Bunte Blumen in einem Gewächshaus in der Stadtgärtnerei in München.

Interview mit Stadtgärtner Thomas Seltmann

Der Gärtner vom Gärtnerplatz

In München gibt es viele Orte mit spektakulärer Blumen- und Pflanzenpracht, mehrmals im Jahr wird von einem Tag auf den anderen alles umgestellt. War gestern noch Winter, ist am nächsten Tag plötzlich Frühling. Thomas Seltmann, der seit über 20 Jahren für die Blumen verantwortlich ist, erklärt die Planung dahinter.

DER HERR DER BLUMEN

 

Herr Seltmann, wie kommt der Frühling in die Stadt?

Es beginnt damit, dass wir bereits im September die mobilen Gitterkörbe mit Erde befüllen. In jeden Korb geben wir 180 farblich abgestimmte Blumenzwiebeln, darunter Gänseblümchen, Stiefmütterchen, Vergissmeinnicht. Zuerst blühen die Narzissen, Hyazinthen und die früh blühenden Tulpen. Das Ziel ist, dass die Körbe von Mitte März bis Mitte Mai blühen. Fuhrunternehmer holen die Gitterkörbe ab, fahren raus und tauschen sie gegen die Latschen und Buchsbäume des Winters aus. So wird die Stadt innerhalb von zwei Wochen von Winter auf Frühling umgestellt. Sobald alle Gefäße für den Frühling verteilt sind, stellen wir in der Gärtnerei neue Gitterkörbe auf, füllen sie mit Erde und bereiten die Sommerbepflanzung vor. In der zweiten Maihälfte kommen die Fuhrunternehmer dann wieder, nehmen die Körbe mit, fahren in die Stadt, tauschen sie mit den Frühlingsbepflanzungen aus – und dann ist Sommer.

Video: einfach Frühling

Seltmann öffnet die Tür zum ersten Gewächshaus, hinter der ein Blumenmeer in den Farben Rot, Rosé, Gelb, Violett und Weiß erscheint.

 

Wow. Beeindruckt es Sie selbst noch, so ein Gewächshaus zu betreten?

Ja. Es ist schon toll, so eine Masse an Blumen zu sehen. Im Sommer sind alle Gewächshäuser bis zum letzten Quadratmeter gefüllt … Moment, ich muss nur kurz die Türe schließen, weil alle Häuser unterschiedlich klimatisiert sind. Wir pflanzen die Keime händisch, am Anfang sind unsere Pflanzen also noch kleine Pflänzchen. Da brauchen sie ein bisschen mehr Wärme. Parallel zu den mobilen Gefäßen, die wir hier zum Beispiel für die Brienner Straße, den Preysingplatz oder die Westenriederstraße vorbereiten, gibt es auch noch die sogenannten Schmuckpflanzungen für 26 Orte in der Stadt, darunter der Gärtnerplatz, der Weißenburger Platz, der Bordeauxplatz oder der Alte Botanische Garten. Jedes Jahr steckt ein neues Farbkonzept dahinter, sowohl im Frühling als auch im Sommer.

Sie leben also immer in der Zukunft. Gibt es auch eine Saison, in der nichts zu tun ist?

Eigentlich nicht. Wenn es eine ruhigere Zeit gibt, dann August – da ist der Sommer schon draußen und der Frühling hat noch nicht wieder angefangen. Aber auch dann arbeite ich an neuen Plänen. Ich habe Ihnen exemplarisch eine Sommerplanung mitgebracht, die ich gezeichnet habe. Auf der Skizze sehen Sie die Planung für ein Beet für den Karolinenplatz. Das ist der Platz im Museumsviertel, mit dem Obelisken in der Mitte. Um den Obelisken sind vier Beete angeordnet. Ich habe Töne in Pink, Rosé und Violett geplant, die farblich bis ins Hellrosa und Weiß reinlaufen. Die Lantanen bilden die Mitte – das sind hochstämmige Wandelröschen, die etwa zweieinhalb Meter hoch werden.

 

Warum haben Sie das so geplant?

Am Karolinenplatz fährt man mit dem Auto oder der Trambahn vorbei, also muss es ein plakativer Platz sein, mit intensiven Farben, die einen anspringen, wenn man vorbeifährt. Wenn ich in der Mitte Höhe habe und den Rest etagenförmig nach unten anordne, ist die Blühwirkung größer.  

Sie planen auch die Bepflanzung für den Gärtnerplatz, der nach dem Architekten Friedrich von Gärtner benannt ist. Fühlen Sie sich von dem Namen auch ein bisschen herausgefordert und wollen, dass es dort besonders schön blüht?

Alle Plätze haben etwas für sich. Gut, der Gärtnerplatz ist mit dem Brunnen in der Mitte und den schönen Fassaden außenrum etwas Besonderes. Am Gärtnerplatz kann man durch die Wege direkt am Beet vorbeigehen, nimmt die Pflanzen viel genauer wahr. Ich muss also darauf achten, dass ich Blattstrukturen und -texturen mit einbaue, also helle Blätter mit dunklen Blättern kombiniere, große Blätter mit kleinen Blättern, dass die Blütenfarben harmonieren, da kommt es auf die Details an.

 

Haben Sie bei so schönen Bepflanzungen manchmal auch Probleme mit Diebstahl?

Das passiert immer wieder mal. Wenn einzelne Pflanzen herausgezogen werden, ist es nicht so dramatisch. Ärgerlich ist, wenn jemand kommt und von einem Beet fünf Quadratmeter komplett herausholt. Da hat man dann natürlich eine Lücke.

 

Das passiert tatsächlich?

Das ist mal passiert. Es ist auch schon passiert, dass wir irgendwelche Lorbeerhochstämmchen gepflanzt haben, die dann verschwanden.

