Wiesnzeit ist Dirndlzeit. Wir besuchen mit der Dirndldesignerin Carolin Engelhardt das größte Volksfest der Welt, um mit ihr einen Blick auf die bunte Geschichte des Trachtenkleids zu werfen. Und Ausschau zu halten: nach den neusten Trends, den Schnitten, die bleiben werden, und nach ganz vielen Schattierungen von Blau – Engelhardts Lieblings-Dirndlfarbe.
Wirft man heute einen Blick in die Wiesn-Festzelte, kann man es sich fast nicht vorstellen, aber: Lange hat niemand jenseits der Dorffeste und Schützenvereine Tracht getragen. Auch auf Bildern des Oktoberfests aus den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren hat zwar das Schankpersonal schon Tracht an, die Massen der Gäste sind aber noch in Jeans, T-Shirt oder Bluse unterwegs.
Erst in den letzten 20 Jahren hat sich der allgemeine Trend zum Dirndl, zu den Krachledernen, zum Janker und zu den Haferlschuhen durchgesetzt. Eine Entwicklung, die Carolin Engelhardt sehr begrüßt, schließlich ist sie Dirndldesignerin und Gründerin von „Münchner Dirndl“. Mit ihren 25 Jahren Designerfahrung ist sie die ideale Partnerin für einen modischen Wiesn-Spaziergang, bei dem wir Ausschau nach Trachten halten und dabei von Carolin Engelhardt mit Insiderwissen zu den neuesten Trends, immer wiederkehrenden Schnitten und den Farben der Saison versorgt werden.
„Ich freue mich jedes Jahr über die Begeisterung. Es ist, als würde man in eine andere Welt treten.“
Schon auf dem Weg von der U-Bahn-Haltestelle Theresienwiese zum Eingang des Oktoberfests merkt man: Es liegt diese ganz besondere Stimmung in der Luft, die München jedes Jahr im September ergreift. „Ich freue mich jedes Jahr über die Begeisterung“, sagt Carolin Engelhardt, als wir durch das Tor auf das Festgelände gehen. „Es ist, als würde man in eine andere Welt treten.“
Glasierte Früchte glänzen in der Sonne, die Kettenkarussells drehen surrend ihre Kreise, Schießbuden necken in roten Lettern: „Moanst daß'd was triffst?“ Der Geruch von gebrannten Mandeln liegt in der Luft. Um uns herum: Frauen, fast ausschließlich im Dirndl, alte wie junge, breit bairisch sprechende Einheimische wie Touristinnen. Es wirkt so, als wäre es nie anders gewesen. Dabei ist die Historie des Dirndls weniger lang, als man zunächst annehmen würde.
Natürlich gab es schon vor Hunderten Jahren regionale Trachten. Diese wurden aber nur zu ganz besonderen Anlässen getragen, und die für Frauen sahen europaweit ziemlich ähnlich aus: immer ein langer Rock, reich bestickte Oberteile, Tücher, aufwendige Hüte, alles sehr bunt. Das Dirndl in seiner heutigen Form wurde im späten 19. Jahrhundert populär: als leichtes Sommerkleid, mit dem Frauen der städtischen Oberschicht in Oberbayern auf Landpartie fuhren. Dafür wurde ein einfacher, bodenlanger Magdrock mit einem farbigen Schurz und einer meist gleichfarbigen Bluse kombiniert.
Drei jüdische Brüder aus Bielefeld brachten den Stein so richtig ins Rollen, mit ihrem Trachtenhaus Wallach in der Münchner Residenzstraße machten sie ab 1910 das Dirndl zum vermeintlich authentisch-bayerischen Modehit. In heutigen Begriffen hat man es damit mit einer doppelten Appropriation, einer „Aneignung“ zu tun: Die Städterinnen imitierten modisch das Leben der Landbevölkerung. Diese aber machte gern mit bei dem Spaß – und übernahm dieses Bild für sich selbst. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Trachtenvereine und mit ihnen die großen oberbayerischen Trachtentraditionen: die Miesbacher Tracht mit Dirndln in markantem Dunkelblau oder die Chiemgauer Tracht in Schwarz und Grün.
Diese traditionellen Dirndl, die man oft bei den Umzügen der Trachtenvereine sieht, haben es Carolin Engelhardt besonders angetan. Sie haben ihre klassische Form gefunden, die überdauert: „Ein Leinenoberteil und Baumwollrock. Das wird es immer geben, das wird sich nicht verändern.“ Trends bei der Tracht steht sie eher kritisch gegenüber. „Eigentlich ist die Tracht kein modischer Schnickschnack, sondern etwas Klassisches. Das holt man jedes Jahr wieder raus. Und wenn man Dirndl liebt, hat man ein paar davon im Schrank. Aber die Grundform bleibt eigentlich gleich.“
Ähnliches gelte für die Farben. Blau und Grün seien Klassiker, die gehen immer. Daneben gebe es freilich auch noch die aktuellen Trendfarben. In diesem Jahr, vor allem im Promizelt, der Käfer Wiesn-Schänke, sehr beliebt: knalliges Pink. Diese Barbie-Dirndl würden aber eher eine vorübergehende Erscheinung sein, vermutet Engelhardt.
