Unsere Autorin konnte in den letzten Jahren als Reisebloggerin ihren Entdeckerdrang ausleben, zurück in München war immer Entspannung angesagt. Was sie dabei verpasst hat, holt sie in dieser Kolumne nach. In dieser Folge geht sie der Frage auf den Grund, warum es ihr schwer fällt, abends einfach mal alleine auszugehen – etwas, das sie auf Reisen regelmäßig tut.
Eins vorweg: Ich bin keine Nachteule, aber ich mag Bars. In New York liebe ich die kleinen Jazzkeller im Village, in Paris habe ich mich mal in eine Vinothek in einer Seitenstraße direkt unterhalb des Montmartre verliebt – und leider nie wiedergefunden. In Barcelona mag ich die vielen verschiedenen Tapas-Bars, aus denen man nach ein paar Gläsern Wermut fröhlich in die Nacht hinausstolpert. Um eine Stadt von allen Facetten kennenzulernen, gehört ein Abstecher ins Nachtleben dazu: Was wird wo getrunken? Wie ist die allgemeine Stimmung vor Ort und fühle ich mich selbst wohl – alleine in einer Bar, in einer mir fremden Stadt?
Zehn Minuten später erzählt der achtzigjährige Saxophonist eine Jazzanekdote aus vergangenen Südstaatenzeiten und ich trinke einen eiskalten Gin Tonic aus einem schmalen Longdrink-Glas.
Wenn mir zuhause in München Freunde spontan absagen oder niemand Zeit für einen Drink hat, dann verbringe ich den Samstagabend auf dem Sofa. Hier bin ich noch nie alleine losgezogen. Doch das möchte ich jetzt ändern. Vor allem möchte ich herausfinden, wo man in München auch gut alleine ausgehen kann und ob ich in den Bars die Einzige sein werde, die ohne Begleitung am Tresen sitzt.
Vor ein paar Monaten wollte ich mal zum Sonnenuntergang auf eine Dachterrasse, doch die Luxusbar war überlaufen. Ich wartete bereits zwanzig Minuten im Eingangsbereich darauf, mit dem Fahrstuhl nach ganz oben fahren zu dürfen, als mich der Türsteher fragte, ob ich alleine sei. Ich überlegte, ob ich zu einer Notlüge greifen sollte – dass meine Freunde bereits oben warteten, anstatt ehrlich zu sagen, dass ich alleine war. Ich entschied mich für die Flunkerei und durfte in den Aufzug steigen. Oben angekommen dröhnte die Musik eines DJs Marke Großraumdisco aus den Boxen, viele Gäste starrten mich an und die Sonne hatte sich hinter Schleierwolken versteckt. Ich ging nach fünf Minuten und fuhr stattdessen zu einer Bar, die ich bereits seit Jahren liebe – und der ich deshalb für diese Kolumne einen Besuch abstatte.
Die Bar Centrale ist Italien im Taschenformat. Hier wird jeder Gast auf Italienisch begrüßt, die Kellner*innen hinter dem Tresen sind tagsüber wie abends so gut drauf und redselig, man könnte meinen, sie wurden einzig für diesen Job geboren. Besonders ist an dieser Bar, die tagsüber als Café fungiert und extrem leckere Pastagerichte und Salate anbietet, so ziemlich alles. Der mehrfarbige Steinboden, der an die kühlen Stadtvillen des letzten Italienurlaubs erinnert. Das Mini-Tiramisu in der Tasse. Die bei schönem Wetter offene Front, sodass man drinnen, aber gefühlt draußen sitzt. Die grau-blauen Möbel aus den 1960er-Jahren im hinteren Restaurantbereich. Vor allem ist es jedoch die allgemeine Ungezwungenheit eines sehr gemischten Publikums.
Als ich am frühen Abend die Bar betrete und mir am Tresen einen Aperol Spritz bestelle, sitzt am Tisch gegenüber eine schöne Frau, die ein Glas Weißwein trinkt und über die Zeilen ihres Buches schmunzelt. Sie fängt meinen Blick auf und zwinkert mir zu. Oh, il dolce far niente. Ich setze mich auf einen Barhocker entlang der mit Holz verkleideten Wandfassade und trinke einen Schluck.
