Eine Auswahl an Dirndl in der „Münchner Dirndl“ Manufaktur.

Fachgespräch mit Carolin Engelhardt

„Das Schöne an der Tracht ist, dass sie zeitlos ist“

Die Tracht ist in München nicht nur zum Oktoberfest ein beliebtes Outfit. Carolin Engelhardt, Gründerin und Creative Director der „Münchner Dirndl“-Manufaktur, gibt Einblicke in die Welt der Dirndl und warum Tradition auch heute noch gelebt wird.

Wer von Carolin Engelhardt ein echtes „Münchner Dirndl“ haben möchte, muss etwas Aufwand betreiben. Ihr Atelier im Herzen Schwabings hat weder feste Öffnungszeiten noch Klingel, ein Besuch ist nur mit Termin möglich. Auch einen Onlineshop gibt es nicht. Trotzdem sind ihre Kreationen gefragter denn je. Denn ihre Marke ist eine Rarität in Zeiten, in denen Dirndl-Onlineshops boomen und Tradition mehr und mehr in den Hintergrund rückt. Ein Gespräch über den perfekten Dirndlschnitt, über ihre Ursprünge in der klassischen Mode und weshalb sie selbst nur zwei Dirndl besitzt.

 

Frau Engelhardt, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Dirndl?

Mein erstes richtiges Dirndl habe ich erst mit 30 bekommen, ein Geburtstagsgeschenk meiner Eltern.

Das ist ja recht spät.

Ich hatte als Kind schon auch Dirndl, aber mein erstes „richtiges“ Dirndl dann erst mit 30. Schon damals wollte ich unbedingt ein Originaldirndl haben. Und es sollte unbedingt das Salzburger Dirndl sein, weil ich die Handwerkskunst dahinter einfach toll fand. So etwas hatte ich vorher noch nie so gesehen.

2017 gründeten Sie dann Ihr eigenes Dirndl-Label. Wie kam es dazu?

Ich habe in München auf der französischen Modeschule Esmod studiert und arbeitete währenddessen bei Jil Sander. Da habe ich ein Gespür dafür bekommen, wie sehr es sich auszahlt, wenn man mit guten, teuren Materialien arbeitet. 2007 ließ ich mir für eine Geburtstagsfeier das Dirndl in Salzburg machen. Das war ein Schlüsselmoment für mich. Ich dachte mir: Es ist doch schade, dass man von München nach Salzburg fahren muss, um diese traditionelle Art von Dirndl zu bekommen. Dann bin ich fast zehn Jahre schwanger gegangen mit meiner Idee, solche Dirndl in München anzubieten.

Was hat so lange gedauert?

Ich habe meinen eigenen Schnitt von vorne bis hinten selbst auf die Beine gestellt, was mich wahnsinnig viel Kraft und Energie und vor allem auch Geld gekostet hat. Die Schneiderin, die für mich die ganzen Prototypen näht, hat zu mir vor Kurzem gesagt: „Carolin, du musst endlich aufhören, deinen Schnitt immer wieder optimieren zu wollen.“

Video: Carolin Engelhardt – Viertelbotschafterin Schwabing

Inwiefern ist der Schaffensprozess bei einem Dirndl anders als bei einem „normalen“ Kleid?

Ein Riesenunterschied ist die Gradierung des Schnittes. Gradierung heißt: Wenn man einen Schnitt ändert, in jeglicher Art und Weise, muss man den Schnitt an mindestens vier Größen anpassen. Man näht einen Schnitt in Größe 32, in 38 und mindestens in 46. Ab Größe 38 wird der Kunde allerdings meist nicht mehr größer, sondern nur noch breiter. Und das ist das Komplexe daran.

„Ich dachte mir: Es ist doch schade, dass man von München nach Salzburg fahren muss, um diese traditionelle Art von Dirndl zu bekommen. Dann bin ich fast zehn Jahre schwanger gegangen mit meiner Idee, solche Dirndl in München anzubieten.“
Carolin Engelhardt

Und das ist anders als bei einem „normalen“ Kleid?

Ja. Bei einem „normalen“ Kleid, zum Beispiel bei der Tunika, brauchen wir keine Gradierung, da ist der Stoff einfach fließend. Da ist es dann beispielsweise nur noch relevant, dass der Ausschnitt für den Arm groß genug ist.

Wie viele Dirndl haben Sie insgesamt?

Zwei habe ich.

Ziemlich minimalistisch.

Stimmt, aber ich brauche auch nicht viel. Außerdem kann man die Dirndl auch immer wieder abwandeln, dann macht man eine Seidenschürze für einen schickeren Anlass drauf oder bringt im Nachhinein ein Froschmaul an, also eine aufwendig von Hand gefertigte Trachtenborte. Eins der zwei ist die Salzburger Tracht, die ist und bleibt mein erstes Dirndl.

Wie erkennt man ein hochwertiges Dirndl?

Die erste Regel lautet: anfassen und schauen, was für Materialien verarbeitet sind. Dann schaut man sich am besten an, wie es geschnitten ist. Meine Schnitte haben beispielsweise ein paar Besonderheiten: Ich habe den Armausschnitt für diesen Schnitt optimiert, ich habe einen anderen Trägerverlauf als die meisten anderen Marken. Es sind viele Kleinigkeiten, die man oft erst auf den zweiten Blick sieht. Und manches erkennt man erst, wenn man ein Dirndl wendet und reinschaut. Dann sieht man, wie das Dirndl verarbeitet ist. Ein weiterer Unterschied: das Mieder. Früher verarbeitete man eine leimartige Flüssigkeit und sorgte so für Stabilität. Man sagte dann, es sei ein „gschmissenes” Mieder. Ich benutze dagegen mindestens acht Doppelhaken und metallene Miederspiralfedern sowie zusätzliche Fließeinlagen – das gibt nachhaltig Stabilität. Diese Haken müssen mehrere Kilo halten können – so was kann kein filigraner Reißverschluss.

