Sie wollte von ihm gesehen werden, er war mit seinen Ängsten beschäftigt, und irgendwann hatte der Spaß ein Loch: das Komikerduo Liesl Karlstadt und Karl Valentin ist ohne Zweifel ein Traumpaar der Münchner Kulturgeschichte – aber auch im wahren Leben? Was sagt ein Paartherapeut heute zu ihrem tragikomischen Verhältnis? Ein Gespräch mit dem Münchner Beziehungs-Psychologen Wieland Stolzenburg.
Als Elisabeth Wellano (den Künstlernamen gab ihr später Valentin) und Karl Valentin sich 1911 im „Frankfurter Hof“ kennenlernten, war sie 19, er 29. Als Duo traten sie 26 Jahre lang auf. Künstlerisch waren sie ebenbürtig. Trotzdem blieb Karlstadt der Hintergrund, vor dem sich das Valentin’sche Feuerwerk entzünden konnte. Klingt nicht gerade traumhaft.
So absurd es scheint: Die beiden ergänzten sich bestens. Karl Valentin wird als egozentrischer Mensch beschrieben, der sehr von sich selbst vereinnahmt war. Ich-zentrierte Partner sind meist auch dominant – hier war es Karl Valentin, der Karlstadt ihren Künstlernamen verpasste und bei Auftritten den Ton angab. Wenn das Gegenüber die devote Rolle annimmt, passt das gut zusammen. Ob beide damit glücklich sind, ist eine andere Frage.
Liesl Karlstadt war definitiv unglücklich. Sie und Valentin hatten eine Affäre. Karlstadt verliebte sich, Valentin schickte ihr Weihnachten 1919 eine Flasche Sekt: „Und an einem Tag zu ,Zweit‘, leern wir sie voll Geiligkeit“. Scheiden ließ er sich von der Mutter seiner zwei Kinder für sie aber nicht. Und sie war auch nicht Valentins einzige Liebelei. Was sagt man dazu?
Entweder war Valentin zu feige oder zu bequem, sein gemachtes Nest zu verlassen. Auf jeden Fall empfand er nicht dasselbe für Karlstadt wie sie für ihn. Sie wünschte sich offenbar eine verbindliche, exklusive Partnerschaft. Wenn die Erwartungen und Gefühle in einer Beziehung ungleich verteilt sind, ist eine Krise vorprogrammiert. Erst recht, weil Valentin sich trotzdem von Karlstadt nahm, was ihm guttat: den Sex. Ein einfühlsamerer Mensch hätte sich die Affäre wohl verkniffen, um ihre Gefühle zu schonen.
Der hysterische Hypochonder Valentin vereinnahmte Karlstadt bald völlig. Engelsgeduldig und immer gut gelaunt sorgte sie dafür, dass der krankhaft Lampenfiebrige überhaupt auftrat. Ihre Verlobung mit dem Chauffeur Josef Kolb zerbrach. Und als Valentins „Panoptikum“ für Gruseliges und Nonsens pleiteging, verlor Karlstadt ihre gesamten investierten Ersparnisse. In all den Jahren erhielt sie von Valentin weder Anerkennung noch ein „Danke“. Hat sie denn nicht gemerkt, wie schlecht er ihr tat?
Derjenige, den eine Trennung emotional schlimmer träfe, ist wesentlich kompromissbereiter und ausdauernder. Es ist erstaunlich, was man aus Liebe alles mitmacht. Viele Menschen suchen sich unbewusst Partner, an deren Seite sie wieder in eine vertraute Rolle schlüpfen können. Meistens haben wir sie aus Kindertagen verschleppt. In dieser Rolle kennen wir uns, darin fühlen wir uns sicher, „zu Hause“, auch wenn sie noch so destruktiv ist. Oft kopieren wir unverarbeitete seelische Wunden in neue Beziehungen, in der ständigen heimlichen Hoffnung, sie dort endlich zu heilen. Dieses Phänomen erlebe ich in meiner Praxis häufig.
Karlstadt war das fünfte von neun Kindern italienischstämmiger Bäcker, kam aus ärmlichen Verhältnissen. Sie kümmerte sich lange um ihre Geschwister und stellte ihren Wunsch, auf der Bühne zu stehen, zurück.
Offenbar war sie es gewohnt, sich den Bedürfnissen anderer unterzuordnen. Zugleich hoffte sie sicherlich, eines Tages auch mal etwas zurückzubekommen, in diesem Fall von Valentin. Wer sein Glück bei einem anderen Menschen sucht als bei sich selbst, macht sich abhängig von dieser Person.
Karl Valentin hat sich ihre Rundumversorgung aber auch gern gefallen lassen.
Natürlich hat er die Bewunderung und Fürsorge genossen. Wer würde das nicht? Man darf nicht vergessen: Es braucht auch immer jemanden, der sich ausnutzen lässt und keine Grenzen zieht. Liesl Karlstadt hat ihre Bedürfnisse freiwillig hintangestellt und es nicht geschafft, „Nein“ zu sagen.
Als Karlstadt mal wieder versuchte, sich beruflich und privat von ihm zu lösen, schrieb er ihr: „Dir muss eines aber klar sein. Die richtige Liesl Karlstadt bist du nur an meiner Seite.“ Was wollte er damit wohl bezwecken?
Wahrscheinlich wollte er mit dieser versteckten Drohung verhindern, dass er die Kontrolle und Macht über sie verliert. Vielleicht wollte er aber auch testen, wie viel Macht er noch über sie hat.
