Münchens Sterneküchen sind genauso bunt wie die Viertel selbst. Wir treffen die Spitzenköchinnen und -köche dort, wo sie selbst gern Mittag machen. Diesmal sind wir mit Rosina Ostler vom Restaurant Alois am Fräulein Grüneis verabredet – der kleine Kiosk ist ein beliebter Treffpunkt im Englischen Garten.
München hat zum ersten Mal eine Zwei-Sterne-Köchin: Die 32-jährige Rosina Ostler hat erst letztes Jahr im Restaurant Alois im Dallmayr angefangen und auf Anhieb zwei Sterne geholt. Im Moment ist sie damit eine von nur drei Köchinnen in ganz Deutschland, die so eine hochdotierte Auszeichnung vom Guide Michelin erhalten haben. Wir treffen Ostler zu einer Mittagspause im Englischen Garten bei dem Kioskimbiss Fräulein Grüneis, danach radeln wir rüber ins Alois. Dort zeigt die Sterneköchin uns das schicke Restaurant, ihre Küche und den kleinen Dachgarten, auf dem sie und ihr Team selbst Wildkräuter, Gewürze und essbare Blüten anpflanzen.
Auch das Fräulein Grüneis liegt, passend zum Namen, tatsächlich mitten im Grünen: Im Sommer spenden die zahlreichen, dicht bewachsenen Bäume um den kleinen Kiosk herum reichlich Schatten. Man nimmt auf Bänken oder Bierkisten Platz und holt sich vorne an der Kasse kleine Gerichte, Kaffee, Kuchen. Sterneköchin Rosina Ostler ist öfter hier, ihre Schwester wohnt gleich um die Ecke, sie selbst in der benachbarten Maxvorstadt. Die beiden gehen mit dem Hund spazieren und kehren danach im Grüneis ein: „Hier ist es immer schön und unkompliziert. Ich esse meistens etwas Vegetarisches von der Tageskarte.“
Heute stehen eine Blumenkohl-Currysuppe, Penne mit Gorgonzolasauce, Birne und Walnüssen, ein indisches Hähnchencurry sowie ein asiatischer Reissalat mit Ananas auf der Tafel. Wir entscheiden uns für Letzteres und setzen uns auf eine der grünen Bänke. Während wir auf das Essen warten, zeichnet Rosina Ostler ihren Lebenslauf nach: ein Bachelorstudium in Medienmanagement in München, dann für den Master „Food Culture and Communications“ ins italienische Piemont. Schon während des Studiums baut Ostler sich ein eigenes Kochblog auf, macht sogar private Caterings.
Nach dem Studium ist ihr klar: Sie will Köchin werden! Die gebürtige Münchnerin entscheidet sich für eine Ausbildung im Drei-Sterne-Restaurant Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach. Nach der Ausbildung hängt sie noch ein Jahr dran, lernt unglaublich viel, fokussiert sich nur auf die Arbeit. Dafür ist der Schwarzwald perfekt, aber danach muss sie als Ausgleich nach Berlin. Kultur, Menschen, alles bunt. Sie kocht im Sternerestaurant einsunternull, das leider die Corona-Pandemie nicht übersteht. „Ich wollte immer einmal ins Ausland, also habe ich mich anschließend im Restaurant Maaemo in Oslo beworben. Dort war ich essen, lange bevor ich Köchin wurde und wusste: Das wäre eine tolle Station!“
„Das Land ist riesig, aber kaum jemand lebt dort. Ich verbinde Norwegen mit dem Gefühl von Freiheit!“
Ostler ist fasziniert von Norwegen, von der Natur und der Weite: „Das Land ist riesig, aber kaum jemand lebt dort. Ich verbinde Norwegen mit dem Gefühl von Freiheit!“ Aber nicht nur die Landschaft gefällt ihr, auch in der Kulinarik fühlt sie sich sofort wohl. Minimalistische Teller, hochwertige Produkte, alles reduziert auf das Wesentliche. Dass in Norwegen oft mit mehr Hingabe und Achtsamkeit gekocht wird, erklärt sich Rosina Ostler auch über die Nähe zum Produkt: „Dort schätzt man es sehr, dass die Jakobsmuschel gerade frisch von einem Taucher aus dem Meer geholt wurde. Oft kommen die Produzenten persönlich ins Restaurant, um die Ware selbst auszuliefern.“
Perfektes Timinig, denn gerade kommt Fotograf Frank und bringt uns das bestellte Mittagessen. Der kalte asiatische Reissalat im Grüneis wird mit Ananas, Erbsen und frischen Kräutern serviert. Eine ungewöhnliche Kombination, die aber an diesem heißen Sommertag gerade recht kommt. Mittlerweile ist das Fräulein Grüneis richtig gut besucht – einige Leute kommen von einem Spaziergang durch den Englischen Garten, andere arbeiten im Lehel und verbringen ihre Mittagspause hier. Man trifft auch immer wieder Surfer hier, denn der belebte Kiosk befindet sich gleich in der Nähe der Eisbachwelle.
Nach drei Jahren Oslo packt Ostler dann doch das Heimweh. Es wird Zeit für sie, auch einmal anzukommen und das Gelernte kreativ umzusetzen, sich zu entfalten. Sie entdeckt eine Stellenausschreibung im Restaurant Alois, bewirbt sich kurzerhand, obwohl sie sich sicher ist, dass die Stelle schon vergeben sein muss. Aber am nächsten Tag kommt direkt eine Antwort und kurz darauf die Zusage für den Job! So wie ihr Vorgänger Max Natmessnig gibt es bei Rosina Ostler viele, kleine Gerichte. Momentan sind es mittags zehn Gänge, im Abendmenü ganze 16 – darunter auf den ersten Blick auch ungewöhnliche Aromen-Kombinationen wie Saiblingsleber mit Molke und Holunder.
