Ein Altbauhaus mit besonderer Fassade in München-Neuhausen

Viertelspaziergang Neuhausen: Marcus Kraft

„Neuhausen lässt sich nicht von Nymphenburg trennen“

Seit zehn Jahren betreibt Marcus Kraft die Bar du Port in Neuhausen und kennt sich bestens aus im Viertel. Er zeigt uns seine Lieblingsorte, verrät, wo man eine der besten Pizzen der Stadt essen kann und welches der entspannteste Ort ist, um den Sonnenuntergang zu beobachten.

Über seine Bar sagt Marcus Kraft, sie sei „ein Ort für Kapitäne und die Mädchen“. Und tatsächlich: Mit ihrem dunklen Holzboden, den Miniaturschiffen und den getrockneten Fischköpfen, die das Regal schmücken, bringt die winzige Bar du Port ein wenig Hafenflair in das vom Meer so weit entfernte Neuhausen. Die Wände sind schwarz gestrichen, mit Albumcovern von Amy Winehouse bis Al Green tapeziert, hier und da hängt ein Spiegel oder ein Gemälde im antiken Goldrahmen. Selbst am frühen Nachmittag ist die Atmosphäre ein wenig verrucht. Er macht keine Werbung, auch eine Webseite hat Kraft nicht. Braucht er auch nicht, denn die Bar du Port ist in Neuhausen eine Institution.

Marcus Kraft kennt sich aus in der Gastronomie. Einst hat er das legendäre Café Freiheit als Geschäftsführer geleitet. Danach hat er sich mit der Paris Bar in Haidhausen selbstständig gemacht und vor zehn Jahren die Bar du Port in Neuhausen eröffnet. Zehn Jahre, in denen er die Gegend von den verschiedensten Seiten kennengelernt hat.

Direkt neben Krafts Cocktailbar befindet sich das italienische Ristorante Il Trullo. Am Abend sind meist alle Plätze besetzt, es wird Aperol getrunken, Grüppchen plaudern über ihren letzten Italienurlaub oder planen den nächsten. Dass München gern als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet wird, kommt einem hier völlig klar vor.

Wenn Krafts Gäste in der Bar Hunger bekommen, können sie sich von nebenan eine Holzofenpizza bestellen und in der Bar verspeisen. „Eine der besten Pizzen der Stadt“, schwärmt Kraft. Am gegenüberliegenden Haus hängt ein Transparent, auf dem „club.radio“ steht. Von dort sendet Krafts Nachbar Tom Glagow Jazz und Blues – mit dem Onlineradio-Channel, mit dem er sich in die internationalen Internetradiocharts gespielt hat. „Tom ist ein exzellenter Jazzkenner“, sagt Kraft. Für die Bar du Port hat er eine eigene Session gegeben, deren Playlist Kraft während der Pandemie an seine geschlossene Bartür geklebt hat und die immer noch im Internet nachzuhören ist.

Er macht keine Werbung, auch eine Website hat Kraft nicht. Braucht er auch nicht, denn die Bar du Port ist in Neuhausen eine Institution.

Von seiner Bar, dem italienischen Lokal und dem Internetradiosender führt uns Kraft zur Bio-Feinbäckerei Neulinger in der Volkartstraße. Die Eier kommen hier von Hühnern in Freilandhaltung, die Milch vom Biobauernhof, und gebacken wird nach traditionellen Rezepten. Die Brote und Brezen kennt Kraft noch aus Haidhausen, dort gibt es auch eine Filiale, ebenso im Schlachthofviertel und in Sendling. „Meine Tochter und die anderen Kinder haben schon damals die Breznstangen geliebt“, verrät Kraft. Bis heute kauft er in der Bäckerei gern das würzige Brot mit der reschen Kruste.

Kraft geht nach links, unter der Unterführung des Mittleren Rings durch: Das Ruffini ist eine Institution in Neuhausen. Seit mehr als 40 Jahren wird das schlichte Café mit Holzstühlen und Fliesen als selbstverwalteter Betrieb geführt. Es gehört zu den berühmtesten Frühstückslokalen in München. „Mit hervorragenden selbst gemachten Kuchen“, schwärmt Kraft. „Die ganze Stadt kommt hier zum Kuchenessen her!“

„Im Ruffini legt man schon immer großen Wert auf Leidenschaft und Qualität“, sagt er und klingt ein wenig wie ein Onkel, der stolz von Dreirad-Slaloms seines kleinen Neffen erzählt. 26 Gesellschafter*innen verwalten den Betrieb. Entscheidungen treffen sie, wo immer möglich, im Konsens. Abends stehen 30 offene italienische Weine zur Auswahl, auf der Speisekarte stehen wechselnde Gerichte mit vielen vegetarischen Optionen. Am Wochenende ist es immer brechend voll, sagt Kraft. Reservieren lohnt sich also.

Kraft kennt die Straßen und die Gastronomie Neuhausens gut und erzählt von der Veränderung im Viertel, auch der, die er selbst nicht miterlebt hat. Einst war Neuhausen ein Bauerndorf und Nymphenburg der Teil, in dem die herrschaftlichen Bauten standen. Heute leben hier 100.000 Menschen: Familien, Studierende und Singles. Kraft selbst spürt Veränderungen auch bei seinem Barpublikum nach und reagiert auf sie.

