Die Eröffnung des internationalen Flughafens, wilde Clubs am Stadtrand und kreative Zwischennutzungen – im München der 1990er-Jahre lag ein Gefühl von Aufbruchstimmung und Aufbäumen gegen gesellschaftliche Zwänge in der Luft.
Durch die Eröffnung des internationalen Flughafens herrschte in den 90ern eine Aufbruchstimmung und das Gefühl einer direkten Anbindung an den Rest der Welt. Gleichzeitig prägte ein Musiktrend die Sub- und später auch Popkultur: der Techno. Er fand in den wilden Clubs am Stadtrand ein Zuhause, während überall sonst die Sperrstunde einen Strich durchs Nachtleben machte. Das Aufbäumen gegen eben diese sowie kreative Zwischennutzungen waren wichtige Schritte hin zu der weltoffenen Stadt, die München bis heute ist.
Wumms. Über die Geburt des ersten reinen Techno-Clubs im Süden Deutschlands, dem Ultraschall, werden noch heute legendäre Geschichten erzählt. Wo Anfang der 90er in München vor allem Punks oder Indie-Fans feierten, stellte Techno plötzlich einen neuen Trend dar, die Musikrichtung wurde zum Lebensstil einer Generation – und damit änderte sich auch die Mode: Fellstulpen und Nylon- oder Netzshirts kombinierte man mit raschelnden Schlaghosen, deren Erinnerung noch heute Gänsehaut bereitet. Die Fashiontrends schwappten schließlich in die gesamte Popkultur des Jahrzehnts über, denn bis heute werden Zungenpiercings, Plateauschuhe und Tattoo-Ketten mit den 90ern assoziiert. Sie und viele andere Accessoires hatten ihren Ursprung im Techno. Ganz wichtig und unabhängig von den Jahreszeiten: immer bauchfrei.
Möglich gemacht wurde der Techno-Club Ultraschall vom 2021 verstorbenen Gastronom und Clubbetreiber Wolfgang Nöth, der einen maßgeblichen Beitrag zur Münchner Club- und Kulturszene geleistet hat. Er schnappte sich damals das Gelände des ehemaligen Flughafens Riem und bot den Machern hinter der Partyreihe „Ultraworld” ein Zuhause an – und zwar in der ausgedienten Großküche des Flughafens. Der Musikproduzent Richard Bartz war damals einer der Betreiber und sagte später in einem Interview dazu: „Ich hatte das Gefühl, jetzt brechen wir aus diesen ganzen Strukturen, diesem althergebrachten Nachtlebensystem aus. In so einer Küche einen Club reinzubauen, das war Anarchie pur.“
Fellstulpen und Nylon- oder Netzshirts kombinierte man mit raschelnden Schlaghosen, deren Erinnerung noch heute Gänsehaut bereiten.
Bis Ende der 1990er-Jahre herrschte in München nämlich eine Sperrstunde ab 22 Uhr – mit nur wenigen Ausnahmen, unter anderem den Clubs am Stadtrand, wodurch sich lange Partynächte dorthin verschoben. Techno als Befreiungsschlag: Genau das bedeutete die Musikrichtung den Kids von damals. Es war der Sommer 1994, in dem sie eine andere Welt betraten und dabei Raum und Zeit vergaßen. Und kein anderer Ort schien dafür passender als ein ehemaliger Flughafen.
Dass das Gelände Riem zu einer wichtigen Anlaufstelle der Münchner Partyszene wurde, war auch einem vorangegangenen Umzug zu verdanken: Bereits seit Jahrzehnten wurde darüber gesprochen, einen größeren und von der Stadt weiter entfernten Flughafen zu bauen als das aktuelle Gelände in Riem. So startete am 11. Mai 1992 nach langer Planung und anschließendem Bau die erste Maschine vom Flughafen Franz Joseph Strauß, knapp 30 Kilometer nordöstlich von München.
Für die Architektur des Terminal 1 ist Hans-Busso von Busse verantwortlich. Wichtig waren ihm und seinem Team, dass das Gebäude lichtdurchflutet wird sowie von geometrischen Formen geprägt, was eine dezentrale Anlage nach sich zog. Von außen ist ein großes Rohrsystem sichtbar, das mit den Fensterfronten bricht und elektrisch steuerbar ist – ein ausgeklügeltes System, um Blendschutz, gleichzeitig jedoch auch Lichtspiele bieten zu können. Das Terminal 2 kam erst 2003 dazu, und ist ein preisgekrönter, architektonischer Gegensatz.