„Es ist ein sehr spannendes, tapasartiges Menü auf handwerklich höchstem Niveau. Die vielen, kleinen Gänge sorgen für eine richtig schöne Steigungskurve mit allerhand verschiedenen Aromen“, erklärt Ostler. In dem Sternelokal in Oslo hat sie auch viele, kleine Gerichte gekocht. Ein Konzept, das in Deutschland noch nicht allzu üblich ist, erzählt sie. Je mehr Gänge man hat, desto mehr Drama und Spannung kommt ins Menü. Man kann sich als Köchin ausprobieren und experimentieren. Wie zum Beispiel bei dem neuen Gericht mit gelber Zucchini, Olivenkraut und Koriandersaat gewürzt mit Hechtkaviar: „Olivenkraut habe ich total für mich entdeckt, es wächst wie Koriander, aber schmeckt wie eingelegte Oliven.“
„Es ist ein sehr spannendes, tapasartiges Menü auf handwerklich höchstem Niveau. Die vielen, kleinen Gänge sorgen für eine richtig schöne Steigungskurve mit allerhand verschiedenen Aromen.“
Rosina Ostler ist begeistert von Wildkräutern, von viel Gemüse. Genauso aber ist sie diejenige, die im Freundeskreis dafür bekannt ist, dass sie im Wirtshaus auch mal gerne die Schlachtschüssel bestellt. In ihrer Kindheit tat sich Ostlers Mutter die Innereien der traditionellen Martinsgans immer auf die Seite. „So habe ich früh gelernt: Die Innereien sind das Beste. Heute habe ich deshalb eine sehr wertschätzende Herangehensweise, wenn es um die Verarbeitung von Fleisch geht.“
Nach dem Essen packen wir unsere Sachen zusammen und fahren mit dem Rad rüber in die Altstadt. In wenigen Minuten stehen wir vor dem historischen Dallmayr-Haus in der Dienerstraße. Die erste Eintragung von dem Geschäft an diesem Standort ist aus dem Jahr 1700. Dallmayr zählte später zu den beliebtesten Delikatesshäusern Europas und war königlich-bayerischer Hoflieferant. Auch heute noch bekommt man allerlei Exotisches und Ausgefallenes in höchster Qualität: Von seltenen japanischen Whiskeys bis zu Vollmond-Sardinen aus Galizien.
Auch Rosina Ostler profitiert von dieser besonderen Verbindung von Delikatessenhaus und Sternerestaurant: „Wenn ich Inspiration suche, gehe ich auf oft einfach runter in den Delikatessenladen. Zudem habe ich wöchentliche Meetings mit unserem Chefeinkäufer, der schon seit über 30 Jahren bei Dallmayr ist.“ Dieser hat die besten Verbindungen zu Winzer*innen und Produzent*innen aus aller Welt und kann damit eigentlich jeden noch so ausgefallenen Wunsch erfüllen. Was Rosina Ostler dagegen braucht, wächst oft sogar vor der eigenen Türe: Wildkräuter!
„Wenn ich Inspiration suche, gehe ich auf oft einfach runter in den Delikatessenladen. Zudem habe ich wöchentliche Meetings mit unserem Chefeinkäufer, der schon seit über 30 Jahren bei Dallmayr ist.“
Die Münchner Sterneköchin bringt frischen Wind in das Traditionsgeschäft: Ganz nach skandinavischer Manier kocht sie gerne mit Wildkräutern aller Art, die sie selbst sammelt und seit Kurzem auch auf der kleinen Innenhof-Terrasse vom Alois anpflanzt. Im Team sind neun Köch*innen, jeder und jede hat ein eigenes Hochbeet, seitdem Ostler Küchenchefin ist. Zum Teamausflug ging es letztens auf eine Kräuterwanderung. Was für eine Chefin ist Ostler? „Ich bin wahnsinnig detailorientiert und achte sehr auf Organisation und Sauberkeit. Außerdem sehr empathisch und eher ruhig. Wenn ich richtig sauer bin, rede ich eigentlich gar nicht mehr“, erzählt sie und lacht daraufhin ein ganz herzliches, bayerisches Lachen. Ein Lachen, das einen umarmt.
Über den Hintereingang gelangen wir ins Restaurant, in der Küche wird schon fleißig vorbereitet für den Abend, es laufen laute 80er-Jahre-Hits, darunter „A Night to Remember“ von Shalamar. Ostler beschreibt das Restaurant Alois im ersten Stock als „sehr besonderes Wohnzimmer im Delikatessenhaus“ und dabei muss man ihr Recht geben: Die hochwertigen Kranich-Tapeten machen die Räume gemütlich, ohne sie zu erdrücken. Die Stühle mit rotem Lederbezug passen perfekt zum weinroten Teppichboden. Der sorgt auch für eine angenehme Akustik.
Rosina Ostler nimmt uns einmal gedanklich mit in ihren klassischen Abendservice. Im Sternerestaurant vom Dallmayr verbindet sich höchstes Niveau mit liebevoller Leichtigkeit: „Das Alois hat so eine entspannte Energie, niemand muss sich Gedanken darüber machen, ob er schick genug angezogen ist. Ich liebe es, wenn das Lokal voll belegt ist, man hört Gelächter, es wird geratscht. Wir kommen mit raus an den Gast und servieren die Gerichte. Unser Team ist jung und das spürt man, wir halten zusammen wie eine Fußballmannschaft.“