Irgendwann war Karlstadt dann doch aufgezehrt. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch, verfiel zunehmend in schwere Depressionen und landete später immer wieder in der psychiatrischen Klinik in der Nußbaumstraße in München.
Sich mehr um andere zu kümmern als um sich selbst, führt auf lange Sicht häufig zu einer Depression. Besonders dann, wenn man für seine Aufopferung keine Wertschätzung erhält. Karlstadt konnte die Energie für die Rolle der Lebenslustigen, immer Heiteren nicht länger aufbringen. Irgendwann lassen sich die wahren Gefühle nicht mehr unterdrücken.
Am 6. April 1935 versuchte Liesl Karlstadt sich mit einem Sprung in die Isar das Leben zu nehmen, wurde aber an der Prinzregentenbrücke lebend aus dem Wasser gefischt …
Ein Suizidversuch bedeutet nicht: „Ich möchte nicht mehr leben“, sondern: „So möchte ich nicht mehr leben.“ Karlstadt hatte die Freude an dem Leben verloren, in dem sie sich völlig vergessen und vernachlässigt hatte. Ob sich Karl Valentin seiner Verantwortung bei all dem bewusst war, wissen wir nicht. Wir dürfen es aber bezweifeln.
Nach dem Suizidversuch schrieb er ihr: „Wie sehr Du mir nicht ans, sondern ins Herz gewachsen bist, wirst Du wohl nie erfassen. Ohne Dir ist die Welt völlig inhaltslos. Du hast für mich schon so viel Geduld aufgebracht warum sollst Du es nicht für Dich selbst können … Halte aus! Halte aus! Halte aus im Sturmgebraus!“
Es ist schwer zu sagen, ob Valentin tatsächlich erkannte und auch anerkannte, was Karlstadt alles für ihn tat. Oder ob ihn nur wieder die Angst packte, diesen Komfort zu verlieren. Egozentrische Typen bringen im Allgemeinen kaum Empathie für andere auf. Oft versprechen sie das Blaue vom Himmel, um Änderungen zu ihren Ungunsten zu verhindern. Zumindest zeigt der Brief, dass auch Valentin von Liesl Karlstadt abhängig war.
Mental am Ende trat Karlstadt weiterhin mit Valentin auf. Einmal brach sie auf der Bühne in Tränen aus. Valentin wendete sich ab 1939 der 35 Jahre jüngeren Schauspielerin Anne-Marie Fischer zu.
Es liegt nahe, dass Karl Valentin an Frauen grundsätzlich mehr das liebte, was er von ihnen bekam beziehungsweise was sie in ihm auslösten, als dass er sie als Menschen sah und liebte. Karlstadt versiegte langsam als Inspirationsquelle und konnte ihm keine gute Laune mehr liefern. Die frische junge Bühnenpartnerin erfüllte seine Bedürfnisse sicherlich besser.
Karlstadt entschied sich 1941 zu einem Erholungsurlaub und zog zu Gebirgsjägern nach Tirol. Dort nannte man sie Gustav, und sie machte den Mulitreiber-Führerschein.
Dass sie sich in der zerstörerischen Beziehung zu Karl Valentin räumlich von ihm trennte, ist schon mal ein wichtiger Schritt. Endlich war der Leidensdruck groß genug, dass sie ging. Wer sein Leben seinem Partner widmet, stellt sich nach einer Trennung oft die Frage: Wie fülle ich mein Leben jetzt? Man muss seine Identität nicht neu erfinden, aber wiederentdecken. Möglicherweise half Karlstadt die neue Identität „Gustav“ dabei, die alte schmerzhafte ein wenig zu vergessen. Ein Muli zum Gehen zu bewegen, hat sie sicher auch gut abgelenkt.
Nach dem Krieg trat das Duo noch einmal auf. Der Schwung, die Spielfreude, der Erfolg der früheren Jahre waren aber dahin.
Es ist gut möglich, dass die veränderte Beziehung zwischen den beiden ein Grund dafür war. Ich vermute aber, dass vor allem der Krieg und seine Folgen den Humor und die Lebensfreude der Gesellschaft ordentlich dämpften.
Am 9. Februar 1948 starb Karl Valentin. Neun Tage zuvor dichtete er für Liesl Karlstadt: „Wer da je geliebt hat, wie ich dich / der trägt solche Liebe, innerlich / Als Geheimnis seiner tiefsten Seele / dass Sie ihm an keinem Orte fehle.“ Späte Einsicht?
Selbst wenn – damit sie jemals eine gesunde Partnerschaft hätten führen können, hätten die beiden so einiges an Arbeit und Aufarbeitung in ihre Beziehung stecken müssen, und ganz besonders in sich selbst.
Für Karlstadt war Valentins Tod ein schwerer Schlag. Doch sie feierte danach ihre größten Erfolge. Nie wieder stand sie in Männerrollen auf der Bühne. Und sie heiratete nie.
Sicherlich war sie nun freier und in der Lage, aus seinem Schatten zu treten. In Bezug auf Männer war sie wahrscheinlich in jeder Hinsicht vorsichtig geworden. Sie wusste ja, wie das enden konnte.
Wieland Stolzenburg ist Beziehungs-Psychologe, Coach und Autor mehrerer Bücher. Seine Fachgebiete sind Beziehungen, Trennungen, Seitensprünge, Bindungsängste, Eifersucht und Liebeskummer.
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