Im Corona-Jahr 2020 veränderte sich etwas im Stadtbild Münchens radikal. Wo vorher Parkplätze waren, tauchten plötzlich neue, improvisierte Freischankflächen auf: so genannte Schanigärten. Der Münchner Architekt Alexander Fthenakis ist fasziniert von diesem Phänomen von Interims-Architektur und widmete ihnen sein Buch „Schanitown“. Hier erklärt er, wieso die „Gärten“ für ein neues Verständnis von Stadt sprechen – und wieso es gut ist, dass sie bleiben.
Wieso eigentlich Schanigärten? Was ist das für ein seltsamer Name?
Dafür gibt es verschiedene Erklärungen und die landläufige ist die, dass der Name aus dem Wiener Gastgewerbe kommt. Da heißt der jüngste Kellner oder Lehrling „Jean“, was dann zu „Schani" austriaziert wurde. Dessen Aufgabe war es, bei schönem Wetter die Tische nach draußen zu schleppen und zu decken. So kamen die Gärten zu ihrem Namen.
Was unterscheidet einen „Schani“ von einer klassischen Freischankfläche?
Erstmal gibt es viele Gemeinsamkeiten. Beides muss von der Gastronomie beantragt werden. Dafür gibt es in beiden Fällen strenge Regeln. Wir alle kennen die Markierungen für die Tische, die das Kreisverwaltungsreferat auf Freischankflächen anbringt. Sobald da etwas verrückt wird, sobald ein Fuß außerhalb steht, werden die Kellner ganz nervös. Der Unterschied zwischen Freischankfläche und Schanigarten besteht darin, wo sich beide befinden. Die Freischankfläche ist unmittelbar vor dem Lokal auf dem Gehweg. Ein Schanigarten befindet sich in der Regel auf dem Parkplatzstreifen der Straße.
Das hört sich jetzt nicht nach etwas radikal anderem an.
Ist es aber. Freischankflächen sind architektonisch und städtebaulich nicht sonderlich aufregend. Meist sind es nur Möbel und Schirme, manchmal kommen noch Markisen hinzu. Schanigärten stellen einen größeren Eingriff dar. Man erkennt sie daran, dass sie tatsächliche Bauten sind. Meist aus Holz: Baupaletten, Sperrholz, Pressspan. Dazu kommt ein Geländer. Das ist notwendig, denn der Schani ist ja mitten auf der Straße, und man muss verhindern, dass Gäste auf diese stürzen, zumal ja getrunken wird.
Was interessiert Sie an dieser Art Architektur?
Zunächst einmal, dass sie eine ist. Man hat es mit einer baulichen Manifestation zu tun. Ich vergleiche den Schani gern mit einem Beiboot. Das Restaurant oder Café ist das Segelschiff, der Schani gehört dazu, aber ist doch unabhängig davon. Mit zu dieser Autonomie gehört, dass gestalterische Entscheidungen getroffen werden müssen. Die einfachste Variante ist eine umfriedete Holzfläche, die auf Höhe des Gehwegs ist. Dann gibt es aber auch Schanis, die höher sind als der Bürgersteig. Auf denen sitzt man dann wie auf einem kleinen Balkon über der Straße. Schließlich gibt es noch die rein gestalterischen Elemente. Die meisten Schanis sind sehr spartanisch, nur Holz, das war es. Einige nehmen aber Ideen aus dem Hauptlokal auf. Zum Beispiel „Pizzesco“ im Westend. Da sind um den Schani herum Wäscheleinen gespannt mit sauberer Wäsche. Das erinnert unmittelbar an das Stadtbild von Neapel oder Palermo, wo hoch über den Straßen die Wäsche im warmen Wind flattert. Was alle Schanis noch gemein haben: Sie sind sehr improvisiert. Das liegt in der Natur der Sache. Die meisten wurden innerhalb weniger Tage aufgebaut.
Was zu der Frage führt, wieso Schanigärten im letzten Jahr so aus dem Boden sprossen.
Da kamen mehrere Dinge zusammen. Zum einen war das KVR sehr großzügig bei der Bewilligung der Flächen. Das hatte definitiv mit Corona zu tun. Man wollte der leidenden Gastronomie helfen, wusste aber auch, dass Trinken im Freien sehr viel ungefährlicher ist als in geschlossenen Räumen. Ich vermute, dass auch so viele Schanis genehmigt wurden, weil man davon ausging, dass es nur vorübergehend ist: ein Provisorium, das nun doch bleiben könnte. Der zweite große Faktor war natürlich, dass es langsam zu einer neuen Sichtweise auf das Auto in der Stadt kommt. Die Schanis stehen in direkter Konkurrenz zum automobilen Individualverkehr.
Trinken statt Fahren?
Bis Ende August 2020 wurden über 400 Schanis genehmigt. Es wurden fast an die 1000 Parkplätze verdrängt. Dafür entstanden rund 8000 Sitzplätze. Wäre Corona vor zehn Jahren passiert, hätte das sicher nicht zu dem Boom der Schanis geführt. Damals war die autogerechte Stadt noch ein unangefochtenes Ideal: brav eine Fußgängerzone in der Mitte, ansonsten gehörten die Straßen den Autos. Nun wird immer klarer, dass dieses Modell überlebt ist, allein schon, weil die Autos immer größer werden und nicht mehr in die engen Straßen der Stadt passen. Aber auch, weil es inzwischen genügend Alternativen in Sachen „shared mobility“ gibt. Das private Auto ist definitiv auf dem Rückzug aus den Städten. Und deshalb gehe ich davon aus, dass die Schanis bleiben werden. Was auch denkbar ist und was ich für sehr vernünftig halte: Wenn Parkplätze und Schanis sich jahreszeitlich abwechseln würden. Im Winter, wenn der Bedarf an Autoverkehr größer ist, werden die Schanis abgebaut und wieder durch Parkplätze ersetzt. Da Frost und Schnee den improvisierten Bauten zusetzen, wäre das sowieso ratsam. Ich bin gespannt, welche architektonischen Lösungen dafür gefunden werden. Auf jeden Fall ist ein Kompromiss zwischen Mobilität und Schani möglich.
Ein anderer Kompromiss könnte da schwieriger werden: der zwischen feierfreudigen Gästen und einer ruhebedürftigen Anwohnerschaft.
Ja, das ist das zweite große Konfliktfeld, in dem die Schanis stehen. Die Stadt als Wohnraum wurde in den letzten Jahren enorm aufgewertet. Eine zahlungskräftige Klientel, die jahrzehntelang klassischerweise Städte mit der Familiengründung verließ, bleibt nun oder zieht sogar extra zurück. Und diese Gerade-nicht-mehr-Jungen sind dann oft die ersten, die sich über den nächtlichen Lärm der Noch-Jungen beschweren. Stadt wird hier als interessante Kulisse verstanden, ein Luxusgut, das man sich leisten kann. Und hörbar Feiernde sollen dann bitte nicht mit im Einkaufskorb sein. Das ist sicher ein Konflikt, der nicht so leicht zu lösen ist. Aber vielleicht tragen die Schanis ja auch zu dessen Entschärfung bei.