„Wenn ich eine Farbe aussuchen müsste, wäre es Blau. Das ist München, das ist bayerisch. Und fast jeder Frau steht Blau. Deswegen verkaufe ich aktuell sechs Blautöne: Veilchen-, Vergissmeinnicht-, Royal-, Tinten- und Nacht- und Himmelblau.“
Carolin Engelhardt

Spielt auch der Stoff eine Rolle?

Das Stoffvolumen macht den Unterschied – das zahlt sich vor allem bei einem gut verarbeiteten Saum aus. Hier wird oft getrickst und der Saum maximal einmal umgeschlagen, damit man weniger Stoff braucht. Wir schlagen den Saum mindestens zwei Mal um, was auch für mehr Volumen sorgt. Insgesamt verarbeiten wir im Rock bis zu drei Meter Stoff. Auch der Ursprung der Stoffe spielt eine wichtige Rolle für mich.

Was macht Ihre Dirndl noch besonders?

Der Druck, der Schnitt und die Qualität. Ich weiß, was in meinen Dirndln verarbeitet wird, viele Marken wissen das nicht. Zum Beispiel verarbeite ich Miederspiralfedern aus Metall, die nicht nur sehr stabil sind, sondern auch flexibel. Das spürt man, wenn man darüberfährt. Aus Kostengründen werden die heute kaum noch verarbeitet. Man kann auch Plastikstäbchen verwenden, die schneidet man zu, steckt sie rein, fertig. Aber wenn die einmal umknicken, muss man das ganze Dirndl auftrennen.

Wie wichtig ist Ihnen Tradition?

Sehr wichtig. Ich ziehe nicht mit der Masse mit, sondern mache das, was ich für richtig für die Tracht halte. Bei vielen Dirndlmarken geht es nur noch darum, möglichst viele Dirndl in möglichst vielen Kombinationsmöglichkeiten zu vertreiben – ob mit Strassstein, Glitzer oder Plastik von oben bis unten.

Die Prints auf Ihren Stoffen sind streng genommen auch nicht „münchnerisch“. Wie passen für Sie Tradition und Innovation zusammen?

Meine Arbeitsweise und die Wahl der Materialien sind die Punkte, bei denen ich Wert auf Tradition lege. Ich verarbeite das Material nur zu einer anderen Variante um. Bei meinen Prints bin ich dagegen gerne innovativ. Wobei selbst die originale, komplett schwarze Münchner Tracht häufig kleine Symbole in den Stoff eingearbeitet hat.

Was halten Sie von Trends bei der Tracht?

Das ist meiner Meinung nach schwierig. Ich arbeite prinzipiell mit Farben, die mir irgendwo in der Natur begegnen, bei denen ich sage: Wow, das wäre eine Farbe für ein Dirndl. Ich orientiere mich daran, was eine Farbe mit der Person macht, die in dem Dirndl drinsteckt. Aber wenn ich eine Farbe aussuchen müsste, wäre es Blau. Das ist München, das ist bayerisch. Und fast jeder Frau steht Blau. Deswegen verkaufe ich aktuell sechs Blautöne: Veilchen-, Vergissmeinnicht-, Royal-, Tinten- und Nacht- und Himmelblau. Fast alle sind extra für mich und nach meinen Vorgaben gefärbt worden.  

„Das Schöne an der Tracht ist, dass sie zeitlos ist. Wenn man sie lange trägt und vielleicht sogar weitergibt, ist auch das nachhaltig.“
Carolin Engelhardt

Zu Ihnen kann man nur mit Termin. Warum?

Ich möchte richtig Zeit haben für die Kunden, die wirklich Interesse an einem Dirndl haben. Hier geht niemand aus dem Laden, ohne dass das Dirndl zu 100 Prozent sitzt. So was ist mit Onlineshops nicht möglich. Ich werde immer wieder gefragt, ob ich meine Dirndl nicht online verkaufen möchte und lehne immer wieder ab. Das Hin- und Herschicken finde ich nicht gerade umweltbewusst.

Wie setzen Sie bei Münchner Dirndl Nachhaltigkeit um?

Dass wir keinen Onlineshop haben, ist schon der erste Punkt. Wir versuchen, so nachhaltig wie möglich zu produzieren, ich arbeite ausschließlich mit Firmen aus Deutschland und Österreich zusammen und in München liefern wir alles mit dem Rad aus; wir verarbeiten nur Naturmaterialien und erzeugen so wenig Abfall wie möglich. Und das Schöne an der Tracht ist, dass sie zeitlos ist. Wenn man sie lange trägt und vielleicht sogar weitergibt, ist auch das nachhaltig.

Zum Schluss noch ein schnelles Dirndl-No-Go-Quiz. Als Frau mit Lederhosen auf die Wiesn – cool oder nicht cool?

Ich persönlich finde eine Frau in einem Kleid immer schöner als in einer Lederhose.

Rock überm Knie?

Geht für mich eher schlecht. Ich finde: je länger der Rock, desto sexier und schöner das Dirndl. Und wenn man es doch mal kürzer haben möchte, ist das schnell erledigt. Aber länger machen wird schwierig. Nur bei mir nicht, da ich extra viel Saum verarbeite.

Dirndl ohne Bluse?

Wer es will. Aber für mich ist es nichts.

Sneaker zum Dirndl?

Finde ich cool und vor allem bequem. Mir gefällt aber auch ein schlichter Ballerina.

 

 

Text: Nansen & Piccard; Fotos: Frank Stolle
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