Kaum eine Ecke in München verändert ihr Gesicht gerade so wie das Schlachthofviertel. Ein Gespräch mit zweien, die es wissen müssen: Weißwurst-Urgestein Magnus Bauch und Kultur-Entrepreneur Daniel Hahn.
Wo könnten sich die alte und die neue Welt des Schlachthofs besser treffen als auf dieser stillgelegten Eisenbahnbrücke? Hier liegt die Alte Utting vor Anker, mitten in der Stadt: Ein ehemaliger, eigentlich schrottreifer Seedampfer, der jetzt Bar, Biergarten und Kreativfläche in einem ist – und von dessen Oberdeck aus sich ein Viertel im Wandel überblicken lässt. Kaum eine andere Ecke Münchens ändert derzeit so schnell und radikal ihr Gesicht wie das Areal rund um Schlachthof und Großmarkthalle.
Was aber bleibt, ist der Stolz der Menschen auf ihr Viertel. Magnus Bauch zählt zu den alteingesessenen wie bekanntesten Schlachthof-Aushängeschildern: Seine Metzgerei ist über die Stadtgrenzen hinaus für ihre Weißwürste berühmt. Daniel Hahn von der Alten Utting hingegen zählt zu jenen jungen Wilden, die München ein neues Bild verpassen.
Magnus, Daniel – lasst uns über das Schlachthofviertel sprechen. Fangen wir also mit euch an!
Magnus Bauch: Es gibt Stimmen in München, die den Schlachthof schon lang den „Bauch von München“ nennen, auch wegen der Großmarkthalle. Für mich ist das super. Besser kann man es nicht treffen.
Ist die Utting, auf der wir gerade sitzen und bis zur Theresienwiese schauen können, dann der „Hahn von München“?
Daniel Hahn: (lacht) Nein. Eher nicht.
Dabei steht die Utting inzwischen in jedem Reiseführer. Nachdem ihr den Kahn vom Ammersee auf diese Brücke verfrachtet hattet, titelte sogar die „New York Times“, dass München cool wird. Warum seid ihr mit der Utting ins Schlachthofviertel gezogen?
Daniel Hahn: Früher sind über diese Brücke hier die Güterwaggons hinüber in den Großmarkt gefahren. Als Brachfläche habe ich sie schon lange im Blick gehabt, bis ich irgendwann draufgeklettert bin und mir das näher angeschaut habe: ein spannender Platz, sehr sonnig, da könnte man was Schönes machen. Als wir die Utting dann bekommen haben, musste alles sehr schnell gehen. Wir haben sie auseinandergesägt und hier wieder zusammengebaut.
„Keiner hätte geglaubt, dass das mit dem Schifferl klappt, das war ja ein Mordsaufwand. Aber auch bei unserer Metzgerei hat niemand geglaubt, dass die mal so groß werden würde.“
Magnus Bauch: Keiner hätte geglaubt, dass das mit dem Schifferl klappt, das war ja ein Mordsaufwand. Aber auch bei unserer Metzgerei hat niemand geglaubt, dass die mal so groß werden würde. Alles geht, wenn man mag!
Bauchs Telefon orgelt eine Melodie von Muddy Waters. Ein Wiesnwirt ist dran. Hahn sieht derweil immer noch so aus, als könne er es nicht fassen, dass eines seiner Projekte in allen Reiseführern gelistet wird. Der 31-jährige Entrepreneur mischt mit seinen Brüdern die Stadt auf, indem sie Ideen sehen, wo andere ratlos sind. Die Utting soll verschrottet werden? Dann hoch mit ihr auf eine Brücke! Ein Schienenbus als Bar vor der Filmhochschule? Kein Problem! Ausrangierte U-Bahn-Wagen und Container für ein alternatives Kulturzentrum? Steht unter dem Namen Bahnwärter Thiel derzeit nur ein paar Meter weiter, auf dem Gelände des ehemaligen Viehhofs.
