Wenn der Guide Michelin im Frühjahr seine Auszeichnungen vergibt, regnet es jedes Jahr Sterne über Münchens Restaurants. Aber eine Großstadt lebt auch von der einfachen Küche, den kulinarischen Entdeckungen, die man nebenbei und ohne prall gefüllten Geldbeutel machen kann. Wir haben den Spitzengastronomen Wolfgang Hingerl herausgefordert: In welchem Restaurant kann man herausragend essen – ohne mehr als zwanzig Euro pro Person auszugeben?
Die letzten Sonnenstrahlen schummeln sich durch die Häuserlücken an der Dachauer Straße. Auf dem engen Gehweg drücken sich Passantinnen und Passanten an den geparkten Autos vorbei – und an den wenigen Tischen vor einem schmalen Ladenlokal. Dessen Scheiben sind mit Fotos von Tellern mit kugelförmigen Reisportionen und schwer identifizierbaren Beilagen bedeckt, die Erläuterungen in gerundeten siamesischen Buchstaben.
Gut lesbar steht Krua Thai in goldenen Lettern auf einem roten Schild an der Eingangstür, intensive Gerüche von heiß Gebratenem und frischen Kräutern dringen aus der Küche hinter den Fassaden. Wenn nicht gerade eine Tram vorbeifahren würde, man wäre fest überzeugt, einem Abend in Bangkok entgegenzublicken.
Bis ein gut gelaunter Mann mit kurzem, blonden Bart die Szene betritt, in der Hand drei dünnwandige Weingläser und eine Flasche, deren Etikett nach einem sehr alten französischen Weingut aussieht. Wolfgang Hingerl hat uns hierher zum Essen bestellt, der Mann hinter einer Reihe von Münchner Restaurants, die eher am oberen Ende der offiziellen Skala operieren: Das Mural und das Farmhouse haben beide einen Michelin-Stern, seine anderen beiden Läden – die Bambule! Bar und die Bar Mural – bieten ebenfalls gehobene Regionalküche an.
Die Herausforderung: Kann er uns überzeugen, dass man in München auch für weniger als 20 Euro pro Person gut – und ausreichend! – essen kann? Einer seiner Tricks heute Abend: Er weiß, dass man die Leute vom Krua Thai, wenn man höflich fragt, überzeugen kann, dass es schon in Ordnung ist, seinen eigenen Wein mitzubringen. Gegen ein kleines Korkgeld, versteht sich. So bleibt schon mal mehr Geld fürs Essen.
Warum ausgerechnet hier? Was reizt jemanden, der normalerweise mit Zutaten aus dem Münchner Umland hantiert und versiert in französischen und auch nordischen Techniken und Traditionen ist, an einer Garküche, die thailändisches Streetfood anbietet? „Richtig gute asiatische Küche habe ich eigentlich erst in München kennengelernt“, sagt Hingerl. Das mache für ihn schon auch den Reiz einer Großstadt aus. „Das Essen ist so konträr zu dem, was man sonst immer zu Wein bekommt. Schön soulig. Und ich mag es, wenn man ein bisschen schwitzt, wenn es dann mal scharf wird.“
Dazu kommt ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das man mit eingedeckten Tischen und Service so nicht hinbekommt. „Es ist ein unglaublich kleiner Gastraum, trotzdem mehrere hundert Gäste pro Tag. Das funktioniert halt.“ Und außerdem, so Hingerl, können sie hier halt einfach kochen. Und tun das auch, Tag für Tag.
„Richtig gute asiatische Küche habe ich eigentlich erst in München kennengelernt“, sagt Hingerl.
Wir inspizieren die Bilder auf der Scheibe. Das Pad Thai gilt als eines der besten der Stadt, aber Hingerl ist heute mehr nach gebratenem Reis. Weiter bestellen wir Laab Ped, gehacktes Entenfleisch mit Zitronengras und Koriander, Pad Kra Pao vom Rind mit Spiegelei und einen grünen Papayasalat für die Frische – mit rohen Buschbohnen dazu, auch so eine thailändische Besonderheit, die noch mehr Biss und einen puren, reinen Rohkosttouch liefern. Vier Sharing-Teller, mit denen wir für die drei Teilnehmenden dieses wunderschönen Experiments im vorgegebenen Budget bleiben.
