Believe it or not: München war Vorreiter der deutschen Graffiti-Szene. Von einer saftigen Strafe für den ersten Wholetrain Europas bis zum Museum für Urban und Contemporary Art mitten im Herzen der Altstadt: eine Bestandsaufnahme.
Als die Welle zu Beginn der 1980er-Jahre von New York aus auf den Kontinent überschwappte, legte man in München noch vor Berlin los. In der damals größten Hall of Fame Europas, auf dem Flohmarktgelände an der Dachauer Straße, verewigten sich einige der auch heute noch bedeutendsten Akteure der internationalen Graffiti-Szene ganz legal. Aber natürlich lebte auch in der Münchner Szene viel vom Reiz des Verbotenen. Bis in die späten 1990er-Jahre galt München neben New York als Mekka der Sprayer.
Heute gibt es eine ganze Reihe von Orten in München, wo alle Spielarten urbaner Kunst anzutreffen sind. Längst werden sie auch als Bereicherung wahrgenommen. Seit einigen Jahren haben die Größen der Street Art-Szene wie BLU, ESCIF, Shepard Fairey und Mark Jenkins München für sich entdeckt und setzen in Kooperation mit dem Kunstverein Positive Propaganda e.V. wertvolle künstlerische Impulse im öffentlichen Raum um. Das erste deutsche Museum für urbane Kunst MUCA in München bietet nicht nur bereits gefeierten Stars der Szene, sondern auch dem Experiment eine Plattform. Eine ganze Reihe von Foren, Events und Führungen machen diese jungen, eigenwilligen und energiegeladenen Kunstformen in München erlebbar.
Auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalinkick schlichen sich in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1985 sieben Jugendliche auf das Abstellgleis des Bahnhofs Geltendorf, damals eine Endstation der Münchner S-Bahn, und hinterließen einen von oben bis unten mit Graffiti besprühten Zug, den ersten Wholetrain Europas. Mit von der Partie war der Münchner Schüler Mathias Köhler. Die hohe Geldstrafe, zu der er verurteilt wurde, hat er inzwischen wohl verschmerzt, denn nicht einmal 10 Jahre später wurde Graffiti salonfähig. Köhler, nun besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Loomit“, erhielt den Auftrag, das private Badezimmer des damaligen Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude zu bemalen und avancierte zu einem der international nachgefragtesten Sprayer.
Er bereiste unzählige Länder, um dort Wandbilder zu hinterlassen und wirkte stilbildend für Graffiti-Kunst weltweit. Von seinem Atelier in der Kultfabrik aus plant er seine Projekte und koordinierte Gemeinschaftsprojekte, wie die Bemalung des Fußgängertunnels unterhalb des Friedensengels. Dazu lud er 2011 nationale und internationale Graffitigrößen nach München ein: Flin und Tonik74 aus München, Daim aus Hamburg, Kid Acne und Dotmaster aus England, Light und Markus aus Russland, Stuko aus Japan und Kelp aus Chile. Unter dem Einsatz von 30 Litern Streichfarbe und 300 Sprühdosen entstand ein Graffiti Hotspot erster Sahne, den man individuell bei einem Spaziergang, beim Joggen, mit dem Rad, beim Gassigehen oder auch im Rahmen einer Führung entdecken kann.
1985 besprühte der Münchner Schüler Matthias Köhler den ersten Wholetrain Europas – es setzte eine hohe Geldstrafe. Zehn Jahre später erhielt er unter dem Künstlernamen „Loomit" den Auftrag, das private Badezimmer von OB Christian Ude zu verschönern.
In der Bayerstraße 69 unweit des Hauptbahnhofs stellte Loomit zuletzt gemeinsam mit seinem Münchner Künstlerkollegen Won ABC ein gemeinsames Wandbild fertig. Das 22 Meter hohe Mural erinnert an den Widerstandskämpfer Georg Elser, der mit seinem Bombenattentat auf Hitler am 8. November 1939 die NS-Diktatur beenden wollte.
Der Münchner Kunstverein Positive-Propaganda e.V. arbeitet an der Schnittstelle zwischen Street Art, zeitgenössischer Kunst und gesellschaftsrelevanten Themen. Der Kunstverein arbeitet in diesem Zusammenhang mit einigen der international bedeutendsten Künstler*innen der Street Art wie Shepard Fairey, KRIPOE, NoNÅME, CYRCLE, Mark Jenkins, Ericailcane, BLU, ESCIF und SKULLPHONE zusammen und realisiert mit ihnen Ausstellungen und großformatige Murals im Münchner Innenstadtbereich. Shepard Fairey's Kunstwerk mit dem Titel „PAINT IT BLACK“ an der Fassade eines Gebäudes in der Landshuter Allee 54 entstand im Sommer 2015.
