Münchens Sterneküchen sind genauso bunt wie die Viertel selbst. Wir treffen die Spitzenköche dort, wo sie selbst gern Mittag machen. Diesmal: Benjamin Chmura vom Tantris. In seinem Lieblingsimbiss Fuyuan bestellen wir die halbe Karte – darunter auch phänomenale Dim Sum und Pekingente.
Nach seiner Eröffnung 1971 erlangte das Tantris weltweite Berühmtheit – es ist nicht nur das älteste Sternerestaurant Münchens, sondern war auch das erste Lokal in Deutschland, das zwei Michelin-Sterne erhielt. Im Schwabinger Gourmettempel haben in den letzten 50 Jahren die Größen der deutschen Kulinarik gekocht: Eckart Witzigmann, Heinz Winkler, Hans Haas. Vor ein paar Jahren wurde das Restaurant nun mit neuem Konzept wiedereröffnet, seitdem ist Benjamin Chmura Küchenchef.
Wir treffen den 35-Jährigen in seinem Lieblingsimbiss in der Augustenstraße: Das Fuyuan ist ein chinesisches Restaurant, das vor allem für seine Pekingente bekannt ist, aber das ist längst nicht alles, erzählt mir Chmura: „Die machen ihre Dim Sum selbst, mittlerweile habe ich schon meine Favoriten, die ich immer bestelle. Außerdem esse ich gerne die Aubergine mit Schweinehackfleisch und die Pekingsuppe.“
Der Sternekoch wohnt nicht weit weg, mittlerweile hat er auch seine Familie vom Fuyuan überzeugen können, die nun regelmäßig mit ihm herkommt. Ich schaue mich um: Es ist ein Dienstagmittag und wir bekommen gerade so noch einen Platz, außerdem sind viele Gäste aus China hier – immer ein gutes Zeichen.
Chmura bestellt für uns fünf Vorspeisen und drei Hauptgerichte, darunter eine halbe Pekingente, und beruhigt mich sogleich, als er meinen skeptischen Blick bemerkt: „Keine Angst, das schaffen wir schon.“ Die besten Dim Sum sind tatsächlich die mit Garnelen und Schweinefleisch, die Pekingente schmeckt fantastisch, genau richtig süß, und die chinesische Aubergine haut mich jedes Mal aufs Neue um, weil ich es selbst nicht hinbekomme, sie spannend zuzubereiten.
Chmura wurde in Kanada geboren, ist in Brüssel aufgewachsen, hat eine Ausbildung in Lyon am Institut Paul Bocuse gemacht und danach in London und Australien gekocht. Seine längste und wichtigste Zeit verbrachte er aber in Frankreich, zuletzt beim bekannten Drei-Sterne-Koch Michel Troisgros. „Unter meinen französischen Freunden war ich immer der Deutsche, ich habe erst in Deutschland gemerkt, wie französisch ich eigentlich bin“, erzählt er. Seine Mutter kommt aus Deutschland, deshalb spricht er auch fließend Deutsch. Sein Vater ist der berühmte Dirigent Gabriel Chmura, ein polnischer Jude, der nach dem Kriegsende nach Israel auswanderte und sich eine Karriere in Paris aufbaute, obwohl er anfangs noch kein Wort Französisch sprach.
„Ich habe sehr viel von meinem Vater, auch seinen Ehrgeiz. Wenn ich etwas mache, dann will ich der Beste werden und das Beste daraus machen. Im Tantris bin ich morgens der Erste, der da ist und der Letzte, der geht.“ Erste Küchenerfahrungen sammelte Chmura schon mit 13 in einem Sternerestaurant in Brüssel. Wenn er dort mit seinem Vater essen war, setzte er sich schon immer so hin, dass er in die Küche schauen konnte. Nach einem Praktikum hier verliebte er sich in den Job – und daran hat sich bis heute nichts geändert.
„Mein Vater hat schon in meiner Jugend gesagt: Wenn du eines Tages Karriere machst, dann in Deutschland, denn du bist der französischste Deutsche, den es gibt.“
„Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich meine Leidenschaft leben kann. Ich zähle keine Stunden, das Geld war mir immer egal. Ich wollte das unbedingt – und noch mehr, weil meine Mutter dagegen war, dass ich Koch werde“, erzählt er. Der Vater war dafür, auch als das Angebot vom Tantris kam. Eigentlich wollte Chmura zu diesem Zeitpunkt gerade mit seiner Frau in die USA ziehen, doch sein Vater meinte, diese Tür öffne sich nur einmal: „Er hat schon in meiner Jugend gesagt: Wenn du eines Tages Karriere machst, dann in Deutschland, denn du bist der französischste Deutsche, den es gibt.“
Benjamin Chmuras Ankommen in München 2021 war dann sehr emotional: Es war Winter, Corona bestimmte die Nachrichten, und sein Vater war ein paar Monate zuvor überraschend verstorben. Gleichzeitig ging es so richtig los im Tantris: Chmura musste mit seinem Team Bewerbungsgespräche führen, die neue Küche planen, am Konzept feilen, Menüs erstellen. Das Tantris kannte er schon seit er sechs Jahre alt war – seine Großmutter hatte in derselben Straße gewohnt, sie spazierten oft vorbei. Er fragte sie als kleiner Junge: „Was ist das für ein riesiges, orangenes Gebäude?“
Das riesige, orangene Gebäude überrascht auch im Inneren mit ungeahnten Dimensionen: Gearbeitet wird auf zwei Etagen – im Untergeschoss befinden sich die Produktionsküchen, die Bäckerei und Patisserie, außerdem eine Fischstation und eine Metzgerei mit jeweils eigenem Kühlraum sowie der Saucier-Raum, in dem Fonds in Kesseln angesetzt werden. Oben teilt sich die Küche in eine Hälfte für das Menü-Restaurant und eine für das À-la-carte-Restaurant. Es gibt eine eigene Spüle nur für Gläser, denn für die 4000 Weinpositionen braucht es natürlich auch das richtige Glas.
Wenn man auf das Menü schaut, fällt sofort auf: Benjamin Chmura kocht moderne Haut Cuisine und führt das Tantris somit zurück zu seinen Anfängen. „Ich habe die französische Produktküche bei Familien wie den Haeberlins und den Troisgros gelernt. Natürlich liebe ich auch asiatisches Essen, aber ich würde niemals so kochen, weil andere Leute das viel besser können. Ein Koch soll kochen, wer er ist und nicht, wer er sein möchte.“
„Ein Koch soll kochen, wer er ist und nicht, wer er sein möchte.“
Besonders gern verarbeitet Chmura alles, was aus dem Meer kommt. Seinen Fisch bezieht er von einem Lieferanten aus der Bretagne, der zugleich ein guter Freund ist. In seinem Betrieb wird nur per Hand unter nachhaltigen Bedingungen gefischt: „Man spricht oft nur über die Köche, aber die eigentlichen Stars sind die Leute, die sich teilweise unter lebensgefährlichen Bedingungen jeden Tag um die Produkte bemühen, mit denen wir arbeiten.“
Und wie entsteht ein neues Gericht im Tantris? Manche Kombinationen denkt sich die Natur selbst aus, die Produkte haben zur gleichen Zeit Saison – so wie die Jakobsmuschel und der Trüffel. Dazu gibt es Wirsing und einen buttrigen Mürbeteig, das macht für Chmura einfach Sinn: „Essen ist für mich Erinnerung, es ist wie mit Musik: Manchmal hörst du einen Song und er erinnert dich an einen Abend oder eine bestimmte Person. Und so ist es bei mir mit Gerichten.“