Als es vor fünf Jahren den Gin-Hype in deutschen Großstädten gab, bot er mehr als sechzig Sorten an. Nun sind es Sours, die am häufigsten getrunken werden. Für seinen Whiskey Sour mit frischem Eiweiß, das wie eine Schaumkrone auf dem Drink sitzt, presst er Limetten aus. „Ihr Saft ist weniger hart als die Säure von Zitronen“, sagt er. Gute Drinks sind seine Leidenschaft – und das Auge trinkt mit. Kraft verziert die Drinks mit getrockneten Grapefruits und frischer Minze oder bietet neben den Klassikern wie Aperol Spritz auch einen Limoncello Spritz und Ingwer Spritz an, die das ganze Jahr über beliebt sind – und im Sommer am liebsten auf der Terrasse vor der Bar getrunken werden.

Die Mischung aus jungen Familien, internationalem Publikum und gutbürgerlichen Einheimischen gibt dem Stadtteil Neuhausen/Nymphenburg eine besondere Ausstrahlung: eine Geborgenheit, eine Sicherheit, etwas Gemütliches.

Marcus Kraft ist voll in Denim gehüllt, mit Jeans und Weste, die seine Frau Kiki Kraft-Somogyi mit der japanischen Technik Sashiko mit weißem Baumwollfaden bestickt hat. Zusammen mit ihr unternimmt er Städtereisen um die Welt, von New York und Amsterdam bis London, Paris und Istanbul. Dort sammelt er stets Inspirationen für seinen eigenen Laden. Wie ein Mosaik fügt er die Eindrücke zusammen, bastelt aus ihnen ein neues Gesamtkunstwerk. „So wird meine Bar oft bezeichnet“, sagt er.

Während wir vom Ruffini weiterschlendern, begegnet Kraft Bekannten, seinen Nachbarn im Minutentakt. Er grüßt, mal mit einer Geste, mal bleibt er für ein kurzes Gespräch stehen. „Neuhausen lässt sich nicht von Nymphenburg trennen“, sagt Kraft. Die Mischung aus jungen Familien, internationalem Publikum und gutbürgerlichen Einheimischen gibt dem Stadtteil Neuhausen/Nymphenburg eine besondere Ausstrahlung: eine Geborgenheit, eine Sicherheit, etwas Gemütliches. Die Architektur reicht von villenartigen Stadtpalais aus der Spätgründerzeit zu Gebäuden wie der modernen Großstadtkirche Herz Jesu, einem gläsernen Quader mit 14-Meter hohen Kirchentoren – den größten der Welt.

Nur wenige Meter von der Kirche entfernt liegt der Grünwaldpark. Gleich dort befindet sich das gehobene Gourmetrestaurant Romans, das für seine hausgemachte Pasta und romantisches Ambiente bekannt ist. Kraft empfiehlt es für ein Dinner zu zweit. Ein Besuch bei dem Edelitaliener unter den meterhohen Stuckdecken ist etwas Besonderes, etwas Feines, was nicht alltäglich sei.

Der Park führt zum Nymphenburger Kanal, der einen der wohl bekanntesten Sightseeingorte Münchens bietet. Am Ende des Kanals geht der Blick vom Wasser auf das märchenhafte Nymphenburger Schloss. Der herrschaftliche Palast war der Sommersitz der Kurfürsten und Könige aus dem Haus der Wittelsbacher. „Eine der exquisitesten Wohngegenden der ganzen Stadt“, sagt Kraft und lässt seinen Blick über den Kanal streifen.

Die Gerner Brücke, zwischen Hubertusbrunnen und Schlossrondell, hat sich in den vergangenen zwei Jahren zu einem der beliebtesten Treffpunkte der Gegend entwickelt. Im Sommer sieht Kraft dort vor allem junge Erwachsene und Jugendliche mit Getränken vom Kiosk abhängen. „Bei gutem Wetter trifft man sich auf der Kanalbrücke zum Sonnenuntergang, nimmt einen Drink und genießt den Blick auf das Schloss. Und natürlich lädt der Schlosspark auch zum Joggen ein. Eine traumhafte Strecke“, sagt Kraft, der manches Wochenende selbst diese Idylle genießt. Von Frühjahr bis Herbst werden täglich Gondelfahrten auf dem Kanal angeboten. Nur das Eislaufen, Eishockey und Eisstockschießen auf dem Kanal ist dieses Jahr ausgefallen.

Nach dem Ausflug zum wohl meistfotografierten Motiv des Viertels geht Marcus Kraft wieder zurück in seine Bar. Regelmäßig dekoriert er die Räume anders, stellt um oder verändert die Karte. „Im Zeitgeist bleiben, das ist das Geheimnis“, sagt Kraft, während er in das weiche Leder seines Sessels sinkt.

 

 

Text: Nansen & Piccard; Fotos: Frank Stolle
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