Der Dackel ist aus München nicht mehr wegzudenken. Das Maskottchen der Olympischen Spiele von 1972 ziert heute Socken, Christbaumkugeln, Postkarten und Bierdeckel – und ist auch in den Parks und auf den Straßen der Stadt präsent. Eine Liebeserklärung an das inoffizielle Lieblingstier der Einheimischen.
Für Dackeldame Sissi hat Frauchen ihr Dirndl recycelt: Den dunkelgrünen Lodenstoff hat sie mit Trachtenknöpfen veredelt und zum Hundemäntelchen umgeschneidert. Und der ziert jetzt, recht stramm sitzend, den schmalen Rücken der betagten Hündin, die darin schleichend eine Pfote vor die andere setzt.
Der Himmel leuchtet blau an diesem Dienstagvormittag, und rund vierzig Dackelbeinchen trippeln durchs Laub des Englischen Gartens in München. Einmal wöchentlich treffen sich die zwei- und vierbeinigen Mitglieder des Bayerischen Dachshundklubs hier im ruhigen Norden des Parks entlang der Schwabinger Bucht zu einem gemeinsamen Spaziergang. Sissi, Motte, Kneißel und ihre Kumpel hört man von Weitem.
Der Bilderbuchdackel sieht aus wie von einem Kind gezeichnet: kurze krumme Beine, montiert an einen knapp viermal so langen Rücken, darauf ein Kopf mit grotesk langer Schnauze und Kulleraugen. Ihn gibt es langhaarig, kurzhaarig und im Rauhaarkleid. Der Standarddackel, auch Dachshund genannt, wurde wegen seines kompakten Körperbaus ursprünglich zur Jagd von Dachs und Fuchs gezüchtet. Kleinere Exemplare heißen Zwergdackel; eine noch zierlichere Züchtung, der Kaninchendackel, ist heute in der Stadt besonders beliebt und wiegt gerade einmal so viel wie eine Hauskatze.
Im 19. Jahrhundert gründeten sich die ersten Zuchtvereine für den Jagdhund; als Fan outete sich Kaiser Wilhelm II. – seinem Liebling Erdmann ließ er sogar eine Gedenktafel errichten. In Bayern dackelt sich der kleine Hund seitdem stoisch in die Herzen der Menschen. Ob als namenloser Jäger an der Seite des Prinzregenten Luitpold oder als Wirthausbegleiter der dickbäuchigen Kultkarikatur der Münchner „Abendzeitung“ Herrn Hirnbeiß in den 1960er-Jahren. Tief mit der Münchner Identität verwoben, wird „Waldi“, ein bunt gestreifter Dackel, während der Olympischen Spiele 1972 in der bayerischen Landeshauptstadt zum ersten offiziellen Olympia-Maskottchen überhaupt.
„In Bayern dackelt sich der kleine Hund seitdem stoisch in die Herzen der Menschen.“
2022 erwachte Waldi anlässlich des 50. Jubiläums der Olympischen Spiele in München wieder zum Leben. Eigens für ihn richtete die Stadt München sogar einen „Dackelday“ aus. Aber auch ohne Jubeltag ist der Dackel aus München nicht mehr wegzudenken. Dackelliebe überall: auf Socken, Christbaumkugeln, Postkarten und Bierdeckeln. Dazwischen drücken die echten Zamperln an Lederleinen ihre Schnauzen auf Wirtshausböden und Großstadtpflaster. Auch von den Schößen der Prominenten ist er nicht mehr wegzudenken: Herzog Franz von Bayern teilt seine königliche Couch mit Dackeldame Beppi – und Kabarettistin Luise Kinseher nimmt ihren Gustl sogar mit auf Theatertournee.
