Laura Schieferle kommuniziert als Geschäftsstellenleiterin des Münchner Kunstareals das Angebot der Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen in der Maxvorstadt. Ihre Arbeitstage sind so voll wie das Kunstareal. Schieferle liebt den Trubel, sie weiß aber auch um die stillen Rückzugsorte im Viertel. Und sie hat eine Mission.
Wenn Laura Schieferle morgens von ihrer Wohnung in der Nähe des Englischen Gartens in ihr Büro in der Brienner Straße radelt, fährt sie oft über den Karolinenplatz. Für viele ist die Kreuzung mit dem gewaltigen Obelisken in der Mitte vor allem ein Verkehrsknotenpunkt mit riesigem Kreisverkehr. Schieferle aber erinnert der Karolinenplatz jeden Morgen daran, wie dicht das Kunstareal mit hochkarätigen Kunst- und Kulturinstitutionen bestückt ist – und daran, wie sehr sie ihren Job liebt. „Der Karolinenplatz ist so etwas wie das prächtige Eingangstor zum Kunstareal“, sagt Schieferle. „Was man von hier aus alles sieht, ist einfach überwältigend. In eine Richtung der Königsplatz mit den Propyläen, dahinter das Lenbachhaus, davor die Antikensammlungen und die Glyptothek, das NS-Dokumentationszentrum – und dann, beim Blick nach Norden: die Pinakotheken. Alles in weniger als fünf Minuten erreichbar. Das ganze Kunstareal lässt sich in 20 Minuten umrunden.“
Diese enorme Dichte und Vielfalt alleine erklärt eigentlich schon, wieso Laura Schieferles Job so wichtig ist. Das Kunstareal München vereint 14 Museen mit kulturellen Einrichtungen, sechs Hochschulen und zahlreichen Galerien und ist damit eines der dichtesten Kulturcluster in ganz Europa. Das heißt aber auch: Auf engstem Raum hat man es hier mit über 50 Programmen, Spezialisierungen, Ausrichtungen zu tun. Dabei kann man leicht den Überblick verlieren. „Unsere Aufgabe ist es, das Gemeinsame darzustellen und die Institutionen doch in ihrer Individualität erscheinen zu lassen“, erklärt Schieferle. Sie betont, dass sie als Leiterin der Geschäftsstelle Kunstareal keinen inhaltlichen Einfluss auf die Arbeit der verschiedenen Kulturinstitutionen hat: „Das wäre auch wenig sinnvoll, schließlich arbeiten dort ausgewiesene Expertinnen und Experten. Die wissen über ihre Fachgebiete selbst am besten Bescheid. Welche Aufgabe uns zukommt: Wir nehmen die Rolle der Gäste ein und überlegen, wie man das Kunstareal für sie erlebbar macht.“
Digitale Angebote sind bei diesem Unterfangen zentral. Besonders wichtig wurde das im Lockdown während der Coronapandemie. „Von einem Tag auf den anderen war das Kunstareal wie ausgestorben“, erinnert sich Schieferle. „Die Institutionen aber machen ihre Arbeit ja nicht für sich selbst – sie leben vom Publikum. Wir alle haben also überlegt, wie man digitale Ersatzangebote schaffen könnte.“ Die Kommunikationskanäle des Kunstareals erwiesen sich als ideale Vermittlungsinstanz. Hier wurde auf digitale Angebote der verschiedenen Häuser verwiesen, wo Lesungen und Führungen gestreamt oder Online-Workshops angeboten wurden. Schieferle macht aber auch klar, dass es sich dabei um ein Substitut handelte. „Wir wissen es alle: Kultur lebt vom Austausch, vom Zusammensein“, sagt sie.
Umso triumphaler war es, als dann im Juli 2021 das erste Kunstareal-Fest nach den Schließzeiten während der Pandemie stattfand: „Es war, als wären Dämme gebrochen. Die Menschen fluteten das Kunstareal. Man merkte förmlich, wie ausgehungert sie waren“, erinnert sie sich. Etwas von diesem Geist hat sich seither gehalten im Viertel, und das macht Schieferle besonders glücklich: „In der Pandemie wurden die Freiflächen zwischen den Institutionen auf einmal sehr intensiv genutzt: es gab Yoga-, Gymnastik-, und Kickboxgruppen. Viele Menschen trafen sich auch einfach auf den großen Wiesen. Und genau das blieb nachher so. Bei jedem Kunstareal-Fest wollten wir auch diese Art von Nutzung – die jetzt nicht unbedingt etwas mit einem Museumsbesuch zu tun hat – sichtbar machen, etwa mit Performances von Tanzgruppen.“ Genau diese Diversität der Nutzung und damit auch der Besuchergruppen – Kunstinteressierte, Studierende, Sporttreibende – ist es, was Schieferle am meisten an ihrer Arbeitsstätte liebt.
