Nirgendwo sonst wird Bier so geliebt wie in München. Aber nur von Liebe zu sprechen, ist eine Untertreibung. Traditionen, Viertel, ja selbst der Lebensrhythmus der Stadt wurden und werden vom weltberühmten Münchner Bier geprägt.
„Hopfen und Malz, Gott erhalt's“, wünschen sich die Biertrinkenden. Und wenn sich mit dem bekannten Trinkspruch allgemein die Hoffnung ausdrückt, dass der Gerstensaft bitte nie versiegen möge, klingt in München eine noch existenziellere Sorge mit: die vom Ende der Welt, wie wir sie kennen, nämlich. München ohne Bier? Dafür bräuchte es deutlich mehr Fantasie als für die Suche nach einem alternativen Durstlöscher.
Das „Bayerische Reinheitsgebot“ von 1516 wird oft als das älteste noch immer geltende Lebensmittelgesetz der Welt bezeichnet. Und die Vorlage dafür war wiederum das „Münchner Reinheitsgebot“ von 1487.
Die enge Verflechtung besteht quasi von Anbeginn. Die älteste noch bestehende Brauerei der Welt ist die Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan in Freising bei München. Gegründet wurde sie vor fast einem Jahrtausend im Jahr 1040, das offizielle Gründungsdatum von „Munichen“ ist das Jahr 1158. Noch heute wird an den Kesseln der in Weihenstephan beheimateten Forschungsbrauerei die weltweite Brau-Elite von morgen ausgebildet. Der älteste noch aktive Verein in München ist der Verein Münchener Brauereien e. V., er trägt die Registernummer 2, seine Mitglieder sind die sechs angestammten und noch heute existierenden Münchner Brauereien.
Das „Bayerische Reinheitsgebot“ von 1516 wird oft als das älteste noch immer geltende Lebensmittelgesetz der Welt bezeichnet. Und die Vorlage dafür war wiederum das „Münchner Reinheitsgebot“ von 1487, das von Herzog Albrecht IV. erlassen wurde und bis heute die zulässigen Inhaltsstoffe für Münchner Bier definiert: Hopfen, Malz, Wasser und Hefe.
Mit dieser Zutatenliste im Kopf sollte man sich kurz vergegenwärtigen, wo München liegt, welche Ressourcen sein Umland zu bieten hat und wie die klimatischen Einflüsse sind: Der Gäuboden südlich der Donau im nahe gelegenen Niederbayern gilt mit seiner fruchtbaren Erde als Kornkammer Bayerns, noch immer wird hier Braugerste von bester Qualität angebaut.
Und als 1823 das Nationaltheater bis auf die Grundmauern niederbrannte, finanzierten die Münchnerinnen und Münchner mit dem „Bierpfennig“ seinen Wiederaufbau.
Das gemäßigte Klima mit warmen Sommern und ausreichenden Niederschlägen begünstigt nicht nur dort die Landwirtschaft, auch die malerische Hallertau etwas nördlich von München profitiert davon. Sie ist der Nabel des weltweiten Hopfenhandels, etwa ein Drittel des global verfügbaren Hopfens wird hier produziert und man ist stolz darauf, eins der ältesten Hopfenanbaugebiete Europas zu sein.
Und das Trinkwasser in München stammt aus den Quellgebieten des Mangfallgebirges im bayerischen Voralpenland, es ist so kristallklar wie ausgezeichnet. Dass München zur weltbekannten Bierstadt wurde, wirkt unter diesen Voraussetzungen tatsächlich wie göttliche Vorsehung.
Umso überraschter sind viele, wenn sie erfahren, dass das Bierland Bayern im 16. Jahrhundert noch gar nicht existierte. Denn wer damals etwas auf sich hielt, trank Wein – oder Bier aus Norddeutschland. Dieses Importbier war teuer und die bayerischen Regenten durstig. Also gab Herzog Wilhelm V. im Jahr 1589 kurzerhand den Bau einer eigenen Brauerei in Auftrag, heute ist sie bekannt als das weltberühmte Hofbräuhaus.