Auch für die Mitglieder des Bayerischen Dachshundklubs ist der Dackel ein Lebensgefühl. „Mein Mann hat gesagt, wenn er in Rente geht, lässt er sich einen Bart wachsen, kauft sich eine Lederhose und schafft sich einen Dackel an“, sagt eine Dame beim Spaziergang durch den Englischen Garten und lacht. Die Lederhose fehlt noch, aber Dackel Frida schläft seit ein paar Monaten mit im Bett. Die meisten der mehr als 250 Mitglieder der Sektion München bekamen ihre Hunde über seriöse Züchter, bis zu 2.500 Euro legten sie dafür hin. Nur ein paar wenige haben ihre Dackel bei Tierschutzvereinen adoptiert. Aber in einer Sache sind sie sich einig: „Einmal Dackel, immer Dackel.“
„Mein Mann hat gesagt, wenn er in Rente geht, lässt er sich einen Bart wachsen, kauft sich eine Lederhose und schafft sich einen Dackel an.“
Julia Filipowsky steht in der Weinhandlung ihrer Mutter, die sie als Showroom nutzt, zwischen Kartons und streichelt über ein Stück Vlies in Dackelrückenlänge. Die 35-jährige Münchnerin hat vor fünf Jahren das Hundefashionlabel „Dachshund Couture“ gegründet – „worlds first dachshund outfitter“. Und natürlich sind auch ihre beiden Hunde Diego und Carlos dabei, zwei Kurzhaardackel, ein bisschen grau um die Schnauzen, aber quietschfidel. „Als ich die beiden vor elf Jahren vom Züchter geholt habe, haben meine Freunde gefragt, warum ich denn keine französische Bulldogge wolle“, sagt sie. Für sie sei von Anfang an klar gewesen: Der Dackel passe einfach zu ihr. Der Charakter der Hunde sei ihr sympathisch: „Sie sind eigenständig, mutig und suchen permanent Aufmerksamkeit“, sagt sie, während sich Carlos und Diego synchron auf dem Teppich schrubbern.
„Dackel sind selbstständig und ausdauernd, weil sie das zum Jagen brauchten.“
Obwohl der Dackel als robuster Hund gilt, habe sie schon bald gemerkt, dass ihre beiden im Winter frieren. Lange haben sie nach Mänteln gesucht, aber keiner habe gepasst. „Irgendwann wurde klar: Dann muss ich eben selbst ran.“ Filipowsky hat Modedesign studiert. Ihr damaliger Partner war es, der sie dazu ermutigt hat, eigene Mäntel für ihre Dackel zu designen. Also maß sie die beiden einmal von Kopf bis Fuß aus und schneiderte perfekt sitzende Mäntelchen aus Wollstoffen aus England. In den darauffolgenden Wochen sei sie beim Gassigehen so oft auf die Stücke angesprochen worden, dass sie begonnen habe, Bestellungen anzunehmen. Der Instagram-Account „dachshund_couture“ – heute hat sie dort mehr als 80.000 Follower – war schnell erstellt, Fotos schoss sie spontan im verschneiten Park. Die erste Bestellung kam aus Tokio.
Heute findet man in ihrem Onlineshop Dutzende Modelle in zehn verschiedenen Größen: die bayerische Dackelweste „Gustl“ samt Hirschhornknöpfen für 300 Euro, Wollmäntel in Tigerprint, Regenmäntel mit Schottenmuster. Vorgeführt noch immer von den beiden Instagram-Models selbst: Diego und Carlos – auch wenn sie sie manchmal, ganz dackeltypisch, von ihrem Job überzeugt werden wollen.
