Wer das Schloss Nymphenburg aus einer tatsächlich einzigartigen Perspektive sehen möchte, fährt in einer Gondel über den Schlosskanal. Was zunächst wie ein Gag für Besucherinnen und Besucher wirken mag, hat tatsächlich eine jahrhundertelange Tradition in München. Unter Kurfürst Max Emanuel schunkelten hier bis zu 80 Gondeln und Prunkboote. Ein Gespräch mit dem Vater-Sohn-Gespann Maximilian Koch und Maximilian Maria Koch, den letzten verbliebenen Gondolieri der Stadt.
In München gibt es zwei Gondolieri – einer sind Sie und der andere Ihr Sohn. Wie kam es dazu?
Maximilian Koch: Ich war früher Profisegler. Das mit der Gondel hat sich so ergeben, weil der Alt-Gondoliere Ingo Stahl eine Gondel am Wörthsee hatte, in der ich ab und zu mitgefahren bin. Mein Sohn war damals erst 14 Jahre alt, eigentlich noch zu klein. Aber mit 15 oder 16 Jahren hat er es einfach gekonnt. Heute fährt er besser Gondel als ich, der hat das von der Pike auf gelernt.
Wie kommt man in München an eine original venezianische Gondel?
Maximilian Koch: Vier Jahre ist sie in Venedig gelaufen, bevor wir sie nach München geholt haben. Durch Kollegen in Bamberg hatten wir Kontakt zu venezianischen Gondolieri bekommen und nachgefragt, ob es gebrauchte Gondeln gibt. Meine erste Gondel habe ich geschenkt bekommen.
Wie das?
Maximilian Koch: In Pasing gab es eine große Baufirma, die so eine Art venezianisches Viertel gebaut hat. Dafür haben sie ein gutes Jahr eine ausrangierte Gondel in die Würm gelegt. Ich habe die Firma angerufen und gefragt, was sie damit vorhaben, und schließlich habe ich sie geschenkt bekommen. Dann habe ich sie herrichten lassen und schwimmfähig gemacht.
Sie sagten, dass Ihnen das Gondelfahren am Wörthsee beigebracht wurde. Sind Sie auch schon in Venedig gefahren?
Maximilian Koch: Ja. Ich fahre mit meinem Sohn zwei- bis dreimal im Jahr in den Kanälen von Venedig. Da gibt es einen Gondoliere, den wir zufällig kennengelernt haben, der hat Münchner Wurzeln und lässt uns immer fahren. Wir sind sozusagen auf Fortbildung bei ihm.
Was hat der Nymphenburger Kanal, was die Kanäle in Venedig nicht haben?
Maximilian Koch: Venedig ist immer a bisserl stressig, gerade wenn man über den Canale Grande fährt. Nymphenburg ist eine geruhsame und entspannende und beschauliche Fahrt, also richtig zum Entschleunigen, weil natürlich kein Verkehr ist und es keine Wellen gibt. Gerade wenn man von der Anlegestelle Richtung Kaskade fährt, kommt man im wahrsten Sinne des Wortes in ruhiges Fahrwasser. Links und rechts sind kaum noch Leute, man ist mitten in der Natur. Das war in der Barockzeit eine der größten höfischen Vergnügungen, solche Lustfahrten zu machen.
In Nymphenburg?
Maximilian Koch: Ja. Max Emanuel, der Kurfürst von Bayern aus dem Haus Wittelsbach, hat innerhalb von zwei Jahren 51 Kilometer Kanalbau betrieben. Er hat die Schlösser Dachau, Schleißheim und Nymphenburg verbunden. Man konnte damals bis zur Residenz fahren. Und er hat tatsächlich aus Venedig die Gondolieri mit ihren Gondeln geholt. Dort, wo das Palmenhaus in Nymphenburg ist, haben die Venezianer gelebt, und da war auch die Werft. Neben den typischen Gondeln gab es auch die sogenannte Große Maschine. Das war ein Floß, so breit wie der Kanal, auf dem circa 40 bis 60 Leute tafeln und tanzen konnten. Das Floß wurde getreidelt, das heißt, es wurde mit Pferden oder Ochsen gezogen. Über diesen Kanal zu fahren, war eine der größten Lustbarkeiten überhaupt. Die Fahrten haben 1703 begonnen. 1850 unter Ludwig I. war es dann vorbei. Fast 150 Jahre Gondelbetrieb waren das.
Damals durfte nur der Adel auf die Gondel. Wer kommt heute zu Ihnen?
Maximilian Koch: Wir haben die unterschiedlichsten Fahrten. Wir haben Hochzeiten, wir haben Freundschaftsfahrten, wir haben Hochzeitstage, wir fahren im Jahr mehr als dreißig Heiratsanträge – Minimum. Wir haben immer wieder auch Familien- oder Firmenfeiern. Wir machen auch kulturelle Fahrten mit der Volkshochschule. Wir haben ab und zu auch jemanden an Bord, der singt: den Tenor Guiseppe Del Duca.
Auf Ihrer Webseite steht auch explizit „Der Gondoliere singt nicht.“
Maximilian Koch: (lacht) Ja, genau. Das ist nämlich so ein Filmklischee. Jeder denkt, dass der Gondoliere singt. Immer wenn ich fahre, ruft jemand: Singen Sie? Ich kenne nur einen Gondoliere in Venedig, der ab und zu mal ein Lied schmettert, man hat auch gar nicht die Luft dazu.
Gibt es auch Klischees, die stimmen?
