Unsere Autorin konnte in den letzten Jahren als Reisebloggerin ihren Entdeckerdrang ausleben, zurück in München war immer Entspannung angesagt. Was sie dabei verpasst hat, holt sie in dieser Kolumne nach. Diesmal geht sie der Frage auf den Grund, warum sie in München gerne ins Museum geht, aber bislang noch keine Galerie besucht hat.
Wenn ich in einer fremden Stadt bin, bin ich nicht nur neugieriger als zuhause, sondern auch selbstsicherer. Da traue ich mich eher, einfach mal irgendwo reinzustolpern, zum Beispiel in eine Galerie. Nach dem Motto: Ich bin Touristin und ich darf neugierig sein. Das möchte ich aber auch zuhause tun.
Allerdings habe ich keine Ahnung von Kunst, am wenigsten von moderner. Im Museum unterteile ich Bilder, Skulpturen und Installationen in Gefällt mir und Gefällt mir nicht oder Verstehe ich und Verstehe ich nicht. Da ist es nur logisch, dass ich auch mit Galerien wenig Erfahrung habe. Dabei frage ich mich schon lange, wie so ein Besuch abläuft. Wird mir ein Glas Champagner angeboten? Kann ich in kurzen Hosen eine Galerie betreten? Und werde ich schief angeschaut, wenn ich nichts kaufe?
Bei meiner Recherche stoße ich auf Gudrun Spielvogel, die ihre eigene Galerie seit 28 Jahren betreibt und bis letztes Jahr Vorstand der Initiative der Münchner Galerien war. Ich erzähle ihr von meiner Hemmschwelle, eine Galerie zu betreten. Und sie lädt mich ein, genau das zu tun.
An einem heißen Sommertag spaziere ich die Maximilianstraße entlang und klingele erwartungsvoll bei der Nummer 45 direkt am Maxmonument. Gudrun Spielvogel hat eine herzliche Ausstrahlung. Ich habe nicht das Gefühl, etwas kaufen zu müssen - das große Missverständnis, das auch die Galeristin gut kennt. „Der allgemeine Glaube, auf dem Kunstmarkt müsse alles kommerziell sein, trägt natürlich dazu bei, dass viele denken, sie müssten etwas kaufen. Das schreckt ab“, sagt sie dazu. Ganz anders ist da der Besuch im Museum.
Wenn ich mir die Galerieszene einer Großstadt vorstelle, dann sehe ich Männer mit Fliege und Leinenanzug neben Frauen in eleganten Kostümen und hochpreisigen Brillengestellen. Ich sehe Champagner fließen und lausche der Eröffnungsrede einer Vernissage, in der ich kaum ein Wort verstehe.
Wenn ich ins Museum gehe, denke ich ausschließlich an die Ausstellung, manchmal noch an die Architektur des Gebäudes, sollte sie besonders sein. Nie jedoch an Kurator*innen und ob die irgendwelche Erwartungen an mich als Besucherin haben. Frau Spielvogel stimmt mir zu. Im Museum bin ich anonym, ich gehe mit vielen anderen Menschen durch die Räume und falle gar nicht auf. Wenn mir die Ausstellung nicht gefällt, gehe ich einfach nach ein paar Minuten und niemandem fällt es auf. Das kann ich in einer Galerie natürlich genauso machen, traue ich mich aber nicht. Schließlich öffnet mir jemand die Tür, bietet mir einen Kaffee an, erzählt mir Näheres über gezeigte Kunst in einem direkten Gespräch.
