Laura Schieferle ist Geschäftsstellenleiterin des Münchner Kunstareals und kennt sich somit auf dem Gelände und in allen dortigen Kultureinrichtungen aus wie in ihrer Westentasche. Hier erzählt sie von ihren persönlichen Lieblingsstücken.
Ich werde oft gefragt, welches eine Haus im Kunstareal man besuchen soll, wenn man nur wenig Zeit mitbringt. Meine Antwort ist stets: das Lenbachhaus. Das ist das münchnerischste Museum, und die Sammlung des Blauen Reiters hier ist absolut einmalig. Nur wenige der Museumsgäste wissen aber, dass auch der Schriftzug über dem Eingang ein Kunstwerk ist: und zwar von dem aus München stammenden, heute weltweit erfolgreichen Künstler Thomas Demand.
Hier legt er zwei Schrifttypen übereinander. Im Hintergrund befindet sich eine Serifenschrift, die auf das Gründungsjahr des Museums, also 1929, verweist. Darüber montierte er eine sehr schmale und elegante Groteske, also eine serifenlose Schrift, wie sie heute vom Lenbachhaus verwendet wird. Die Arbeit aus dem Jahr 2012 ist so funktional wie subtil. Auf der einen Seite ist sie einfach eine Beschriftung für das Haus. In der Differenz der beiden Schriftarten, die man erst einmal sehen muss, spiegelt sich aber nicht weniger als die bald hundertjährige Geschichte des Museums.
Das Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke, wie es korrekt heißt, ist eine der kleineren Institutionen im Kunstareal. Hier sieht man keine Originale, sondern Reproduktionen berühmter Skulpturen, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Meist, und das ist die Besonderheit eines Abgussmuseums, sind diese vervollständigt, Nasen, Arme und Beine, die im Laufe der Geschichte abhandenkamen, wurden hier nach dem Stand des Wissens nachgebildet.
Man bekommt also einen sehr lebendigen Eindruck davon, wie das Kunstwerk einmal im Originalzustand aussah. Ich mag die Ruhe, die hier herrscht. Oft sieht man auch sehr konzentrierte Studierende beim Zeichnen, die die Abgüsse für Anatomieskizzen nutzen. Das Abgussmuseum eignet sich auch für einen ganz kurzen Besuch, da es keinen Eintritt kostet – und auch am Montag geöffnet ist.
Im Raum „Kunsthandwerk“ im Ägyptischen Museum befindet sich ein Objekt, das mich jedes Mal wieder in seinen Bann schlägt. Es ist ein Glaskelch von Pharao Thutmosis III. Mit ca. 3.500 Jahren ist es das älteste datierbare Glasgefäß der Welt, Glas wurde vermutlich nur 500 Jahre vorher zum ersten Mal hergestellt. Der Kelch trägt den Namen des Pharaos und besticht auch heute noch durch seine extravagante, blau-marmorierte Farbe. Im Inneren befinden sich schwarze, verharzte Reste einer eingetrockneten Substanz. Man geht davon aus, dass es sich um ein kosmetisches Produkt handelt, und der Becher zu dessen Aufbewahrung diente.
Mich fasziniert an dem Objekt, dass es nicht nur ein Kunstwerk, sondern ein tatsächlicher Gebrauchsgegenstand ist. Jemand hat ihn vor über 3.000 Jahren befüllt, dann wurde er im Grab des Pharaos platziert. Ein kleines Fenster in eine längst untergegangene Welt, die dadurch aber plötzlich wieder bunt und lebendig wird.
Als mein Sohn drei Jahre alt war, sagte er eines Tages nach der Kinderkrippe: „Ich war heute im Schlaraffenland. Da kommt man über eine große Treppe hin!“ Ich verstand erst nicht, was er meinte, dann erfuhr ich, dass die Krippe die Alte Pinakothek besucht hatte und die Kinder sich dort nur ein Werk anschauten und erklären ließen: eben Pieter Bruegels „Schlaraffenland“ aus dem Jahr 1567. Um es zu sehen, muss man tatsächlich die Treppe hinaufgehen, daher die Ortsangabe meines Sohnes.
Viele Museen im Kunstareal legen einen Fokus auf das Thema Vermittlung und dieses Beispiel finde ich absolut gelungen. Kinder durch ein ganzes Museum zu hetzen, ermüdet diese nur und macht ihnen wenig Lust auf einen erneuten Besuch. Ganz anders hier: Die Gruppe sah sich nur ein einziges Werk an, das dafür ganz genau. Als mein Sohn nach Hause kam, berichtete er mir begeistert von den Details des Bildes, etwa von dem Ei mit Messer, das auf Beinen läuft. Ein Leben lang wird er einen Bezug zu Bruegel haben.
Immer wieder beobachte ich Menschen, die in der Barerstraße aus der Straßenbahn steigen und verwundert nach oben blicken. Auf dem Dach eines TUM-Gebäudes ist ein Basketballkorb angebracht. Ein vermeintlich ganz gewöhnlicher Basketballkorb, wie man ihn schon hundertmal auf Sportplätzen gesehen hat. Nur dieser hier ist in luftiger Höhe, ich schätze mal, knapp 20 Meter.
Man sieht förmlich die Denkblasen über den Köpfen der Betrachtenden: „Was macht der da oben?“, „Wer kann denn so hoch werfen?“, „Moment mal, das kann doch gar nicht gehen!“ Für mich ist diese Arbeit ein wunderbares Beispiel dafür, wie Kunst, vor allem auch zeitgenössische, funktioniert. Sie irritiert, fordert heraus, stellt Fragen und hat utopisches Potenzial. Oft gehen die Staunenden dann mit einem Lächeln weiter – was will man mehr?