Der US-Künstler thematisiert in seinem 15 x 13 Meter großen Wandbild die von international agierenden Ölkonzernen ausgehende Beeinflussung der Weltpolitik und warnt vor einer dauerhaften Zerstörung von Natur und Umwelt. Im Sommer 2016 holte der Kunstverein den spanischen Künstler ESCIF nach München. Er schuf an der Fassade eines städtischen Gebäudes in der Paul-Heyse-Straße 20 das Bild einer Blumenvase mit Gütern der auch in München ansässigen Rüstungsindustrie und dem programmatischen Titel „Durch die Blume gesagt“. Einer der innovativsten Vertreter der amerikanischen Street-Art-Bewegung ist SKULLPHONE . Sein großformatiges Triptychon in der Dachauer Straße 90 thematisiert die Macht der Konzerne und Medien. An der Fassade eines Gebäudes der Stadtwerke in der Corneliusstraße 10 schuf der galicische Künstler Liqen ein Mural, das das Gefälle innerhalb der Münchner Stadtgesellschaft thematisiert.
Im November 2022 eröffnete der Kunstverein Positive Propaganda e.V. in Schwabing das AMUSEUM of Contemporary Art. Im persönlichen Austausch mit bedeutenden Vertreter*innen der internationalen Street-Art-Szene erarbeitet und setzt das AMUSEUM avantgardistische Ausstellungskonzepte zu gesellschaftsrelevanten Themen um. Gegen eine Spende ist eine Street Art City Map erhältlich, die den Weg zu den Werken weist, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Positive Propaganda über die Jahre im Öffentlichen Raum in München verwirklicht wurden. Der Eintritt in das Museum ist frei.
Auf der Website des Kunstvereins finden sich weiterführende Informationen zum Thema Street Art in München.
Mitten im Herzen der Münchner Altstadt, nur einen Steinwurf vom Marienplatz entfernt, hat bereits Ende 2016 das Museum für Urban und Contemporary Art (MUCA) in Deutschland in einem ehemaligen Umspannwerk der Stadtwerke eröffnet. Die Fassade wurde von dem renommierten Street-Art-Künstler Stohead gestaltet und damit selbst zum Kunstobjekt. Auf einer Gesamtfläche von ca. 2.000 Quadratmetern und auf mehreren Ebenen stellen im MUCA nicht nur international gefeierte Künstler ihre Werke aus, es ist der Co-Gründerin Stephanie Utz ebenfalls ein Anliegen, experimentellen Formaten und interessanten Positionen eine Plattform zu bieten.
Straßenkunst sieht man in München gerne auch da, wo gefeiert wird, an den Isarbrücken oder auf dem ehemaligen Clubgelände der Kultfabrik am Ostbahnhof. Nachdem Anfang der 1990er-Jahre die Pfanni-Produktion das Gelände am Ostbahnhof verlassen hatte, wurden die Mauern und Außenwände der ehemaligen Pfanni-Werkshallen zu einem regelrechten Eldorado für Urban Art- und Graffiti-Künstler aus aller Welt, die hier ihre Visitenkarten hinterließen. Viele der Graffiti werden bei der laufenden Umgestaltung des Areals zum neuen kreativen Werksviertel wohl verschwinden. Die Ära des Kunstparks und der Kultfabrik geht zu Ende.
Es geht um die Beziehung zwischen Mensch und Raum, um Prinzipien der Aneignung des öffentlichen Raums, um die spielerische Auseinandersetzung mit Grenzen und Entgrenzungen, die in Strukturen unserer Stadträume angelegt und behauptet werden.
Für die Geschichte der Street Art wird hier jedoch ein neues, spannendes Münchner Kapitel aufgeschlagen, denn sie ist Teil des Konzepts der whiteBOX, dem bereits eröffneten Kunst- und Kulturzentrum im neu entstehenden Stadtteil Werksviertel. Nicht nur der Künstler Loomit ist bereits in die neuen Atelierräume rund um die whiteBOX umgezogen. Der Begriff Street Art soll dabei durch Ausstellungen und Projekte im öffentlichen Raum weit über das allgemein bekannte und sichtbare Phänomen des Graffitis hinaus gedacht und verstanden werden.
Es geht um die Beziehung zwischen Mensch und Raum, um Prinzipien der Aneignung des öffentlichen Raums, um die spielerische Auseinandersetzung mit Grenzen und Entgrenzungen, die in Strukturen unserer Stadträume angelegt und behauptet werden. Im Programm wollen die Macher besonders die gemeinsamen Ursprünge von Street Art, Hip-Hop, Graffiti und Street Dance herausstellen.
1. Graffiti-Galerie beim Friedensengel
2. Graffiti-Galerie unter der Donnersbergerbrücke
3. Graffiti-Galerie unter der Brudermühlbrücke
4. Urban Art im Werksviertel Mitte
5. Graffiti Hall of Fame Tumblinger Straße und Alter Viehhof
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