Wenn ich mir die Galerieszene einer Großstadt vorstelle, dann sehe ich Männer mit Fliege und Leinenanzug neben Frauen in eleganten Kostümen und hochpreisigen Brillengestellen. Ich sehe Champagner fließen und lausche der Eröffnungsrede einer Vernissage, in der ich kaum ein Wort verstehe. War die Kunstszene denn zumindest früher so mondän, wie ich sie mir noch heute vorstelle? Gundrun Spielvogel lacht. „Was noch hinzukommt und das Bild von den Galerien verfälscht, sind die hohen Versteigerungsergebnisse in bekannten internationalen Auktionshäusern. Man glaubt, Galerien schwimmen nur so in Geld. Diese Erscheinungen einer mondänen und glamourösen Welt, in der nur Champagner fließt, assoziieren viele fälschlicherweise mit dem täglichen Betrieb kleiner und mittlerer Galerien, die die Basis des Kunstbetriebes sind.“
Ich merke schnell, dass die Galeristin meine Hemmschwelle Stück für Stück abbaut, also erzähle ich ihr von meinen weiteren Bedenken: Wenn ich vor einem modernen Werk stehe, frage ich mich, ob ich diesen einzelnen roten Strich auf weißem Untergrund verstehe oder wie die verschlungene Metallskulptur zu interpretieren ist. Ich bin schlichtweg überfordert und glaube alles, was man mir zu Ausstellungsstück 3b erzählt. „Der berühmte Feuerlöscher“, sagt die Galeristin dazu und spielt auf den Streich an, Besucher*innen weiszumachen, der Feuerlöscher an der Wand sei Teil der Ausstellung.
„Sobald wir einen Begriff, zum Beispiel einen Titel, aussprechen, erschaffen wir eine Konnotation und damit eine individuelle Erfahrung. Jetzt beginnt das Werk zu leben. Das ist die Interaktion von Bild und Betrachter.“
Ich frage sie, welchen Tipp sie für Kunstneulinge wie mich hat, die keine blöden Fragen stellen möchten, aber irgendwie eben doch. „Mehr Mut. Hinsetzen, Zeitnehmen, sich selbst Fragen stellen wie: Spricht mich die Farbe an? Was verstehe ich unter dem Motiv? Ich glaube, das Sensorium eines jeden Menschen spürt die Dinge, die gemeint sind. Und wo nichts ist, da ist vielleicht auch wirklich nichts.“
Das probiere ich aus. Ich wende mich einem Werk der ausgestellten Künstlerin YeunHi Kim zu, das aus vier einzelnen Holzkästen in verschiedenen Blautönen besteht. Darin sehe ich das Meer. „Der Titel des Bildes ist ‚Brandung’“, höre ich Frau Spielvogel sagen und freue mich, mit meinem Schuss ins Blaue richtig zu liegen. Je länger ich das vierteilige Bild betrachte, desto tiefer zieht es mich hinein. „Sobald wir einen Begriff, zum Beispiel einen Titel, aussprechen, erschaffen wir eine Konnotation und damit eine individuelle Erfahrung. Jetzt beginnt das Werk zu leben. Das ist die Interaktion von Bild und Betrachter“, erklärt sie mir. Das gefällt mir. Daraufhin blättere ich im Ausstellungskatalog, weil mich die Preise interessieren. 9000 Euro kostet die „Brandung“. Das günstigste Werk dieser Ausstellung startet bei 2200 Euro.
Wer so einen Lebenslauf wie Gudrun Spielvogel hat, hat natürlich viel erlebt und gesehen. Anfangs schrieb die Germanistin Texte für Eröffnungsreden und Kataloge, arbeitete als Aufpasserin bei Ausstellungen und besuchte im Verlagsbereich viele Künstler*innen in den USA und ganz Europa. Sie kennt demnach das Gefühl, am Klingelknopf zu stehen und um Einlass zu bitten. „Können Sie mir aus all den Jahren eine kuriose Geschichte erzählen“, frage ich Frau Spielvogel und sie lächelt. Kurzes Schweigen.