Maximilian Koch: Dass es romantisch ist. Und dass jeder Heiratsantrag immer mit einem Ja beantwortet wird.
Wirklich?
Maximilian Koch: Immer. Wenn man in so einer Gondel ist, ist man in einer anderen Welt. Die Leute sind verzaubert. Das ist das Schöne. Deswegen machen ich und mein Sohn das so gerne. Alle sind gut drauf. Fremde Frauen umarmen einen, man kriegt Trinkgeld, alle lieben einen, es ist wunderbar und ein super Pendant zu unserem Beruf in der Versicherungsagentur, wo es immer nur um Geldanlagen, Schäden, Krankheiten, Todesfälle geht.
Wie viele Heiratsanträge haben Sie mitbekommen?
Maximilian Koch: Seit zehn Jahren machen wir das jetzt, also bestimmt 300. (Dreht sich zu seinem Sohn um.) Oder Mäxi?
Maximilian Maria Koch: Wenn nicht mehr sogar.
Und bei Ihnen haben auch alle Ja gesagt?
Maximilian Maria Koch: Bis jetzt gab es noch kein einziges Nein. Es herrscht Erfolgsgarantie. Zumindest auf der Gondel.
Ach so, nur auf der Gondel?
Maximilian Maria Koch: Ja, da kann man nicht abhauen.
Maximilian Koch: Der erste Heiratsantrag, den ich mitbekommen habe, war eine Frau und eine Frau. Das war schon sehr emotional. An einem Tag habe ich sogar drei Heiratsanträge mitbekommen – das war Rekord. Der erste Heiratsantrag war ein Tourist, kein Münchner, ein Spanier, der das vorher gebucht hatte, alles ganz normal verlaufen. Der zweite war eine Frau und eine Frau. Und der dritte war eine Frau und ein Mann. Und das war deswegen so besonders, weil der Mann so froh war, dass er einen Antrag bekommen hat. Der hat vor Rührung geweint. Das war herzergreifend. Die beiden haben sich so gefreut, das war schon toll.
Würden Sie selbst auch einen Heiratsantrag auf einer Gondel machen?
Maximilian Koch: Ja. Das ist eine besondere Atmosphäre. Und man hat auch Intimität, weil wir als Gondolieri sehr weit hinten stehen.
Maximilian Maria Koch: So drei, vier Meter ungefähr.
Maximilian Koch: Wir kriegen kein Gespräch mit. Man ist dann wirklich für sich alleine. Wir sehen nur, wenn sich der- oder diejenige dann hinkniet.
Ach, manche sagen vorher gar nicht Bescheid?
Maximilian Maria Koch: Zu neunzig Prozent wissen wir das und sind involviert. Aber manchmal wird man überrascht. Die Leute stellen ja auch Fragen, man unterhält sich also, dann ist auf einmal für fünf Minuten Stille. Plötzlich steht jemand auf und kniet sich hin. Dann denkt man sich schon: Okay, hätte ich das gewusst, dann hätte ich mich vielleicht ein bisschen mehr zurückgehalten (lacht).
Maximilian Koch: Einmal habe ich acht Amerikaner in Tracht an Bord gehabt. Einer, ein sehr kräftiger, hat sich plötzlich hingekniet, die Gondel kam leicht ins Wanken, und dann hat er überraschend einen Heiratsantrag gemacht. Ein Heiratsantrag in Tracht auf einer venezianischen Gondel in Bayern, was kann einem Amerikaner noch Schöneres passieren?
Apropos Wanken: Sind Sie schon über Bord gegangen?
Maximilian Koch: Nein, Gott sei Dank noch nicht. Auch kein Gast. Wir haben eine Altersgruppe zwischen vier Wochen und 102 Jahren. Vor drei Jahren wurde ich angerufen, man wollte den Geburtstag der 100-jährigen Oma feiern. Guad. Die Dame kam dann, elegant, mit graublauen Haaren, sehr gepflegt, da musste ich gar nicht richtig helfen, sie ist einfach nach hinten durchgegangen. Den 70-jährigen Kindern habe ich mehr in die Gondel helfen müssen als dieser 100-jährigen Dame. Ein Jahr später klingelt das Telefon erneut: 101. Wieder das Gleiche. Dann habe ich zu ihr gesagt: „Wollen Sie im nächsten Jahr nicht mal was anderes machen, Fallschirmspringen oder so was?“ Im letzten Jahr kam sie wieder: mit 102.
Maximilian Koch: Das ist toll. Wir haben viele ältere Menschen, die sich da einen Wunsch erfüllen, entweder weil sie vor 40 Jahren das letzte Mal in Venedig waren oder weil sie noch nie in Venedig waren und das immer mal vorgehabt haben.
Wie war das denn für Sie, als Sie das erste Mal selbst Gondel gefahren sind?
Maximilian Maria Koch: Frustrierend (beide lachen). Das trifft es eigentlich ganz gut. Es sieht so leicht aus, wenn man einem Gondoliere zuschaut. Der steht da oben, rudert los und das Boot fährt. Wenn man dann selber mal das Remo – also das Ruder – in der Hand hat, merkt man, wie schwierig es ist, das Ruder überhaupt in der Forcola, also der Rudergabel zu behalten. Und wenn man fährt, fährt man erst mal im Kreis.
Maximilian Koch: Da sind wir dann bei der „bella figura“: Egal, wie schwer es ist, es muss immer gut ausschauen. Kein angestrengtes Gesicht, immer lässig – das hat uns unser venezianischer Gondelfreund beigebracht.