Eine typische Straße in Neuhausen-Nymphenburg mit alten Villen und ihren Türmchen, Verzierungen und Loggias.

Viertelliebe: Neuhausen-Nymphenburg

Viele München in einem

Neuhausen vereint viele widersprüchliche Seiten in sich: Manche Orte zählen zu den bekanntesten Münchner Sehenswürdigkeiten. Gleich daneben aber gibt es Straßen, in die sich Zugereiste so gut wie nie verirren. Schade eigentlich. Besonders nette Läden, Cafés und Restaurants gibt es in Neuhausens Straßen rund um den Rotkreuzplatz, zum Beispiel in der Volkartstraße. Über den Charme eines Stadtteils, der so divers ist wie kein zweiter.

Neuhausen oder, um den korrekten Namen zu verwenden, Neuhausen-Nymphenburg, hat eine eindeutig multiple Persönlichkeit. Innerhalb weniger Gehminuten gelangt man hier schon mal von einem Szenario in ein komplett anderes. Neben Schloss Nymphenburg, Parks, Biergärten, Villen und Wohngebieten trifft man hier auch auf Industrie und stark befahrene Straßen. Damit ist das Viertel so etwas wie eine Miniatur der gesamten Stadt: eine Art München in klein.

Sie  nannte das Schloss nach ihren liebsten Fabelwesen, den Nymphen.

Der Grund für diese Vielfalt liegt in der Historie des Viertels. Einst war Neuhausen ein kleines, unbedeutendes Dorf im Nordwesten Münchens. 1664 dann geschah etwas, das das Viertel bis heute entscheidend prägt. Anlässlich der Geburt des bayerischen Thronfolgers Max Emanuel beauftragten seine Eltern, das Kurfürstenpaar Ferdinand Maria und Henriette Adelaide von Savoyen den Bau einer Sommerresidenz nach dem Vorbild italienischer Landhäuser aus der Heimat der Kurfürstin. Sie  nannte das Schloss nach ihren liebsten Fabelwesen, den Nymphen. Zahlreiche dieser mythischen Quellgeister sind auf den Deckengemälden in den Appartements der Kurfürstin verewigt.

Wo die Nymphen herrschen

Das Schloss ist ein typisch barocker Repräsentationsbau: streng geordnet und symmetrisch. Es präsentiert sich aber auch als State of the Art der damaligen Baukunst. Die Herrschaften wollten der Enge und damit auch der Dunkelheit der Stadt entfliehen. Die Fassaden des Gebäudes hatten deshalb ein Maximum an Fenstern zu enthalten.

Das macht auch noch heute Eindruck. Am Abend leuchtet die untergehende Sonne von der Parkseite her durch die riesigen Rundbogenfenster im Mitteltrakt hindurch und verleiht dem Schloss eine zauberhafte Transparenz. Man muss nicht unbedingt psychedelische Substanzen zu sich genommen haben, um von diesem Lichtspektakel überwältigt zu sein.

 

Grün für alle

Die eigentliche Sensation des Viertels aber und weit über die Grenzen Neuhausens, ja Münchens und Deutschlands hinaus bekannt ist der Schlosspark. Es ist nicht der größte Park in München, aber derjenige, an dem man sehr viel über die Geschichte des Gartenbaus lernen kann.

Ursprünglich, also Anfang des 18. Jahrhunderts, wurde er als Barockgarten angelegt: die Natur gezähmt, flache, streng symmetrische Rabatten neben Kieswegen, alle Sichtachsen verweisen auf das Zentrum der Macht, den absolutistischen Herrscher und sein Schloss. Ganz anders der anschließende Landschaftspark, der um die Wende zum 19. Jahrhundert angelegt wurde – ein dichter, eingewachsener Mischwald, ideal rhythmisiert von Wiesen und Seen. Hier möchte man sich verlieren.