Daniel, du bist als Sammler von sperrigem Zeugs stadtbekannt. Und damit es dann nicht nutzlos in der Gegend herumsteht, machst du Kulturstätten daraus …
Daniel Hahn: Ja, das hat aber auch einen Grund: Wenn man jung ist und auf der Suche nach Orten, an denen man etwas auf die Beine stellen kann, dann ist es schwer, an Häuser oder Hallen zu kommen. Deshalb habe ich mich auf leer stehende Flächen konzentriert und die Baukörper einfach selbst mitgebracht. Und wenn das Projekt vorbei ist, können wir alles einfach wieder mitnehmen.
Bauch verspricht dem Wiesnwirt zurückzurufen. Auch Bauch gilt als Anpacker, als jemand, der nicht klein denkt und das vielleicht auch gar nicht kann. Als junger, frisch gelernter Metzger ging der heute 67-Jährige zunächst auf große Reise, auf Einladung verschiedener Metzger in der ganzen Welt. Seine erste Station war Bali, wo er seine heutige Frau Parwathi kennenlernte – und wo die beiden für viele Jahre ein Hotel betrieben, zusätzlich zur Metzgerei in München.
Magnus, die Metzgerei Bauch war ja gefühlt schon immer da, wo die Utting jetzt ist. Wie ging das denn bei dir mit dem Schlachthofviertel los?
Magnus Bauch: Mein Vater ist vor 60 Jahren hergekommen. Angefangen haben wir mit einem ganz kleinen Laden, 23 Quadratmeter Fläche. Mein Vater hat dann die Idee mit dem Großhandel gehabt und von da an ging’s aufwärts. Bald haben wir von hier aus die ganze Gastronomie versorgt, teilweise mit dem Radl.
Daniel Hahn: Hier in der Thalkirchner Straße ist ja auch mal die Trambahn gefahren. Ewig her. Und jetzt wird überall wieder für die Tram zurückgebaut.
Magnus Bauch: Die Thalkirchner Straße war früher so breit, da haben die Leute in zweiter und in dritter Reihe parken können. Und es gab einen Trambahnfahrer, der einfach immer außer Plan vor der Metzgerei angehalten hat, um sich in Ruhe seine Leberkässemmel zu kaufen. Wenn sich ein Fahrgast darüber beschwert hat, hat er immer nur gesagt, dass er nicht fährt, wenn er Hunger hat.
Gibt es denn auf der Utting ein Fleischgericht oder ist das nicht mehr zeitgemäß – sogar im ehemaligen Schlachthofviertel?
Daniel Hahn: Es stimmt, wir haben wenig Fleisch auf der Speisekarte. Aber es gibt ein Stockbrot mit eingerolltem Leberkäs und am afrikanischen Stand Hühnerfleisch. Weißwürste haben wir auch, aber von einem anderen Metzger …
Magnus Bauch: Aber ich habe was für dich.
Daniel Hahn: Und zwar?
Magnus Bauch: Vegane Pflanzerl, die auch noch schmecken: auf Blumenkohlbasis und Erbsenprotein. Kannst einfach ausfrittieren.
Daniel Hahn: Und was denkst du darüber?
Magnus Bauch: Da bin ich ein Freidenker: Wenn der Kunde das will, bekommt er das. Aber ich selbst würde es nicht essen, ist nicht mein Geschmack.
„Ich hoffe auch, dass das Viertel seinen Charakter behält. Das Besondere daran ist ja, dass es extrem zentral liegt und trotzdem Entwicklung möglich ist.“
Magnus, in deiner Metzgerei gibt es auch balinesische Wurst. Wie kam es dazu?
Magnus Bauch: Als meine Frau mit mir nach München gekommen ist, hat es hier noch nix Asiatisches gegeben: kein Gemüse, kein Obst, kein gar nix. Da war sie natürlich traurig. Bei unserem nächsten Besuch auf Bali habe ich dann gesehen, wie man Urutang macht, eine Schweinewurst. Das Rezept habe ich mitgenommen und so angepasst, dass ich es hier nachmachen kann. Eigentlich habe ich die Wurst ja anders genannt, pikante Zwiebelbratwurst mit Knoblauch, aber jeder Kunde sagt Baliwurst. Meine Frau war auf jeden Fall happy.
Das Schlachthofviertel war auch immer bekannt dafür, dass viele Nationen sich hier vertragen.