In den nächsten anderthalb Stunden beobachte ich mehrere Männer, die alleine reinkommen, am Tresen einen Espresso trinken und wieder gehen, oder sich mit einem Drink nach draußen setzen und die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen. Einer von ihnen trägt Tracht mitsamt Hut und Feder, die Gitarre auf seinem Rücken stellt er in der Ecke ab, dann schlägt er die Zeitung auf und vergisst alles um sich. Ich lausche den Italo-Klassikern aus den Boxen und komme mit einem Ehepaar ins Gespräch. Als sie mir über ihre bevorstehende Reise durch das kleine Land Benin in Westafrika erzählen, sage ich ihnen, dass ich dort ebenfalls schon war und ich gespannt sei, wie sie es finden werden. „Wir sind fast immer hier um diese Uhrzeit“, sagen sie dann. „Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“
Um ehrlich zu sein steckt in diesen beiden Sätzen des Paares, warum ich die Bar Centrale so gerne mag. Man fällt kaum auf, wenn man alleine ist, denn man ist alleine unter vielen. Und man kennt sich, hier, im Zufluchtsort für alle mit Italienweh.
Bar Centrale | Ledererstraße 23
Auch schön: VON&ZU, Quattro Tavoli, Di Rosa 2 Bar
Für meinen letzten Tresenausflug fahre ich ins Glockenbachviertel und statte dem erst Anfang 2019 eröffneten Curtain Call einen Besuch ab. Es ist 23 Uhr, als ich durch die kleine Bar im sehr schicken Art Deko-Stil gehe und am kurzen Tresen Platz nehme. Noch während ich mich umsehe und feststelle, dass ich die einzige Person ohne Begleitung bin, reicht mir der junge Barkeeper ein Glas Wasser und die Karte. Hauptbestandteil vieler ausgefallener Cocktails ist der Münchner Illusionist Gin, der türkisfarben leuchtet und sich zartrosa färbt, wenn er mit Tonic gemischt wird. Die beiden Erfinder sind die Betreiber der Bar und verzaubern nun hier den regional hergestellten Gin in Drinks wie meinem – dem Celentano: Gin, roter Wermut, japanischer Pflaumenlikör, Orange. Ich trinke ihn langsam, er schmeckt köstlich.
In der Bar Centrale fällt kaum auf, wenn man alleine ist, denn man ist alleine unter vielen. Und man kennt sich, hier, im Zufluchtsort für alle mit Italienweh.
Mein Blick schweift über das Paar im Eck, das die Köpfe zusammensteckt, über die Clique am Tisch in der Mitte des Raumes und bleibt an der Wand hängen, an der ein aufwendig gemalter Vorhang zu sehen ist, der, wie ich erfahre, von der Bühnenmalerin des Residenztheaters Katja Markel stammt.
Im Curtain Call fühle ich mich zum ersten Mal in meinem Experiment wie ein einsamer Wolf. Das Sinnbild aus der Literatur und vielen Filmen für jemanden – meist einen Mann – der ganz bewusst alleine bleibt, ein Individualist und Eigenbrötler. Aber auch einer, der von anderen in Ruhe gelassen wird und im hintersten Eck einer Taverne seinen Whiskey kippt.
Ich weiß nicht, ob ich an diesem Abend ausstrahle, den einsamen Wolf geben zu wollen, doch ich komme ausschließlich mit dem Barkeeper Lukas ins Gespräch, der auf ganz entspannte Art und Weise immer ein Auge auf mich hat – ob ich noch ein Glas Wasser möchte, ob mir der Drink schmecke? Ich nicke. Und frage ihn, ob denn manchmal auch Gäste alleine herkommen. Er setzt sich für einen Moment zu mir und sagt, dass das ab und an vorkommt. Manche sitzen hier für eine Weile, bestellen schon mal einen Drink, später kommt dann meist jemand dazu. Fernab des Trubels geht es im Curtain Call nämlich darum, sich Zeit für den Genuss zu nehmen – und das kann man schließlich auch wunderbar alleine.
