Der Gründer der Brauerei Tilmans, Tilman Ludwig, steht mit einem Glas Bier in einer Kneipe.

Viertelspaziergang Schlachthofviertel: Tilman Ludwig

„Die Nachbarn reden hier noch miteinander“

Das Schlachthofviertel ist ein Viertel der Kontraste: Während die Metzger morgens die Wurstkessel einheizen, sagt sich das Partyvolk „Gute Nacht“. Traditionelle Betriebe bestehen neben hippen Bars und schicken Wohneinheiten. Der Brauer Tilman Ludwig vereint wie kaum ein anderer Münchner die bunte Welt des Schlachthofviertels in seiner Person.

Wir treffen uns in seinem Lokal mit dem wunderbar ehrlichen Namen „Frisches Bier“ in der Thalkirchner Straße: Der Tresen kurvt sich einmal durch den Laden, das belebe die Kommunikation, sagt Ludwig. Unter dem Tresen ist noch eine Art Haltekante eingefräst, falls der Boden einmal recht schwanken sollte (das hätte dann aber sicher nichts mit der Baustelle auf der Thalkirchner Straße zu tun).

Bier, das ist sein Ding: Tilman Ludwig betreibt gemeinsam mit seinem Partner Maximilian Heisler das „Frische Bier“, diesen kleinen Ort, an dem eine große Vielfalt an frisch gezapften Bieren angeboten wird, 14 verschiedene sind es insgesamt. Außerdem ist er der Gründer und Namensgeber von „Tilmans Biere“, einer der populärsten Craftbier-Marken der Stadt.

Dass Tilman Ludwig ausgerechnet in München sein „Tilmans Helles“ braut und äußerst erfolgreich vermarktet, liegt natürlich daran, dass der junge Brauer ein gebürtiger Münchner ist. Gleichzeitig ist es aber auch ein kleines Wunder, dass Tilman Ludwig ausgerechnet in München, der Hauptstadt der traditionellen Bierherstellung, mit seinem Craftbier die Szene quasi gegründet hat und seither anführt. Sein Handwerk versteht er dabei so gut wie die traditionellen Brauerinnen und Brauer: Ludwig lernte fünf Jahre lang an der Universität in Freising Weihenstephan die Kunst der Bierherstellung.

Wir nehmen uns ein Wegbier und biegen wieder zurück über die Piazza in die Adlzreiterstraße ein, in der Albert Einstein seine Kindheit verbrachte, bevor er auf dem Oktoberfest Glühbirnen in die Lichterketten schraubte.

Wir schreiten die Backsteinallee der Zenettistraße entlang, wo der Boden vier verschiedene Konsistenzen hat und manchmal die Metzger in weißen Gummistiefeln und Kitteln über die Straße stapfen. Kurz fragen wir uns, ob es das Metzgerfrühstück eigentlich noch gibt, bei dem man in den umliegenden Kneipen schon um acht Uhr morgens die Metzger über einem Teller Fleisch und ein bis zwei Halben treffen konnte. Geht Ludwig eigentlich manchmal ins Monti, frage ich, denn da lassen sich doch gern die Gastronomen sehen? Selten, meint er, eher in die Essbahn am Bahnwärter Thiel, da sei das Essen auch sehr gut.

Ins Schlachthofviertel habe es ihn sowieso eher zufällig verschlagen, weil damals ein Laden leer stand und später noch einer zu haben war. Eingelebt habe er sich trotzdem schnell. Tilman Ludwig ist ein sehr gerader Typ, physisch wie inhaltlich, abgeschnittene dunkle Jeans, schwarzes T-Shirt, Tattoos und keine Faxen. Keine Lodenapplikationen, Hirschhornknöpfe oder ähnliche volkstümliche Codes, trotzdem sieht man, dass der Mann für Bierkultur brennt.

Fast wäre es mit dem Bierbrauen nichts geworden, hingebracht hat ihn der Zufall. „Mit meinem besten Kumpel haben wir uns gegenseitig immer die dümmsten Geschenke gemacht – einmal hat er mir eine Zeitschrift mitgebracht, die er in der S-Bahn auf dem Boden gefunden hat. Die Zeitschrift hieß ,Bier‘, und dort habe ich gelesen, dass man Braumeister studieren kann. Andere Pläne hatte ich eh keine, also habe ich das gemacht.“ Gott sei Dank, meint man so manche Einheimischen aufatmen hören.

Wir kreuzen die Tumblingerstraße, wo immer wieder Leute stehen bleiben und alle eine Meinung zum neuen Volkstheater haben, manchmal gehen die ein bisschen auseinander. „Mir gefällt’s“ sagt Ludwig. Aber auch Alteingesessenes gefällt ihm, die Schleiferei Messer Massari zum Beispiel, wo die Metzger ihre Messer kaufen und schleifen. Als wir beim Büchsenmacher vorbeikommen, frage ich ihn, ob er schon mal aus Neugier hineingegangen ist. Nein, sagt Ludwig verwundert, „gibt es da wirklich Gewehre?“ Den Büchsenmacher gibt es auch schon immer, schließlich verkehrten im Schlachthofviertel früher auch viele Jäger.

