradezu skulpturalen Charakter hat.
Sobald ich mich darauf konzentriere, eine aus dem Ruder gelaufene Bewegung in der einen Hand zu korrigieren, unterläuft mir in der anderen Hand derselbe Fehler. Es ist zum Verzweifeln schwierig.
In rasender Geschwindigkeit beginnen Mandy und Philipp, den Berg mit Teigspachteln abzutragen und mithilfe einer Waage zu portionieren. Julius schnappt sich zwei Teigportionen und beginnt, sie mit beiden Händen in rhythmischen, kreisförmigen Bewegungen in Form zu kneten. „So entwickeln wir Spannung“, erklärt er diesen Schritt. Am Ende dreht er den Teig einmal um, rollt ihn zärtlich in eine zylinderartige Form und gibt ihn in einen ovalen Gärkorb. Jetzt ich. Julius besteht darauf, dass ich es auch direkt mit zwei Teigen gleichzeitig probiere.
„Man denkt, mit einem anfangen is einfacher, aber am Ende geht's schneller, wenn ma's glei richtig lernt“, sagt er. Angespornt von seinem Vertrauen in mich, mache ich mich an die Aufgabe. Doch meine Hände wollen nicht, wie ich will. Sobald ich mich darauf konzentriere, eine aus dem Ruder gelaufene Bewegung in der einen Hand zu korrigieren, unterläuft mir in der anderen Hand derselbe Fehler. Es ist zum Verzweifeln schwierig. Julius blickt in mein verkrampftes Gesicht und schmunzelt. Vermutlich kann er sich nicht daran erinnern, jemals nicht in der Lage gewesen zu sein, ein Brot zu formen. Beziehungsweise: zwei ...
Ich bin froh, als ich von Philipp gebeten werde, beim Backen zu helfen. Mittlerweile ist es kurz vor acht Uhr, der gigantische Ofen mit den sechs Klappen spuckt seit Stunden alle paar Minuten duftendes Backwerk aus, die ersten Kunden des Tages blicken bereits erwartungsvoll durch die Schaufenster. Philipp weist mich ein, wie ich mit dem „Schießer“ umgehe, so wird in der Bäckerei die flache Aluminiumschaufel genannt, mit der das Brot aus dem Ofen geholt wird.
Weniger später darf ich die von mir geformten Handsemmeln backen. Sie sehen etwas krumm und schief aus, umso überraschter bin ich, als sie nach einer Viertelstunde perfekt aus dem Ofen kommen.
Als der Alarmton klingelt, ist es so weit: Ich schiebe den Schießer unter eine Ladung Brotlaibe und ziehe ihn vorsichtig wieder heraus. Ich habe panische Angst, mich zu verbrennen oder – was noch viel schlimmer wäre – eins der kostbaren Stücke fallen zu lassen. Doch es geht alles gut und ich kann die Brote in den hölzernen Regalen zum Abkühlen ablegen. Nur mein fehlendes Tempo scheint Philipp nervös zu machen.
Weniger später darf ich die von mir geformten Handsemmeln backen. Sie sehen etwas krumm und schief aus, umso überraschter bin ich, als sie nach einer Viertelstunde perfekt aus dem Ofen kommen. Klar, die hübsche Sternform, die auf denen von Julius zu sehen ist, sieht bei meinen eher wie ein wilder Strudel aus. Trotzdem sind es kleine Prachtstücke, von außen goldbraun und kross, innen wolkengleich fluffig.
Als ich auf dem Weg ins Büro in ein noch warmes Exemplar beiße, weiß ich, dass dieser Moment für immer das Highlight meiner Bäckerkarriere bleiben wird. Denn die, habe ich nach nur einer Schicht beschlossen, ist nach dem heutigen Tag beendet. Er hat mir gezeigt, was für ein wahnwitziges Unterfangen es ist, so etwas vermeintlich Einfaches wie eine Semmel zu backen. Wie schön, dass es in München ganz hervorragende bei Julius Brantner zu kaufen gibt.