 

Der erste Biergarten (Münchens)

Die Sommerresidenz der Wittelsbacher prägte das neue Viertel aber weit über das eigentlichen Schlossareal hinaus. Denn natürlich durften sich die herrschenden Männer nicht langweilen. Das konnte nur sichergestellt werden, indem sie in unmittelbarer Umgebung des Schlosses jagen konnten. So entstanden der Taxisgarten (hier tummelten sich Fasane als Zielscheiben) und vor allem der Hirschgarten. Bereits 1791, 20 Jahre  vor der eigentlichen Geburtsstunde der bayerischen Biergärten, durfte der Revierjäger hier Bier ausschenken. Vor allem deshalb gab es an Sommertagen lange Pilgerströme aus der Stadt. Hedonismus war in Bayern ein Band, das Obrigkeit und Volk eng aneinanderknüpfte.

Hedonismus war in Bayern ein Band, das Obrigkeit und Volk eng aneinanderknüpfte.

Der Ruf eines Vergnügungsviertels verfestigte sich in den kommenden Jahrzehnten. Unzählige Gaststätten und Schankflächen entstanden in der näheren Umgebung des Schlosses. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs existierte hier der „Volksgarten“, eine Art permanentes Oktoberfestes, an den heute nur noch der Name der Volksgartenstraße erinnert.


Funktionale Anbauten an die Stadt

Im 19. Jahrhundert entstanden in Schlossnähe zahlreiche Villenviertel – es war schick, in unmittelbarer Nähe der Wittelsbacher Sommerresidenz zu wohnen. Um etwa die gleiche Zeit wurden in Neuhausen-Nymphenburg aber auch Kasernen, Fabriken und Brauereien gebaut, denn mit der Industrialisierung platzte München aus allen Nähten. Der Ausbau des Mittleren Rings war 1972 ein weiterer gravierender Einschnitt.

Man ist unter sich

Seitdem ist Neuhausen, wie es ist: für Außenstehende aufgrund seiner Parzellierung – heute könnte man es auch Diversität nennen – oft verwirrend. Von Einheimischen wird das Viertel aber genau deshalb so heiß geliebt.

Mal abgesehen von den großen Attraktionen, dem Nymphenburger Schloss, dem Botanischen Garten, dem Hirschgarten und der Herz-Jesu-Kirche – verirren sich nicht viele Nichtneuhausenerinnen und Nichtneuhauser hierher. Eine Ausnahme ist noch das Krankenhaus des Dritten Ordens, das den Ruf einer der besten Entbindungskliniken der Welt hat. Aber auch so eine Institution besucht man naturgemäß höchstens ein paar Mal im Leben.

Die seltsame Randständigkeit – geografisch gesehen eigentlich sehr zentral, aber dann doch irgendwie ab vom Schuss – ist verantwortlich für eine ganz besondere Stimmung im Viertel. Oft herrscht eine nahezu dörfliche Identität. Besonders nette Läden, Cafés und Restaurants gibt es in den Straßen rund um den Rotkreuzplatz, zum Beispiel in der Volkartstraße.

Stolz sind die Neuhauserinnen und Neuhauser auch auf die Eisdiele Sarcletti, die bereits seit 1879 und damit Jahrzehnte vor der allgemeinen Italomanie Eiscreme in toskanischer Qualität herstellt. Oder auch auf das Ruffini (mit italienischen Namen hat man es im Viertel), jene linksalternative Konditorei, mit deren Selbstverwaltungsmodell seit 1978 ein zuckersüßer Kommunismus praktiziert wird. Man freut sich, wenn das auch außerhalb Neuhausens bekannt ist – aber noch mehr freut man sich daran, dass das die Ausnahme ist. Dass München hier „so normal“, so wenig schickimicki ist.

 

 

Text: Nansen & Piccard, Fotos: München Tourismus, Porzellanmanufaktur Nymphenburg, Bernt Römmelt, Frank Stolle, Marcel Wiest
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