Unsere Autorin konnte früher als Reisebloggerin ihren Entdeckungsdrang ausleben, zurück in München war immer Entspannung angesagt. Was sie dabei verpasst hat, holt sie in ihrer Kolumne nach. Eigentlich. Denn durch die Coronakrise wurde alles anders. Unsere Autorin nimmt den Pandemiebeginn zum Anlass, ihre Lieblingsorte zu besuchen – und erzählt, was sie mit ihnen verbindet.
Es gibt diesen einen Tag im Jahr, an dem es Ende Februar oder Anfang März ungewöhnlich warm ist. Man läuft selbst durch die Straßen und wundert sich, woher all die Menschen kommen: Waren die schon immer hier? Sind bereits so viele Gäste in der Stadt? Ein Vorgeschmack auf den Frühling und Sommer.
Diesen Tag habe ich 2020 auf der Terrasse im Café Gartensalon verbracht. Ich habe Rührei mit Bauernbrot gegessen, einen Cappuccino getrunken, vielleicht auch zwei, und mich mit allen anderen über diesen Ausreißer-Tag gefreut, auf den jedes Jahr Verlass ist. Eine Woche später schlossen die Kitas und Schulen, meine Arbeit im Büro verlagerte ich ins Home Office und von dort sah ich fürs Erste nur von drinnen nach draußen. Und dachte daran, wie sehr München von der Vielzahl an Menschen lebt, die Museen besuchen, auf den vielen Grünflachen ausspannen, in Restaurants zusammensitzen oder zu Konzerten gehen. Ich dachte an meine Lieblingsorte, bekannt für den Duft warmer Streuselkuchen oder das Geräusch von Fahrradklingeln, das Gefühl eiskalten Wassers auf der Haut oder den Klang des Beifalls hunderter Menschen. Für diese Kolumne habe ich meinen Lieblingsorten einen Besuch abgestattet. Und aufgeschrieben, warum es sich bereits vor der Krise lohnte, sie zu besuchen und warum sie auch danach ganz besonders sein werden.
Das schönste Freibad Münchens erstreckt sich entlang der Isarauen und liegt damit perfekt für alle, die nach ein paar Schwimmrunden die Umgebung erkunden möchten: auf die Räder steigen und entlang der Isar Richtung Süden radeln, in den Flaucheranlagen ein Picknick machen oder einen Spaziergang zur verwunschenen Kapelle Marienklause unternehmen. Aber zurück zum Freibad, das ist nämlich mein liebstes aus mehreren Gründen: 1899 bereits erbaut, wurde es später in ein Naturbad verwandelt – das Badewasser in den Schwimmbecken wird biologisch mithilfe von Mikroorganismen gereinigt. Außerdem fließt durch die Anlage der Isarkanal, ein eiskalter Strom, der an heißen Sommertagen erfrischt wie kein anderes Gewässer. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich mich zum ersten Mal getraut habe, hinein zu springen, anstatt lediglich die Zehen ins Wasser zu strecken. Ganz stolz habe ich im Anschluss meine Pommes gegessen, die, wie jedes Kind weiß, im Freibad am allerbesten schmecken. Idylle pur herrscht im Naturbad Maria Einsiedel, auch an gut besuchten Tagen. Hier sind einfach alle entspannt.
Der Status quo: Das Naturbad ist in den Sommermonaten 2022 geöffnet.
Der Marienplatz und der Viktualienmarkt sind die beiden Herzkammern der Stadt. Damit München funktioniert, müssen sie leben.
Um ehrlich zu sein, meide ich diese beiden Plätze manchmal ganz bewusst. Hier ist es immer voll, im Sommer stehen große Menschentrauben in der Sonne, im Winter wärmen sich alle vor den Buden und Ständen der Weihnachtsmärkte. Diese lebendigen Plätze vermisste ich letztes Jahr ganz plötzlich, denn sie stehen für genau das, was wir uns jetzt so sehnlichst herbeiwünschen: analoge Nähe unter Kastanien, vor dem Neuen Rathaus mit seinem erklingenden Glockenspiel und beim Einkauf von regionalen Produkten auf Münchens Feinschmeckermarkt. Hier rückt man auf der Bierbank zusammen, da knipst man ein Selfie mit der besten Freundin, dort lässt man sich von der Händlerin beim Kauf frischer Gewürze beraten. Der Marienplatz und der Viktualienmarkt sind die beiden Herzkammern der Stadt. Damit München funktioniert, müssen sie leben. Deshalb freue ich mich nun auf die ersten Menschengruppen hier ganz besonders.