„Ich habe eine schöne Geschichte für Sie“ und dann beginnt sie, mir von einer jungen Frau zu erzählen, die vor vielen Jahren in ihre ehemalige Galerie in der Oettingerstraße zu einer Vernissage von John Carter kam. „Sie war Mitte 20 und kam mit ihrer ganzen Clique. Sie ging auf ein kleines Objekt zu und sagte: ‚Das will ich haben.’ Ihre Freunde bekamen große Augen, sie fragten sich, was bloß in sie gefahren war. Das Werk hat 3000 Mark gekostet.“ Spielvogel erzählt, dass sie der jungen Frau die Möglichkeit geben wollte, einen Rückzieher zu machen und sagte ihr, dass sie es ihr reservieren würde. Daraufhin fragte sie, warum man es ihr nicht verkaufen wolle, also markierte die Galeristin das Bild als ‚verkauft’.
„Tags darauf kam sie wieder und fragte mich, ob sie das Bild auf Raten zahlen könne. Der Künstler gab sein Einverständnis. Allerdings konnte ich es ihr erst nach der vollständigen Zahlung übergeben. Sie fuhr mit ihrem Rad davon und kam tatsächlich am nächsten Tag wieder. Und zwar mit den Worten: ‚Jetzt reicht’s!’“
Spielvogel lacht bei der Erinnerung. Die junge Frau hatte ihre Oma und ihren Vater um Unterstützung gebeten sowie ihr Sparkonto geplündert. Das hat die Galeristin so beeindruckt, dass sie ihr die Arbeit mitgab, obwohl das normalerweise erst nach Ende der Ausstellung gemacht wird. Und so packte die junge Käuferin das Bild wie ein rohes Ei in ihren Lederrucksack, schwang sich aufs Rad und fuhr strahlend davon.
Wie schön, denke ich. Eine Frage beschäftigt mich jedoch. Was hatte die Frau so in den Bann gezogen? „Ich weiß es nicht“, sagt die Galeristin. „Das Objekt war eine sehr haptische, schöne Arbeit. Türkisfarben mit Marmorpuderstaub. Es war einfach Magie zwischen den beiden.“
„Vielen Galeristen ist es ein Anliegen, Menschen an die Kunst hinzuführen und diejenigen, die eine Galerie betreten, nicht als potenzielle Käufer zu sehen.“
Als ich mich von Frau Spielvogel verabschiede, fühle auch ich mich etwas verzaubert. Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell und spielerisch einen Zugang zu moderner Kunst finden würde.
Ich laufe nach Hause und bemerke zum ersten Mal, dass nur ein paar Häuser von meiner Wohnung entfernt eine Galerie ist. Wie lange bin ich wohl vorbeigegangen, ohne dass sie mir aufgefallen ist? Da klingen mir die Worte von Gudrun Spielvogel im Ohr: „In München gibt es rund fünfzig kleine Museen, die keinen Eintritt kosten. Vielen Galeristen ist es ein Anliegen, Menschen an die Kunst hinzuführen und diejenigen, die eine Galerie betreten, nicht als potenzielle Käufer zu sehen.“
Ich bleibe stehen und werfe einen Blick ins Fenster. Ich taste mich ran, an die Münchner Kunstszene.
Various Others
Der Verbund aus Münchner Galerien, Off-Spaces und Museen lädt weltweit Künstler*innen und kooperative Projekte nach München ein – Various Others steht für zeitgenössische Kunst und veranstaltet seit 2018 eine jährlich wiederkehrende Veranstaltung, um einen Dialog zwischen der Münchner Kunstszene und der globalen Kunstwelt zu schaffen. Von relevanten Museen bis zu unabhängigen Kunsträumen ist für jeden Geschmack etwas dabei.
open ART München
Seit 1989 öffnen für drei Tage im September die Galerien der Stadt ihre Türen, um zeitgenössische und moderne Kunst einem breiten Publikum nahe zu bringen. Gleichzeitig wird damit die Kunstsaison nach der Sommerpause eingeläutet. Da es vielen Galerist*innen wie Gudrun Spielvogel ein Anliegen ist, die Hemmschwelle bei Galeriebesuchen herabzusenken, gelten auch längere Öffnungszeiten während des Wochenendes und die Besucher*innen sind eingeladen, sich auszutauschen.