Um den Menschen, die sich vor Ort einen Überblick über die wichtigsten Institutionen und deren Architektur verschaffen wollen, ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, initiierte das Kunstareal die sogenannten „Kunstareal-Walks“. Dabei handelt es sich um ein digitales Angebot, das mithilfe eines Smartphones und GPS die Besuchenden anhand verschiedener Routen durch das Viertel leitet. So gibt es einen kurzen „Afterwork“-Walk für das knappe Zeitbudget, einen „Contemporary“-Walk mit Fokus auf zeitgenössische Architektur und einen großen „All-inclusive“-Walk. Jede Station wird hier in einer kleinen multimedialen Galerie erklärt. So gibt es kurze Filme, in denen Expertinnen und Experten die architektonischen Besonderheiten – etwa des Amerikahauses – erklären, dazu Bilder und Infografiken. Bei all dem fällt eines auf: Hier wurde akribisch auf Inklusion geachtet. Alle Clips sind untertitelt, an den meisten Stationen gibt es die Informationen auch in Gebärdensprache. Inklusion, verstanden als leichte Zugänglichkeit, bestimmt aber auch die Technik hinter den Kunstareal-Walks. Schieferle erklärt: „Wir entschieden uns bewusst gegen eine eigene App. Nun kann man die Kunstareal-Walks einfach im Browser des Mobiltelefons öffnen. Auf diese Weise ist die Schwelle viel geringer.“
Generell ist Schwelle ein Wort, das Schieferle oft im Mund führt. Ihr Elan – der sich in Enthusiasmus und einem fröhlich sprudelnden Redefluss zeigt – ist ganz darauf ausgerichtet, Schwellen zu Kunst und Kultur abzusenken. Schlüsselerlebnis hierfür war ein Besuch in den frühen 2000er-Jahren in London. „Damals sah ich, wie Kinder und Jugendliche zum Hausaufgabenmachen ins Museum gingen. Zwangsläufig kamen sie dabei auch mit der Kunst in Berührung.“ Das genaue Gegenteil kannte sie aus den heimischen Museen: „Hier wurden Schülerinnen und Schüler allzu oft durch Museen geschleift – das Interesse dabei tendierte gegen null.“ Das habe sich inzwischen zum Glück geändert, auch wegen innovativer Vermittlungsangebote wie dem Projekt Besucherpi.lot, bei dem Jugendliche in der Pinakothek der Moderne und im Museum Brandhorst vor ihren Lieblingswerken stehen und den Gästen ihr Wissen darüber weitergeben.
Genauso wichtig ist für Schieferle die Barrierefreiheit. „Es muss unser aller Ziel sein, Museen und Kultureinrichtungen für alle Menschen mit all ihren individuellen Voraussetzungen zugänglich zu machen. Das geht von Erreichbarkeit für Menschen im Rollstuhl über Beschriftung in Blindenschrift, Übersetzung in Gebärdensprache bis hin zu Texten in einfacher Sprache“, so Schieferle. Die Geschäftsstelle Kunstareal hat daher die Arbeitsgruppe Barrierefreiheit gegründet, „denn es muss ja nicht jedes Haus das Rad neu erfinden, etwa wenn es um den Einsatz von KI bei der Übersetzung in einfache Sprache geht“, sagt Schieferle. Und so sind ihre Tage meist eine Perlenkette verschiedener Sitzungen. Das betrifft vor allem auch die Planung institutionenübergreifender Projekte im Kunstareal. „Da verstehe ich mich als Schaltstelle oder Synchronisation. Die großen Museen müssen oft Jahre im Voraus planen, Galerien haben einen viel schnelleren Takt – und bei den Hochschulen muss man so Dinge wie die Semesterferien beachten.“
Schieferle beklagt sich nicht über die Hektik. Im Gegenteil: Sie mag den Trubel. Am meisten liebt sie das Kunstareal in den Mittagsstunden, wenn die Bürgersteige so voll sind wie die Rolltreppen am Stachus. Sie hat aber auch ein Gegenmittel: einen gar nicht so geheimen Rückzugsort, eine kleine Oase der Ruhe mitten im Strudel des Kunstviertels. Den verrät sie nur allzu gerne: „Hinter der Hochschule für Musik und Theater gibt es einen kleinen Hof. Man hört die Studierenden musizieren, was eine wunderbar konzentrierte und kontemplative Stimmung zur Folge hat. In der Mittagspause oder nach einem stressigen Tag mache ich hier gern halt – es ist jedes Mal, als bliebe die Zeit für einige Momente stehen.“