Der Status quo: Der Biergarten auf dem Viktualienmarkt hat geöffnet. Die Verkäufer*innen an den Ständen freuen sich ebenfalls auf Sie.
Wer über den Gärtnerplatz läuft, dem fällt ein Gebäude sofort ins Auge: das Staatstheater mit seiner schönen Fassade im Stil des Spätklassizismus. Drinnen bietet es Platz für über 800 Gäste, beeindruckend ist jedoch vor allem, dass die unterirdischen Proberäume bis zu 13 Meter unter der Erde liegen – einer davon ist genauso groß wie die Bühne selbst, auf der am Abend dann viel Magisches passiert. Im vergangenen Winter habe ich zum ersten Mal eine Oper besucht, die mich einmal mehr an das unglaubliche Kulturangebot der Stadt erinnerte. Die Sänger*innen und Musiker*innen im Orchestergraben und alle, die daran beteiligt sind, ein Stück auf die Bühne zu bringen, gebührt der Applaus am Ende jeder Vorstellung. Klatschende Hände, die eine ganz besondere Stimmung tragen, sich mitgerissen fühlen und dann beschwingt, nachdenklich oder inspiriert nach Hause zu gehen: In Krisenzeiten haben sich die Menschen schon immer den Künsten zugewandt, denn sie sind es, die uns in andere Welten abtauchen lassen. Deshalb: Auf ganz bald bitte, liebes Gärtnerplatzheater!
Der Status quo: Das Gärtnerplatztheater hat geöffnet.
Zwei Jahre ist es her, als ich mein Glück kaum fassen konnte. Für das innerhalb von Minuten ausverkaufte Konzert der Rolling Stones hatten mein Vater („Kind, hör’ dir mal diese Schallplatte an, das ist richtige Musik“) und ich zwei Karten ergattert. Freiluftkonzerte mag ich besonders gern, denn trotz der vielen Menschen gibt es dabei immer Luft nach oben. Das Olympiastadion steht seit 1997 unter Denkmalschutz und ist mit seinem Zeltdach architektonisch ein ganz besonderer Ort. Das Konzert war unglaublich gut und trotz des vorhergesagten schlechten Wetters regnete es ausschließlich drei Minuten lang und zwar während 'Paint it black', was wir sehr passend fanden. Derzeit jogge ich mehrmals die Woche an den geschlossenen Türen des Stadions vorbei und blicke durch die Gitter auf die leeren Ränge. Die Songs der Stones habe ich dabei auf den Ohren und ich kann es kaum erwarten, hier bald wieder mit knapp siebzigtausend Menschen zusammen zu feiern und zu singen.
Der Status quo: 2022 finden Großkonzerte im Olympiastadion statt.
Es gibt Cafés und es gibt Cafés: die mit Seele. Orte, die entschleunigen und perfekt sind zum Verweilen. In München gibt es einige solcher Cafés, eins meiner liebsten ist das von Franca. Wenn mir am Nachmittag die Home Office-Decke auf den Kopf fällt, gehe ich zehn Minuten durch die Maxvorstadt, bis ich bei Franca ankomme. Im Sommer sitze ich in ihrem unvergleichlichen Garten, der von seinen Blumen und dem Surren der Hummeln lebt. Im Winter kuschelt man sich in den kleinen Raum zusammen, der Omas Wohnstube gleicht und immer riecht wie die Weihnachtsbäckerei. Vor allem jedoch draußen im Garten, unter einem der ausladenden Sonnenschirme, erlebte ich die schönsten Momente. Hier habe ich 2019 meinen Roman geschrieben, überarbeitet und ganz nebenbei die Jahreszeiten mitbekommen. Manchmal wurde mir dabei ein Stück Streuselkuchen oder der zweite Cappuccino lautlos hingestellt, später meinte Franca dann „du warst so vertieft, ich wollte dich nicht stören“. Das vermisse ich sehr. Deshalb freue ich mich auf die leisen Gespräche an den Nachbartischen, die Hunde zu Füßen, das Verschwinden in Büchern oder dem eigenen Manuskript – in Francas kleinem Café.