Hier wurde auf gewisse Weise auch das Fundament der bayerischen Bierkultur gelegt: Denn in Sachen Bierqualität galt damals als Maß aller Dinge das „Ainpöckisch Bier“ aus der niedersächsischen Hansestadt Einbeck. Gegen gutes Salär lotste man einen Braumeister nach München, der hier nun ebenfalls das „Ainpökisch Bier“ braute.
Aber auch wer nicht zum Oktoberfest in München ist, hat hier fortwährend Gelegenheit, bei einem traditionellen Volksfest dem Bier zu huldigen.
Die Münchner Mundart machte daraus „Bockbier“ – heutzutage besser bekannt als Starkbier. Das Hofbräuhaus war auch lange Zeit die einzige bayerische Brauerei, die Stark- und Weißbier brauen durfte. Bayerns Herrscher nutzten diese Monopolstellung kräftig aus, um Geld zu verdienen. Angeblich machten im 17. Jahrhundert der Bierverkauf sowie die Biersteuer zwischen 30 und 50 Prozent der Staatseinnahmen aus. Auf diese Weise soll auch die Kriegsmaschinerie des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) finanziert worden sein. Und als 1823 das Nationaltheater bis auf die Grundmauern niederbrannte, finanzierten die Münchnerinnen und Münchner mit dem „Bierpfennig“ seinen Wiederaufbau.
Interessiert man sich für diese oder ähnliche Geschichten, sollte man unbedingt das Bier- und Oktoberfestmuseum in der Altstadt besuchen. Es befindet sich in einem der ältesten Bürgerhäuser Münchens, dessen Wurzeln bis in das Jahr 1346 zurückreichen. Über eine steile Himmelsleiter gelangt man in die Ausstellungsräume im zweiten, dritten und vierten Obergeschoss. Über Erdgeschoss und erstes Obergeschoss erstreckt sich dagegen das gemütliche Museumsstüberl, eine Gastwirtschaft, die auch gleich daran erinnert, dass es natürlich noch eine bessere Methode gibt, Münchens Bierkultur kennenzulernen: indem man sie selbst probiert, erlebt, genießt.
Die Tradition, die Brotzeit von zu Hause mitzunehmen und im Biergarten zu verzehren, wird noch immer gelebt und ist sogar in der Begründung zur Bayerischen Biergartenverordnung festgehalten.
Damit in einem Wirtshaus zu beginnen, ist eine hervorragende Idee, schließlich wird die Bierkultur genau hier Tag für Tag gelebt, gepflegt und weitergetragen. Sehr viel sichtbarer ist aber das Oktoberfest, das jedes Jahr Millionen Menschen aus der ganzen Welt besuchen. Angelockt werden sie vom guten Bier, aber auch von der besonderen Atmosphäre, die auf dem größten Volksfest der Welt herrscht. Und nicht nur dort: Von der besonderen Stimmung auf der „Wiesn“ lässt sich die ganze Stadt anstecken, nicht umsonst spricht man in München auch von der „fünften Jahreszeit“. Eingeläutet wird sie jedes Jahr Mitte September vom Münchner Oberbürgermeister, der beim traditionellen Fassanstich mit einem lauten „O'zapft is“ die Wiesn für eröffnet erklärt.
Aber auch wer nicht zum Oktoberfest in München ist, hat hier fortwährend Gelegenheit, bei einem traditionellen Volksfest dem Bier zu huldigen. Die Starkbierzeit zwischen Fasching und Ostern ist das erste große Bier-Event im Jahr. Es dauert über drei Wochen und bietet mit eben jenem Bockbier, dessen Bezeichnung in München gerne auf „-ator“ endet, eines der gehaltvollsten Biere, die man weltweit trinken kann. Insbesondere die Feste auf dem Nockherberg sind in Deutschland bekannt, weil hier den „Großkopferten“ beim „Politiker-Derbleckn“ nach bayerischer Wirtshausmanier der Kopf gewaschen wird. Darauf folgt die „kleine Wiesn“, wie das Frühlingsfest auf der Theresienwiese auch genannt wird. Auf dem Mariahilfplatz in Au-Haidhausen findet dreimal im Jahr die Auer Dult statt, die sogar eine noch längere Tradition hat als das Oktoberfest – die erste wurde 1310 veranstaltet.