Magnus Bauch: Zuerst sind die Italiener gekommen, dann die Jugoslawen, dann die Türken und später die Vietnamesen. In meiner Firma arbeiten zwölf Nationen. Die Mischung macht’s. Natürlich sind im Laufe der Zeit auch viele Menschen wieder weggezogen, aber in meinen Laden kommen sie trotzdem noch.
Das Viertel um den Schlachthof ist eigen, schon in seiner Geschichte. Nach der letzten großen Cholerawelle 1866 in München beschloss man auf Anraten von Stadtrat und Architekt Arnold Zenetti sowie dem Hygieniker Max von Pettenkofer, einen großen Schlachthof zu bauen. Dieser wurde 1878 feierlich eröffnet und lag damals noch am Stadtrand. Es war nicht die einzige gute Tat Zenettis für München, er gründete auch die Freiwillige Feuerwehr und baute mehrere Krankenhäuser.
„Früher war’s der Bauch der Stadt, weil von hier die Lebensmittel kamen, vielleicht wird es jetzt der Kulturbauch der Stadt mit neuen Impulsen und Kulturformaten.“
Im Schlachthof selbst wird ja mittlerweile deutlich weniger geschlachtet. Städtebaulich gibt es verschiedene Pläne für das Areal. Was wird denn jetzt daraus?
Magnus Bauch: Der eine sagt, schiebt den Schlachthof weg, der andere, das ist ja schon fast Denkmalschutz. Ich persönlich würde wieder mehr kleine Läden ansiedeln und im ersten Stock Wohnungen bauen. Die Front des Schlachthofs nach außen sollte man erhalten, wie sie ist, dann behält des Viertel seinen Charme und Charakter.
Daniel Hahn: Ich hoffe auch, dass das Viertel seinen Charakter behält. Das Besondere daran ist ja, dass es extrem zentral liegt und trotzdem Entwicklung möglich ist. Deshalb kann man auch mit modernen Denkansätzen direkt ins Viertel reingehen. Seit wir mit unseren Projekten hier sind und das Volkstheater, werden die Leute auch verstärkt mit Kultur versorgt. Da wandelt sich etwas. Früher war’s der Bauch der Stadt, weil von hier die Lebensmittel kamen, vielleicht wird es jetzt der Kulturbauch der Stadt mit neuen Impulsen und Kulturformaten. Weil das alles städtische Flächen sind, gibt es die Chance, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln.
Der Wandel bedeutet auch, dass durch neue Wohnungen circa 5000 Menschen zusätzlich ins Viertel ziehen werden.
Magnus Bauch: Ja, aber dann lebt das Viertel doch! Nicht nur durch vielfältige Kultur, auch durch vielfältigen Einzelhandel.
Engagiert ihr euch auch dafür?
Daniel Hahn: Ja, zwangsläufig. Das Spannende zum Beispiel am Viehhof ist, dass es zwar Entwürfe gibt, aber noch nichts entschieden ist. Dadurch gibt es natürlich die Möglichkeit für uns und andere, sich einzubringen. Entlang der Bahngleise, wo derzeit der Bahnwärter Thiel ist, soll vielleicht ein kleiner Park für die Anwohner entstehen. Wir würden uns dazu urbane Gärten, kleinteilige Ateliers und so weiter wünschen. Man sieht übrigens von dort den Sonnenuntergang! Das will man sich nicht verbauen.
„Das Schlachthofviertel gefällt mir jetzt am besten. Es lebt.“
Magnus Bauch: Ich bin ganz ehrlich, ich mische mich da gar nicht ein. Ich habe in erster Linie dafür zu sorgen, meine eigenen Sachen ohne Störung am Laufen zu halten. Und ich bin überzeugt, dass es hier mehr Menschen wie Daniel gibt, die solche Ideen besser umsetzen. Was wir hier brauchen, ist ein neuer Schub.
Daniel Hahn: In welchem Jahrzehnt oder in welcher Zeit hat dir das Viertel denn am besten gefallen?
Magnus Bauch: Genau jetzt. Jetzt gefällt’s mir am besten. Es lebt. Wenn ich nur schaue, die Bushaltestelle da drüben: Früher stand da nur das alte Mutterl, und jetzt sind es junge Menschen, Studenten aus aller Welt. Früher war der Schlachthof ein Glasscherbenviertel, heute rührt sich endlich was.