Cy Twomblys Lepanto-Zyklus im Museum Brandhorst ist eine monumentale Studie über Leben, Geschichte und Licht. Die Bilder hängen in einem Raum, dessen Lichtverhältnisse genau für den Zyklus gestaltet wurden.
Einer der größten Showdowns der frühen Neuzeit bekommt heute das Licht, das er verdient – und vielleicht sogar ein ähnliches Licht wie das, in dem er stattfand. Am 7. Oktober 1571 trafen im griechischen Golf von Patras 211 Galeeren der Heiligen Liga, bestehend aus Venedig, Spanien und päpstlichen Truppen, auf 260 Kriegsschiffe des Osmanischen Reiches. Die christlichen Truppen konnten den Sieg davontragen. Strategisch war der Erfolg von geringer Bedeutung: Die Vorherrschaft des Osmanischen Reiches im östlichen Mittelmeer wurde davon nicht beeinflusst. Für das Abendland aber war der Sieg von großer symbolischer Bedeutung. In Venedig wurde ein Feiertag ausgerufen, der Dichter Cervantes, der an der Schlacht als Soldat teilnahm, verarbeitete das Geschehen in seinem Don Quijote, vor allem aber war die Seeschlacht ein wichtiges Motiv bei Renaissancemalern. Das bekannteste Bild malte 1572 Paolo Veronese: Über dem düsteren Getümmel der in sich verkeilten Schiffe wachen besorgt die Jungfrau Maria und mehrere Heilige.
Nach der Veröffentlichung des Zyklus in Venedig riss sich die gesamte Kunstwelt um die Bilder Twomblys, der zu dieser Zeit, zehn Jahre vor seinem Tod, auf dem Gipfel seines Erfolgs stand.
Gut 400 Jahre später nimmt sich wieder ein Künstler dieser Thematik an. Der Amerikaner Cy Twombly, einer der ganz großen Maler des 20. Jahrhunderts, Erbe und Überwinder des abstrakten Expressionismus, malte für die Biennale 2001 in Venedig einen zwölfteiligen monumentalen Bilderzyklus – der heute im Münchner Museum Brandhorst hängt: „Lepanto“. Der Zyklus ist so etwas wie ein Vermächtnis des 2011 verstorbenen Künstlers, in dem alle Themen, die für Twombly wichtig waren, kondensiert sind: Mythologie, das Mittelmeer, der Himmel, Farbe und vor allem: Licht.
Da passt es nur zu gut, dass in dem Raum im Museum Brandhorst, in dem die zwölf gut drei mal vier Meter großen Leinwände nun nebeneinander gezeigt werden, das Licht auch eine ganz besondere Rolle spielt. Dass die Bilder ausgerechnet hier hängen, ist kein Zufall: Nach der Veröffentlichung des Zyklus in Venedig riss sich die gesamte Kunstwelt um die Bilder Twomblys, der zu dieser Zeit, zehn Jahre vor seinem Tod, auf dem Gipfel seines Erfolgs stand. Den Zuschlag erhielt schließlich Udo Brandhorst, seit Jahrzehnten eng befreundet mit Twombly und einer seiner treuesten Sammler.
Mitentscheidend bei der Vergabe war aber, dass der Zyklus in einem eigens für ihn entworfenen Raum im Obergeschoss des Museum Brandhorst hängen sollte. Der ist so etwas wie das Kronjuwel in dem vom Architekturbüro Sauerbruch Hutton entworfenen Gebäude. Er hat eine achteckige Grundform, in der die Bilder in einem flachen Bogen vor den Betrachtern hängen. Der Raum besticht durch seine Größe. Eine besondere Rolle spielt die Decke des Raums. Die besteht aus Milchglas, dahinter befinden sich Lamellen, die sich je nach Sonneneinstrahlung öffnen und schließen können.
„Die Idee war“, so Achim Hochdörfer, Direktor des Museums, „dass der Raum von Tageslicht erhellt ist und bei Bedarf Kunstlicht hinzugeschaltet werden kann.“ Strahlt die Sonne zu stark, schließen sich die Lamellen. „Aber schnell mussten wir merken, dass die Idee besser war als die Umsetzung“, erzählt Hochdörfer. „Eine Wolke vor der Sonne genügte schon, und die Lamellen bewegten sich, ständig war das Summen der Motoren zu hören.“ Also entschied man sich dafür, dass die Lamellen nur noch ein paar Mal am Tag den Lichtverhältnissen angepasst werden. Und wie es oft ist: Die Notlösung stellte sich als Glücksfall heraus. Der Lepanto-Zyklus ist nämlich auf diese Weise in wechselnden Lichtverhältnissen zu sehen – und nichts passt besser zur monumentalen Dramatik dieser Arbeit.