Zurück zu Ihrer Arbeit! Spazieren Sie auch mal durch München, um Ihr Werk zu betrachten?

Ich versuche, alle meine Pflanzungen zweimal in der Saison anzuschauen und fotografisch zu dokumentieren, damit ich sehe, ob sie was geworden sind. Da bin ich jedes Mal zwei bis drei Tage beschäftigt.

 

Kriegen Sie Rückmeldungen von den Einheimischen?

Durchaus. Ich habe sogar mehrere Ordner. Die heißen „Lob und Tadel“, denn Blumen werden zwar meist mit Freude assoziiert und es kommen auch mehr positive Zuschriften, aber es gibt auch mal Kritik. Es kann zum Beispiel passieren, dass die Farbkombination kritisiert wird. Verblüffend finde ich, wie detailliert die Anwohnerinnen und Anwohner die Planungen wahrnehmen. Wir hatten letztes Jahr am Weißenburger Platz Rottöne. Würde ich das dieses Jahr wieder machen, würden die Anwohner und Anwohnerinnen fragen: „Was ist denn da los?“

 

Es muss ein schönes Gefühl sein, wenn die eigene Arbeit so intensiv wahrgenommen wird.

Ja, das hat was. Ich starte mit einem Gedanken, und am Ende blühen die Pflanzen. Es ist auch spannend zu sehen, ob sich meine Gedanken wirklich so entwickeln, wie ich das wollte. Ab und zu passieren Fehler, wenn zum Beispiel falsches Saatgut geliefert wird. Wir erkennen an den Samen nämlich nicht, ob das auch wirklich die Farbe wird, die wir uns wünschen. Manchmal sind das dann überraschende Effekte, bei denen ich mir denke: „Okay, auch nett.“

Was macht ein gutes Farbkonzept aus?

Das liegt natürlich im Auge der Betrachterin oder des Betrachters. Es gibt die klassischen Sachen: Monochrome Pflanzungen in einer Blütenfarbe: Rot, Gelb, Blau, zum Beispiel. Man kann mit Kontrasten arbeiten: Gelb und Violett-Blau. Oder in Dreiklängen: Weiß, Gelb, Blau. Man kann Farbverläufe nehmen, von Weiß über Rosé zu Violett und Dunkelviolett. Ich lasse mich auch inspirieren, zum Beispiel in modernen Museen. Wenn ich da eine Farbkombination auf einem Bild sehe, die ich interessant finde, lasse ich das einfließen. Orangetöne mit einem Dunkelviolett zum Beispiel – das ist kein klassischer Farbverlauf …
hier ist übrigens eine Pflanze für den Sommer, die noch ganz klein ist.

 

Die Vorschau auf den Sommer.

Genau. Das ist jetzt eine Bidens, also eine Goldmarie. Die werden schon jetzt für die Balkone im Rathaus herangezogen, das wird also ein Rathausblümchen. Zu meinem Bereich gehört auch die Floristik. Also Blumensträuße, die bei Empfängen überreicht werden, Kränze für Gedenkfeierlichkeiten oder Ehrengräber. Laut Stadtratsbeschluss dürfen nur fair produzierte Schnittblumen für städtische Gestecke und Kränze verwendet werden. Deshalb produzieren wir die Hälfte unserer Schnittblumen selbst, der Rest kommt aus fair produziertem Anbau. Die Floristinnen und Floristen machen uns Vorgaben, und wir bauen alles in der Gärtnerei an. Die Gärtnerinnen und Gärtner gehen hier täglich durch und schneiden jeden Morgen frische Schnittblumen. Die kommen dann sofort in die zweite Gärtnerei in der Eduard-Schmid-Straße und können dort in der Floristik ganz frisch gesteckt werden.

 

Apropos Floristik. Der offizielle Name Ihres Berufs ist ja ganz schön kompliziert. Sachgebietsleiter der Abteilung …

… Kulturgärten, Dekoration, Floristik und Innenraumbegrünung, genau.

Was sagen Sie also, wenn Sie gefragt werden, was Sie beruflich machen?

Ich bin mit meinem Team für alles Blumige in München zuständig … hier haben wir übrigens noch mehr Schnittblumen, das sind jetzt Nelken. Wir achten darauf, dass wir unsere Pflanzen widerstandsfähig gegenüber Krankheiten, Schädlingen und Pilzen machen. Das Wichtigste ist, dass sich die Pflanzen wohlfühlen. Wenn sich eine Pflanze wohlfühlt, hat sie ein großes Widerstandsvermögen gegenüber Krankheiten und Schädlingen.

 

Wie der Mensch.

Wie der Mensch. Wenn doch mal ein Schädling überhandnimmt, haben wir Nützlinge, denn jeder Schädling hat einen natürlichen Gegenspieler. In diesem Säckchen hier sind Sägespäne und Larven von Nützlingen – die krabbeln dann durch ein kleines Loch in den Bestand und dezimieren die Schädlinge. Dadurch bleibt alles ökologisch. Und seit dem Volksbegehren zur Rettung der Bienen achten wir noch stärker auf pollen- und nektarbildende Pflanzen.

 

Dürfen wir Sie zum Schluss noch fragen, ob Sie irgendeine Lieblingsblume haben?

Dafür ist das Pflanzenreich zu groß. Wir müssen uns als Gärtner oder Ingenieure immer bewusst sein, dass wir nur an der Oberfläche kratzen. Selbst wenn man zwei- oder dreitausend unterschiedliche Pflanzen kennt, ist das ja fast nichts. Deswegen: keine Lieblingsblume, aber die richtige Blume für jeden Platz!

 

 

Text: Nansen&Piccard; Fotos: Frank Stolle