Der Status quo: Das Café hat mit dem schönen Garten hat von Mittwoch bis Sonntag geöffnet.
Wer die Vielfalt einer Großstadt erleben möchte, sollte mit den Öffentlichen fahren: Welche Menschengruppen steigen in welchem Viertel ein und aus und worüber wird sich unterhalten?
Wenn eine alte U-Bahn in die Station einfährt, freue ich mich. Nichts gegen die neuen Wägen, doch der Retro-Charme der ersten Baureihe aus dem Jahr 1970 erinnert mich daran, wie lange es schon normal ist, mit einem öffentlichen Verkehrsmittel unter der Erde entlang zu brettern. Wenn ich Großstädte im Ausland besuche, ist es für mich ein Highlight, ein Ticket zu lösen und in den Untergrund hinabzusteigen. In Paris sind es die alten Stationseingänge im Art Nouveau-Stil, an die mich zuerst erinnere. Beim Gedanken an Shanghai fallen mir die Werbespots ein, die an die Tunnelwände während der Fahrt projektiert werden. Wer die Vielfalt einer Großstadt erleben möchte, sollte mit den Öffentlichen fahren: Welche Menschengruppen steigen in welchem Viertel ein und aus, worüber wird sich unterhalten, wer liest überhaupt noch ein Buch und wenn ja, welches? Vielleicht ist es meine Neugier als Autorin, dass ich während der Fahrt gerne meinen Blick schweifen lasse, anstatt die Nase ins Smartphone zu stecken. Das ganz normale, dicht gedrängte Zusammensitzen, weil alle in die gleiche Richtung müssen, ist derzeit mein persönlicher Sehnsuchtsgedanke. Zeit ist's, sich im Vierer-Abteil wieder verstohlen anzublicken!
Status quo: Die U-Bahn-Linien können genutzt werden unter Einhaltung der aktuellen Hygienevorschriften. Das Tragen eines Mund- & Nasenschutzes ist Pflicht.
Vor einigen Jahren begleitete ich eine Freundin in die Pinakothek der Moderne. Damals hing in der beeindruckenden Rotunde, die den Eingangsbereich darstellt, noch nicht das wunderschöne Pendel von Ingo Maurer – die breite Treppe in den ersten Stock gab es natürlich schon. Auf dieser saß eine Schülerin von Marina Abramović und hundert bis zweihundert Menschen standen im großen Abstand um sie herum. Was sie tat? Performancekunst! Sie schlug Butter. Mit der Hand. Das Staunen der Menschen, das Ungläubige in ihren Augen und das Giggeln meiner Freundin und mir werde ich nie vergessen. Es war auch die Pinakothek der Moderne, in der ich eine meiner liebsten Fotoausstellungen (mehrfach) gesehen habe: „The Brown Sisters“, für die der Fotograf Nicholas Nixon seit 1975 jedes Jahr seine Frau und ihre drei Schwestern porträtiert. Die Pinakothek liegt derzeit geisterhaft still – das Pendel schwingt trotzdem. So einzigartig es ist, ein Museum ganz für sich alleine zu haben, so sehr merke ich, wie schön es sein wird, wenn es wieder öffnet: das kollektive Innehalten vor den Werken, die leisen Interpretationen untereinander und das gemeinsame Fortschreiten durch die Räume ist etwas besonderes.
Der Status quo: Die Pinakothek der Moderne hat 2022 wieder offen.
Sieben Orte, zu denen ich eine persönliche Verbindung spüre – und natürlich gibt es in München noch so viele mehr. Derzeit entdecke ich auf meinen Spaziergängen durchs Viertel einiges, was mir vorher in alltäglicher Hektik nicht aufgefallen ist. Etwas, das ich in die Zeit nach der Krise mitnehmen möchte. Mehr schauen, mehr staunen, mehr stehen bleiben. So werden aus sieben Lieblingsorten ganz schnell unzählige.