„Manchmal sitzen die Menschen hier stundenlang auf den Bänken. Es wirkt dann fast so, als meditierten sie.“
Das gesamte Werk Twomblys ist kein einfaches, leicht zugängliches. Die oft großformatigen Gemälde wirken auf irritierende Weise oft unfertig, skizzenhaft. Krumme Linien ziehen sich über die Bildfläche, einzelne, wie hingeschmierte Wörter und Satzfetzen sind mit Mühe zu erkennen. Der Lepanto-Zyklus ist anders. Er überwältigt mit seiner Farbigkeit und seiner Gewalt. Die Seeschlacht von Lepanto – für eine historische Schlacht überraschend – ist genau rekonstruierbar. Hunderte von Schiffen gingen am frühen Morgen in Stellung. Das Wetter war klar, die Sicht gut.
Das erste Bild des Zyklus ist ganz in zartem Blau gehalten. Ein herrlicher Morgen über dem Meer, die Sonne ging gerade auf. Einzelne schiffsartige Gebilde sind zu sehen, noch nicht in Formation. Twombly bildet nicht ab, er zitiert die Objektwelt. Die „Schiffe“ sehen aus wie von Kinderhand gemalt, einfache Formen, mal scheint ein Rumpf von oben, mal von der Seite zu sehen zu sein. Von Bild zu Bild verdichtet sich nun die Dramatik. Farbige Elemente kommen hinzu.
Man weiß, dass bunte Fahnen in damaligen Schlachten eine entscheidende Rolle spielten – der Kampf war zu Ende, wenn das feindliche Banner erobert war. Die Acrylfarbe fließt in dicken, zu harten Kunststoffwulsten erstarrten Bahnen. Unschwer ist das Schlachtgetümmel unter der gnadenlosen Härte der Mittelmeersonne zu erkennen. Immer mehr Rottöne mischen sich in das bunte Durcheinander. Das Meer färbt sich mit Blut. Nur fünf Stunden dauerte die Seeschlacht von Lepanto, aber knapp 40.000 Soldaten und Seeleute kostete sie das Leben.
Ab den 1990er-Jahren tauchen immer mehr Schiffe in Twomblys Werk auf. Es sind Abschiedsmotive, Symbole der melancholischen Rückschau.
Auf den letzten Bildern kehrt wieder Ruhe ein, aber kein Frieden, es ist die Stille des Todes. Man kann sich einfach von der gewaltigen Farbenpracht dieser Bilder mitreißen lassen. Viele der Menschen im Lepanto-Raum machen das. Das Zimmer ist auffallend leer, die riesigen, bunten Bilder bestimmen es ganz und gar. Dadurch entsteht eine fast spirituelle Atmosphäre. Man verstummt unweigerlich angesichts des geronnenen Lichts. Achim Hochdörfer erzählt: „Manchmal sitzen Menschen hier stundenlang auf den Bänken. Es wirkt dann fast so, als meditierten sie.“ Man kann sich dem Lepanto-Zyklus aber auch analytisch nähern und versuchen, die einzelnen Bedeutungsstränge zu sortieren. Restlos gelingt das natürlich nicht.
„An der Seeschlacht interessierte Twombly, dass sie eines der ganz wichtigen historischen Ereignisse war, das zentral in der kollektiven Imagination war. Wie später auch das Erdbeben von Lissabon“, sagt Achim Hochdörfer. „Man musste nur den Namen nennen, und alle wussten Bescheid.“ Für den Amerikaner Twombly, der ab den 1960er-Jahren in Italien lebte, war diese Durchtränkung Europas mit Kultur, Geschichte und Mythologie immer ein Faszinosum. Eine andere Bedeutungslinie des Zyklus hat mit Venedig zu tun: Venedig als wichtigste Kriegspartei der Schlacht, Venedig als frühes Zentrum der Malerei, Venedig als Ort der Biennale ein Hotspot der zeitgenössischen Kunst. Damit eng verwoben: Twombly malt sich mit dem Zyklus in ein ganz spezielles Erbe hinein, das der Koloristen. Diese Tradition beginnt mit dem Venezianer Veronese und lässt sich über Turner und Monet bis in die Gegenwart verlängern. Und natürlich gibt es dann auch noch die metaphorische Ebene: die Schifffahrt, die für das Leben steht.
Ab den 1990er-Jahren tauchen immer mehr Schiffe in Twomblys Werk auf. Es sind Abschiedsmotive, Symbole der melancholischen Rückschau. Dann aber auch: der Totenkahn, Sinnbild für den Übergang ins Schattenreich. Der Lepanto-Zyklus setzt dem noch einmal eine Feier der Farbe und des Lichts entgegen. Aber doch ist die letzte Reise vorbestimmt. In dem 1993 entstandenen Bild „Untitled“, wenn man so will eine Vorstudie zum Zyklus, ist auf einem Schiff die unauffällige Widmung „To Lucio“ zu erkennen. Gemeint ist damit Twomblys Freund und Galerist Lucio Amelio, der an Aids starb. Dazu stellt Twombly ein abgewandeltes Fragment des Dichters Giorgios Seferis: „The light is a pulse / continually slower and slower / you think it is about to stop.“
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