Ein paar Schritte weiter landen wir schließlich in der Bierkiste, dem zweiten Bierversorgungskonzept von Tilman Ludwig. Vor dem Laden sitzen ein paar Leute, es gibt einen Schanigarten. Die Bierkiste ist eine Mischung aus Bierkneipe und Getränkemarkt, die Lizenz ermöglicht großzügige Öffnungszeiten. „Hier kann man also Sonntag Abend um zehn noch eine Kiste Augustiner zum normalen Preis kaufen“, erklärt er. Zusätzlich ist es möglich, im grünen Salon zu lümmeln und ausgesuchte Biere zu trinken, das ist alles sehr demokratisch. „Die Nachbarn kommen manchmal in die Bierkiste und beschweren sich, aber man redet miteinander, weil die Nachbarschaft hier noch organisch gewachsen ist. Das find ich cool.“

Wir nehmen uns ein Wegbier und biegen wieder zurück über die Piazza in die Adlzreiterstraße ein, in der Albert Einstein seine Kindheit verbrachte, bevor er auf dem Oktoberfest Glühbirnen in die Lichterketten schraubte. Tilman Ludwig zeigt auf eine Plakatwand. „Hier hat mal jemand draufgesprüht: ,Das Hinterhaus ist hässlich‘. Ein paar Tage später stand darunter: ,Du auch‘.“ So etwas gefällt ihm, direkte Ansagen.

Ludwig möchte, dass die Leute miteinander reden. Mit seinen Orten will er dazu beitragen. „Mir ist etwas in der Coronakrise aufgefallen. Kirchen durften offen bleiben, Gaststätten aber nicht. Solche Orte sind aber wichtig für die Psyche einer Stadt, weil man dort Leute trifft, sich austauschen kann und seine Sorgen loswerden kann oder seinen Alltagsstress, eine gute Kneipenkultur ist wichtig für gesellschaftlichen Frieden. Bier ist ein wichtiger Bestandteil davon. Ich wollte fast sagen, ein einfaches Getränk, aber das ist es natürlich nicht.“

Vielleicht ist das die Punk-Vergangenheit von Tilman oder einfach ein ausgereiftes Demokratieverständnis: Sein eigenes Produkt lässt er sich zwar etwas kosten, achtet dabei auf Qualität und Kontinuität. Er denkt aber auch an diejenigen, die sich nicht jeden Tag Premiumware leisten können. „In meinem Bier ist zehnmal so viel Hopfen wie in anderen Bieren, und der kostet auch das Zehnfache. In anderen Bieren ist ein bisschen Hopfen, um etwas Herbes ins Bier zu bekommen. Mir geht’s aber um Aroma, nicht um Geld.“

Wir biegen in die Kapuzinerstraße ein, haarscharf am Rand des Schlachthofviertels entlang. Dort ist „Make Falafel, not War“, wo Tilman gern auf Falafel und Hummus hingeht „Ein sehr feiner Typ, der macht das mit viel Liebe und Ruhe“, eine One-Man-Show mit levantinischem Angebot. Halloumi-Käse, Petersiliensalat, Falafel. Ein unprätentiöser Ort, ehrlich, mit Haltung, das gefällt ihm.

Tilman ist Wanderbrauer, das heißt, er braut sein Bier als Kunde in anderen Brauereien. Er besitzt keine eigene Produktionsstätte, die Abmachung erfolgt per Handschlag.

Tilman ist Wanderbrauer, das heißt, er braut sein Bier als Kunde in anderen Brauereien. Er besitzt keine eigene Produktionsstätte, die Abmachung erfolgt per Handschlag. Ob das für ihn ein Risiko bedeutet, frage ich ihn, aber er verneint. Alle sind happy, denn es wird ja Bier verkauft, man tauscht sich aus und wird zusammen besser. Eine Win-win-Situation. Aber die eigene Brauerei, das Münchener Bier? Nein, so wie es ist, sagt er, ist es gut. „Ja, wobei“, meint er nach kurzem Zögern, „eine Gasthausbrauerei vielleicht, das wäre was.“ Ein Ort für Bierkultur. Aber das Münchener Bier? „Dazu braucht man einen Brunnen, ein Mordsaufriss.“ Und die Wiesn, der heilige Gral der Bierbrauer? Tilman lacht. Nein, da macht er nicht mit.

Die Kastanien in der Zenettistraße rauschen, die Baustelle in der Thalkirchner ist kaum mehr zu hören. Der Boden singt in verschiedenen Rhythmen, als ein Auto vorbeifährt. „Da drüben, die Halle da, die wär gut für eine Gasthausbrauerei“, sagt Tilman. Ein Biergarten wäre vielleicht auch noch drin.

 

 

Text: Nansen & Piccard, Fotos: Frank Stolle
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