„Im Dirndl sieht man so viel schöner aus, es ist einfach ein unglaublich feminines Kleidungsstück. Man kann es mit jeder Figur tragen, und alle sehen darin toll aus.“
Trotz ihrer Liebe zum Traditionellen verschließt sich auch Carolin Engelhardt nicht völlig gegenüber Trends, zumal man ja – wenn man den Fokus etwas weitet – das ganze Dirndlwesen als großen Trend betrachten muss. Wieso ab Ende der 1980er-Jahre Tracht nicht mehr nur von Trachtenvereinen gepflegt, sondern auf einmal in der breiten Masse cool wurde, darüber kann auch sie nur spekulieren. Vielleicht liege es daran, dass das Dirndl einfach sehr kleidsam sei: „Im Dirndl sieht man so viel schöner aus, es ist einfach ein unglaublich feminines Kleidungsstück. Man kann es mit jeder Figur tragen, und alle sehen darin toll aus“, sagt sie. Dass sich dabei die Bandbreite immer mehr diversifiziert, findet Engelhardt auch sehr erfreulich. „In den letzten Jahren sieht man immer mehr Tracht – mehr Stile, mehr Schnitte. Das ist super.“
In der Schlange zum Eingang der Oidn Wiesn kommt Engelhardt dann wieder ins Schwärmen. Hier kann man für vier Euro Eintritt sehen, wie das Oktoberfest früher ausgesehen haben könnte: historische Fahrgeschäfte, Blasmusik und ganz viel Tradition. Das beobachten wir auch an den Dirndln vor dem Eingang: Viele der Schürzen sind mit Schnallen anstatt Schleifen versehen. „Das ist von den Trachtenvereinen abgeguckt. Die haben häufig die Schnallen, die noch für die einzelnen Vereine angefertigt werden“, erklärt sie.
Sie weist auf eine Frau in blauem Dirndl und sagt: „Wow, das ist toll.“ Was ihr daran gefällt? „Zum einen die Länge – ich finde Dirndl, die bis zum Knöchel gehen, viel sexier als knappe Dirndl. Die Farbe ist ein Traum, passt gut zu ihrem Hautton. Und der Print auf der Schürze ist auch besonders schön.“
„Ein schlecht verarbeitetes Dirndl erkennst du in der Regel am Saum – der ist nur einmal umgeschlagen, das verbraucht weniger Stoff. Und an den Schürzenbändern sieht man, wenn gespart wurde, nämlich wenn sie zu kurz sind.“
Als letzten Stopp visieren wir die Festhalle Schottenhamel an und sehen, was die Jugend so treibt. Das Zelt hat den Ruf, das jüngste Wiesnpublikum unter den Festzelten anzuziehen. Auf dem Weg dorthin entdecken wir allerdings ein älteres Paar, das es Carolin angetan hat. Er in Lederhosen und Hut, seine Frau in einem dunkelgrün-roten Dirndl mit Schößchen. Woran erkennt man nun, dass die Dame ein tolles Dirndl anhat? Zum Beispiel an der Knopfleiste anstatt eines Reißverschlusses, erklärt Carolin: „Wenn ein Dirndl einen Reißverschluss anstatt von Haken hat, ist es billiger verarbeitet. Einen Haken anzunähen, kostet viel mehr Zeit und ist demnach auch teurer.“
Im Trubel des Schottenhamel-Zeltes fragen wir uns: Wer trägt eigentlich die schöneren Dirndl, alt oder jung? „Das hat sich in den letzten Jahren wirklich gedreht“, sagt Carolin. „Die jungen Leute tragen mittlerweile auch klassische Schnitte. Meine Kunden werden auch immer jünger – was ich toll finde. Früher waren sie meist 40 Jahre und älter, jetzt kommen auch immer mehr 18-Jährige in mein Geschäft.“
Wer 18 Jahre alt ist, hat in der Regel nicht so viel Geld für ein teures Dirndl. Verständlich, doch oft leidet die Qualität darunter: „Ein schlecht verarbeitetes Dirndl erkennst du in der Regel am Saum – der ist nur einmal umgeschlagen, das verbraucht weniger Stoff. Und an den Schürzenbändern sieht man, wenn gespart wurde, nämlich wenn sie zu kurz sind.“ Eine Faustregel für den Schürzenkauf: „Die Baumwollschürze sollte so zwischen drei bis fünf Zentimeter kürzer sein als der Rock.“
Aber auch wer nicht viel Geld für ein teures Dirndl hat, kann mit ein paar Tipps ein schönes Modell finden – oder aufwerten. „Ich finde, unifarbene Dirndl haben immer etwas Edles und Zeitloses. So vermeidet man, dass man in eine Trendfalle tappt. Ich würde auf ein schlichtes Baumwolldirndl setzen, mit einer passenden Schürze. Das muss nicht viel kosten – und wird immer modern sein.“ Das schönste Accessoire dazu? „Eine kleine Trachtentasche – zum Beispiel von uns. Die kann man sich diagonal umhängen, Geld und Handy reinstecken, und man hat sie aus dem Weg und kann sich aufs Tanzen konzentrieren.“
Als wir die Wiesn verlassen, schlägt bei Engelhardt noch einmal die Inspiration zu. Der stahlblaue Metallträger des Riesenrads hat es ihr angetan. „Ein Dirndl in so einer Farbe würde ich auch gerne einmal machen“, sagt sie. „Vielleicht zu einer kirschroten Schürze.“