Alles wird hier frisch gemacht, es bleibt Zeit für eine Frage: Wie geht das zusammen, Wein und asiatisch? „Kann man gut kombinieren. Weil man in der asiatischen Küche viel mit Frucht arbeitet. Das kriegt man ja bei uns in der Küche gar nicht hin.“ Mit was also verproben wir?
Mit einem 2017er Bourgogne Blanc vom Weingut Domaine Pierre Boisson aus dem Burgund. „Ein klassisches Cuvée, typischer Weinverschnitt aus verschiedenen Lagen, die alle mit Chardonnay bepflanzt sind“, erklärt Hingerl. „Der 2017er hat eine schöne Säure, das kann mit der leichten Reife Spaß machen. Süß und scharf ist mir immer etwas zu gegensätzlich, es muss ja trotzdem noch Druck haben. Salz und Säure ist ja das, was schiebt.“
„Da werde ich dann mal kurz aus den Ohren atmen.“
Aha, weiter, bitte! „Und der Wein kann auch gut mit einer gewissen Schärfe umgehen. Außer, es sind vier von fünf Chilis hier im Rating, aber das werden wir ja gleich sehen. Da werde ich dann mal kurz aus den Ohren atmen.“ Hingerl hat einen kleinen Schatz mit in die Dachauer Straße gebracht, der einen das Warten auf die Speisen vergessen lässt.
Und dann geht's los. In kurzem Abstand werden die Teller herbeigetragen. Der Reis duftet, mit einer Note von Röstaromen. Perfekt, es ist genau das, was Hingerl daran mag. Das Spiegelei, eher frittiert als gebraten, wölbt sich an den Rändern nach oben. „Wie kriegen die das immer hin?“, fragt sich Hingerl laut. Und bietet uns die erste Gabel an. Heiß, frisch, herrlich.
Das Laab Ped wird von gekringelten, frittierten Entenschwarten und Curryblättern geziert, Zitronengras und reichlich Chili schießen gegen den herrlich fetten Entengeschmack. Pad Kra Pao auch phänomenal. Der Papayasalat ist so scharf, dass es einen tatsächlich vom Stuhl hebt. Aber gut, das wollten wir ja so. Man hätte ihn ja auch etwas milder bestellen können, auf der Karte wird schließlich gewarnt. Mit einem Happen Reis hinterher kommen dann auch die Granny-Smith-Noten des Burgunders wieder zur Geltung.
Hingerl schwelgt, man merkt ihm an, dass Essen nicht nur sein Beruf, sondern eine echte Leidenschaft ist. „Dieses Zusammenspiel! Süß, sauer, scharf. Aber auch viel Eingelegtes, Fermentiertes. Garum, Fischsaucen, ich liebe Thailändisch!“ Wir tauschen die Teller durch, werden immer glücklicher, unterbrochen nur von Hingerls Schwärmereien. „Es ist auch eine unglaubliche Kräuterküche, es ist alles voll mit Kräutern, büschelweise! Und dann der Ingwer, Galgant, die Tamarinde …“ Man kann ihm nur beipflichten, es ist eine außergewöhnliche Reise ans andere Ende der Welt. Für einen mehr als fairen Preis. Und am Ende sind wir auch ohne Probleme satt!
Ob es jetzt wirklich schmeckt wie in einer Garküche in Bangkok? Das kann Hingerl leider nicht sagen. Dorthin hat er es noch nicht geschafft. Aber es steht ganz weit oben auf der Bucketlist. Wenn dann mal wieder Zeit ist, neben den vier eigenen Betrieben.
So lange muss es das Krua Thai richten. Und das tut es. Furios.