Der Flughafen München wird bis heute auf Grundlage von Umfragen und Erfahrungsberichten Reisender immer wieder zum besten ganz Europas gewählt. Spannend ist außerdem, dass das Unternehmen vorhat, bis 2030 einen CO2 neutralen Flughafenbetrieb umzusetzen.
Ein weiteres architektonisches Highlight stellt die Herz-Jesu-Kirche im Stadtteil Neuhausen dar, sie wurde von 1997 bis 2000 erbaut. Die Besonderheit ist das weltweit größte Kirchenportal: 14 Meter hoch, 18 Meter breit und 50 Tonnen schwer. Acht Minuten dauert es, bis sich das Portal mit der blauen Glasfassade öffnet, was allerdings nur an hohen Feiertagen und anderen Anlässen passiert.
Die Besonderheit der Herz-Jesu-Kirche ist ihr Portal, denn es ist das größte weltweit: 14 Meter hoch, 18 Meter breit und 50 Tonnen schwer.
Wer hier genau hinschaut, erkennt innerhalb der blauen Quadrate die Darstellung weißer Nägel, die keinesfalls zufällig angeordnet sind. Ein dazugehöriges Alphabet wurde vom Künstler Alexander Beleschenko entwickelt, welches auf bestimmte Anordnungen der Nägel zurückgeht. Mithilfe dieser Anreihung wird auf der gesamten Fläche die Passionsgeschichte nach Johannes 18-20 erzählt. Klingt zu abstrakt, um es sich vorzustellen? Ein Besuch der Kirche lohnt sich, vor allem bei Sonnenschein, wenn das Licht auf das wunderschöne blaue Fensterglas fällt. Ein ganz besonderes Design, das auf das Münchner Büro Allmann Sattler Wappner zurückgeht und ein Teil des Wandels hin zu einer anspruchsvollen Architektur ist.
1997 eröffnete am Salvatorplatz in der Altstadt das Literaturhaus seine Pforten. Zuvor befanden sich in dem geschichtsträchtigen Bau immer wieder verschiedene Schulen, bevor 1993 entschieden wurde, der Welt der Bücher einen angesehenen Ort in München zu ermöglichen. Hier geben sich regelmäßig bekannte und weniger bekannte Autorinnen und Autoren die Klinke in die Hand – oder vielmehr das Wasserglas, ein Sinnbild für die klassische Lesung, bei der das Publikum ehrfürchtig lauscht. Aber auch Podiumsdiskussionen und Musikveranstaltungen finden statt, während in der Brasserie Oskarmaria, gewidmet dem bayerischen Schriftsteller Oskar Maria Graf, modernes Flair auf traditionellen Kaffeehaus-Charme trifft. Ein Ort zum Wohlfühlen und eine wichtige Kulturinstitution mitten im Herzen der Stadt.
Und auch im Münchner Osten tat sich viel in puncto Kultur. 1996 verlagerte der Lebensmittelhersteller Pfanni seinen Standort vom Gelände am Münchner Ostbahnhof in den Nordosten Deutschlands. Mit einem leeren Fabrikgelände lässt sich allerhand Innovatives anstellen, und so kam der Gastronom Wolfgang Nöth erneut ins Spiel; an ihn wurde das 90.000 Quadratmeter große Areal verpachtet. Vier Jahre lang herrschte eine kreative Zwischennutzung aus Clubs, Bars, Spielhallen, Künstlerateliers und Flohmärkten. Noch heute spricht man über die Snacks in der Nachtkantine (und die vielen Rechtschreibfehler auf der Speisekarte) oder die legendären Goa-Partys, die im Natraj Temple stattfanden. Erst als Kunstpark Ost bekannt, wurde das Areal später in Kultfabrik umbenannt. Heute handelt es sich bei dem Gelände um das Werksviertel Mitte – vieles hat sich seitdem verändert und ist weiterhin im Wandel. Ein kulturell wichtiger Standort für die Stadt ist es bis heute.