Nur im Sommer ist der Bierkalender augenscheinlich leer. Ein Zufall? Das lässt sich nur schwer rekonstruieren. Was man aber auf jeden Fall feststellen kann: Die Menschen in München scheinen im Sommer nur wenig Zeit und Lust zu haben, auf Großveranstaltungen zu tanzen. Möglicherweise, weil sie viel zu beschäftigt damit sind, im Biergarten zu hocken. Entstanden ist diese besonders gemütliche Form der Gastwirtschaft im 19. Jahrhundert, als es noch keine Kühlmaschinen gab: Um auch im Sommer genügend Bier anbieten zu können, bauten die Münchner Brauer große Kelleranlagen, in denen das Bier mit Eis – im Winter von Seen, Kanälen und Gletschern herangeschafft – kühl gehalten wurde.
Im Wirtshaus wie im Biergarten gehört es dazu, sich mit Fremden an einen Tisch zu setzen. Ratscht man dann auch noch mit ihnen, kann man so manche interessante Biergeschichte erfahren.
Über den Kellern wurden Kastanienbäume als Schattenspender gepflanzt, deren flache Wurzeln die Gewölbe nicht beschädigten, und die Oberfläche mit Kies bestreut, um die Temperatur des Lagers weiter zu senken. Irgendwann kamen die Brauereien auf die Idee, ihr Bier direkt dort zu verkaufen. Und weil Bier hungrig macht, wurde auch gleich Essen angeboten und verkauft. Ein Setting, das ziemlich unschlagbar ist, die Biergärten wurden innerhalb kurzer Zeit ausgesprochen beliebt, was bei den benachbarten Wirten für Ärger sorgte.
Um etwas Ausgleich in die Situation zu bringen, wurde den Biergärten der Verkauf von Speisen untersagt. Nur selbst Mitgebrachtes oder Brot war erlaubt. Das gilt zwar heute nicht mehr. Aber die Tradition, die Brotzeit von zu Hause mitzunehmen und im Biergarten zu verzehren, wird noch immer gelebt und ist sogar in der Begründung zur Bayerischen Biergartenverordnung festgehalten.
Bei so langer Geschichte, so strenger Tradition, so viel gelebter Kultur müsste man eigentlich davon ausgehen, dass die Münchner Bierszene in Erstarrung gefangen ist. Doch das Gegenteil ist der Fall, was sich vielleicht damit erklären lässt, dass ein streitbarer Geist zum Wesenskern der Einheimischen zählt. Wo es heißt, das geht nicht, das machen wir nicht, das haben wir noch nie gemacht, dauert es meist nicht lange, bis jemand es gerade deshalb macht. Und so gibt es in München eine lebhafte Craftbeer-Szene, die zwar meistens nach dem Reinheitsgebot braut, aber auch mal Kräuter oder Weintrauben in die Sudkessel gibt. Nicht aus reiner Lust am Tabubruch, sondern weil auf diese Weise tatsächlich köstliche Kreationen entstehen können.
Sie sehen: Dem Münchner Bier kann man ein ganzes Leben widmen. Wie also am besten der Mannigfaltigkeit annähern? Nun, eine Möglichkeit wäre, jemanden zu Hilfe zu nehmen, der oder die genau das getan hat: München, seinem Bier und seiner Geschichte unzählige Stunden geschenkt hat – so wie einige der offiziellen Gästeführerinnen und Gästeführer der Stadt, von denen manche sogar selbst Bier brauen und die in eigens konzipierten Themenführungen unendlich viel Wissenswertes über Münchens Biertraditionen erzählen können.
Wem das nach so viel Text zu theoretisch klingt: Im Wirtshaus wie im Biergarten gehört es dazu, sich mit Fremden an einen Tisch zu setzen. Ratscht man dann auch noch mit ihnen, kann man so manche interessante Biergeschichte erfahren. Das Wichtigste aber bekommt man vermittelt, sobald die Bedienung eine frische Halbe vor einen hinstellt.