Curtain Call | Pestalozzistraße 16
Auch schön: Trisoux, Ménage Bar, Lola Bar
Als ich um ein Uhr auf die regennasse Straße trete, rufe ich mir ein Taxi. Die charmante Dekadenz des Curtain Call hat auf mich abgefärbt und meine Lider sind schwer. Ich lasse mich auf die Rückbank fallen und lächle darüber, wie nervös mich mein Experiment anfangs gemacht hatte und wie leicht es doch war, mich in drei so unterschiedlichen Bars wohl zu fühlen. Wahrscheinlich gelingt das nicht überall, aber eine große Auswahl für Alleinreisende gibt es allemal. Und so lasse ich die vielen positiven Erlebnisse noch einmal an mir vorbeiziehen, genau so wie das nächtliche München da draußen.
mittlerweile geschlossen
Mister B’s liegt nur einen Katzensprung von der U-Bahn-Station Goetheplatz entfernt. Um kurz nach 21 Uhr an einem schwül-gewittrigen Sommertag steht die Tür zur Bar offen, während die Jazzmusiker*innen, die auf zwei Quadratmetern im Schaufenster stehen, ihre Instrumente einstimmen. Der Raum ist tatsächlich winzig, alle Stühle inklusive der Barhocker sind besetzt. Mister B persönlich, das ist Alex Best, der Hausherr aus Brooklyn, steht hinter dem Tresen und winkt mich herein. Ich fühle mich plötzlich ganz schüchtern und verspüre den Drang, mich wieder umzudrehen und zu gehen, da winkt er nochmal, der Mann in der feinen Anzugweste. Also quetsche ich mich an den vielen Menschen vorbei, bis ich mich im Türrahmen zur Garderobe positionieren kann. Ich beobachte, wie Mister B durch die Reihen geht und nach den Getränkewünschen fragt, während sich bereits der Schweiß in meinem Nacken bildet.
Zehn Minuten später erzählt der achtzigjährige Saxophonist eine Jazzanekdote aus vergangenen Südstaatenzeiten und ich trinke einen eiskalten Gin Tonic aus einem schmalen Longdrink-Glas. Alle um mich herum fächern sich Luft zu. Alle haben dieses selige Lächeln auf den Lippen. Als die Tochter des Saxophonisten „Summertime“ anstimmt, lehne ich mich an den Türrahmen und nehme noch einen Schluck.
Zwei Stunden bleibe ich hier, höre dem Jazz-Quartett zu und beobachte das Publikum, wie sie Cocktails bestellen und Erdnüsse naschen. Es ist durchmischt und international, mit meinen 32 Jahren bin ich an diesem Abend eine der Jüngeren. Die meisten sprechen Englisch miteinander, Mister B bedient sich einer Mischung aus seiner Muttersprache und Deutsch. Ich komme zwar mit niemandem ins Gespräch, aber das macht nichts, denn wir haben alle gemeinsam der Musik gelauscht und sind für eine Weile ganz vorbildlich still abgetaucht.
Als ich nach draußen trete und sich die kühle Nachtluft über meine heißen Wangen legt, überkommt mich das Gefühl, ganz woanders gewesen zu sein. Der kleine Jazzclub, der Cocktailklassiker anbietet und auf den Ausschank der sechs bekannten Münchner Biersorten verzichtet, scheint für mich ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Eine Mini-Institution, die mir in Zeiten vieler reproduzierbarer Barkonzepte als wichtig erscheint.
Mister B.'s | Herzog-Heinrich-Straße 38
Mehr Informationen zu dem kleinen Jazzclub gibt es hier: Alex Best im Interview
Auch schön: Kongress Bar, Pusser's Cocktailbar, Jazzclub Unterfahrt