Die Mitglieder des Dachshundklubs beschreiben ihre Lieblinge nicht gerne als sturköpfig. „Dackel sind selbstständig und ausdauernd, weil sie das zum Jagen brauchten“, sagt Susanne Lipp, Schatzmeisterin der Sektion München des Bayerischen Dachshundklubs. Sie selbst hofft, dass der Dackel nicht noch mehr in Mode kommt – weil er in der Erziehung herausfordernd ist, was viele nicht bedenken. Dass ein Dackel kein Schoßhund ist, weiß auch Joana Krietsch vom Deutschen Teckelclub 1888 e.V.: „Der Dackel ist klein, aber dennoch ein richtiger kerniger Hund“, erklärt sie. Die vierbeinige Gruppe macht ihrem Ruf an diesem Tag jedenfalls alle Ehre. Dackeldame Motte trägt einen GPS-Tracker, weil sie gern Polizeipferde jagt. Sissi lässt sich im gepolsterten Hundewagen schieben – sie hat eine Blasenentzündung. Und Frodo von Frau Lipp? Ist zwischenzeitlich zum Parkplatz zurückgelaufen – er hat heute keine Lust auf Gassigehen.
„Der Dackel ist klein, aber dennoch ein richtiger kerniger Hund.“
Einkehr im hundefreundlichen Mini-Hofbräuhaus, einem rustikalen Biergarten in Miniaturform in der Nähe des Stauwehrs. Schinkennudeln und Pommes rotweiß schmecken hier nicht nur Frauchen und Herrchen, an diesem Nachmittag sind im Mini-Hofbräuhaus mehr Hunde als Menschen zu Gast. „Die sind nur ganz zart gesalzen“, hört man es sagen – und zack, hat ein Kurzbeiner schon eine Pommes im Maul. „Wie putzt ihr euren Dackeln die Zähne?“ „Welche Kaustangen füttert ihr?“ „Gebt ihr auch mehr für den Hundefriseur als für euren eigenen aus?“ Gespräche unter Dackelbegeisterten. Die meisten Dachshundklubmitglieder an diesem Mittwoch sind in Rente. Gibt es denn auch junge Dackelfans im Verein? „Zählen auch unsere Enkel?“ Die Runde lacht.
Dass der Dackel heute längst nicht mehr nur König in den vier Wänden von älteren Menschen ist, sondern auch unter jungen Leuten eine Renaissance erfährt, sieht man auf Instagram und TikTok. Wer bei Filipowsky kauft, ist überwiegend im jungen und mittleren Alter, viele von ihnen begleiten den Alltag ihrer Dackel auf eigenen Social-Media-Accounts. Bestellungen für Mäntel trudeln aus der ganzen Welt ein, sagt Filipowsky: aus der Schweiz, aus Großbritannien, sogar aus Australien. Die Nachfrage ist inzwischen so groß, dass sie die Stücke schon lange nicht mehr selbst näht. Hunderte pro Monat seien es mittlerweile. „Dackel sind momentan wirklich Trendhunde.“
„Der Dackel der größte kleinste Hund. Die perfekte Mischung aus Schoßhund und Partner in Crime.“
Auf die Frage nach dem Warum muss sie kurz nachdenken. „Ich finde, der Dackel passt zum Zeitgeist“, sagt sie. „Spätestens seit der Pandemie zieht man sich ins Häusliche zurück, man kocht und backt, man schätzt das Handwerk und besinnt sich auf alte Werte zurück.“ Das passt zum genügsamen Hund, der keine ausschweifenden Wanderungen braucht. Und außerdem, sagt sie, ist der Dackel der größte kleinste Hund. Die perfekte Mischung aus Schoßhund und Partner in Crime. Carlos und Diego sind das beste Beispiel: Sie begleiten Filipowsky auf Roadtrips ans Meer und auf die Arbeit, werden mit rohem Fleisch gefüttert, gehen regelmäßig zur Akupunktur, haben eine Heilpraktikerin. Carlos setzt sich jetzt vor sie, winselt – Dackelblick – und liegt nur wenige Augenblicke später wie ein Baby rücklings in ihren Armen. „Ist es jetzt besser so?“, fragt sie.
Auf dem Thron sitzt der Dackel schon lange. Am allerliebsten ist ihm, man setzt ihm regelmäßig die Krone auf.