München sah bis Ende des 18. Jahrhunderts ganz anders aus als heute. Schaut man sich eine Karte von anno 1740 an, so gleicht die Stadt einer erfolgreich fertiggestellten Burg aus dem Gesellschaftsspiel-Klassiker „Carcassonne“: Die Residenzstadt der Wittelsbacher Kurfürsten war von einer Wehranlage aus Wällen, Zwingermauern, Türmen und Toren umgeben. Es gehört ein bisschen Fantasie dazu, die mittelalterliche Stadt wieder aufleben zu lassen. Eine Spurensuche.
- München im ersten Mauerring
- Auf Spurensuche der ersten Stadtbefestigung
- Die Stadterweiterung im 13. Jahrhundert
- Zeugnisse der zweiten Befestigungsanlage
Stadtansichten, wie sie noch der 1808 in München geborene Münchner Maler Carl Spitzweg und seine Zeitgenossen festgehalten haben, mit idyllischen Ecken und Winkeln entlang der Stadtmauer, gehörten bereits ab 1790 immer mehr der Vergangenheit an. Auf Befehl des Kurfürsten Karl Theodor wurde die gesamte Stadtbefestigung nach und nach abgetragen, weil die damaligen Stadtplaner Licht, Luft und freien Verkehr in die Stadt bringen wollten und ihnen die Mauer dabei im Wege stand. Erhalten blieben nur das Isartor, das Sendlinger Tor, das Karlstor und ein kurzes Teilstück der Stadtmauer an der Jungfernturmstraße nahe dem Literaturhaus.
Der bayerische König Ludwig II. kam 100 Jahre zu spät, sonst hätte er sich sicher mit seinem Faible für das Mittelalter, wie im Fall der Nürnberger Stadtmauer geschehen, erfolgreich gegen alle vorhandenen Abrisspläne gestemmt.
Eine erste Stadtmauer Münchens ist im späten 12. Jahrhundert, also nicht einmal zwanzig Jahre nach der Gründung des Marktes München belegt. Sie war nur rund eineinhalb Kilometer Meter lang. Straßennamen wie „Hofgraben “oder „Färbergraben“ geben Hinweise auf ihren einstigen Verlauf und auf die Tatsache, dass sie von einem Wassergraben umgeben war. In einer guten Stunde hat man diesen ältesten Teil der Stadt bei einem gemütlichen Altstadtspaziergang umrundet.
Ein weiteres Indiz für die einstigen Befestigungsanlagen ist die Tatsache, dass die Straßen ihre Namen an der Stelle ändern, wo sich ursprünglich die Stadttore befanden. Augenfälligstes Beispiel hierfür ist die Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Karlsplatz. Auf der Höhe des heutigen Kaufhauses Hirmer, wo die Kaufinger- in die Neuhauserstraße übergeht, stand der Schöne Turm. Eine Markierung auf dem Pflaster zeigt seinen Standort bis 1807, eine Miniatur des Turms an der Ecke des Kaufhauses, wie er ausgesehen hat.
Die Händler entrichteten ihre Zölle am Talburgtor, bevor sie auf den Marienplatz einfahren durften. Im 15. Jahrhundert wurde an seiner Stelle das Alte Rathaus erbaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört. In seinem erst in den 1970er-Jahren wieder hergestellten Turm ist heute das Spielzeugmuseum untergebracht.
Vom Marienplatz aus verlief die erste Stadtmauer entlang der Burgstraße bis zum Alten Hof, dem ehemaligen Herzogssitz. Beim Wiederaufbau der Stadt in den 1950er-Jahren entdeckte man, dass einige mittelalterliche Bürgerhäuser unmittelbar an die erste Stadtmauer gebaut worden waren. Auf diese Weise hat man sich damals die Rückwand gespart. Im Hausdurchgang Burgstraße 8 kann man ein Stück der Stadtmauer im Hinterhof sehen.
Der Alte Hof selbst war in die Befestigung integriert, jedoch mit einem Graben zur Stadt hin gegen Bürgeraufstände geschützt. Im Keller des Burgstocks, in dem sich heute der Infopoint der Museen & Schlösser in Bayern befindet, kann man einen Teil der südlichen Wehrmauer aus dem 12. Jahrhundert besichtigen. In der spätgotischen Gewölbehalle informiert die Dauerausstellung „Münchner Kaiserburg" außerdem multimedial über den ältesten Herrschaftssitz der Stadt, über seinen prominentesten Hausherren, Kaiser Ludwig den Bayern, und über die Münchner Stadtgeschichte.
Am Rindermarkt, nur wenige Minuten vom Marienplatz entfernt, steht der markante Löwenturm. Er war wohl doch kein Teil der Stadtbefestigung, wie man lange Zeit vermutete. Man nimmt heute an, dass er im Garten des Anwesens einer renommierten Münchner Patrizierfamilie namens Pütrich stand und der Familie als Warenlager, Wasserspeicher und, nach norditalienischem Vorbild, auch der Repräsentation diente.
Auch wenn an der Oberfläche nicht mehr viel zu sehen ist, treten bei Bauarbeiten immer wieder Fundamente dieser ersten Stadtbefestigung zu Tage. Ebenfalls unter dem Pflaster lebendig sind die zahlreichen Stadtbäche und Nebenarme der Isar, deren Wasser für die Bewässerung des Stadtgrabens, für die Reinigung der mittelalterlichen Stadt und zahlreiche Gewerbe genutzt wurde. Heute gibt es Überlegungen, sie partiell wieder an die Oberfläche zurück zu holen, um im Zeichen des Klimawandels vor allem im Sommer für Abkühlung zu sorgen.
Der Handelsplatz München wuchs und gedieh und damit stieg auch die Zahl der Einwohner. Schon hundert Jahre später, Mitte des 13. Jahrhunderts, begannen unter Herzog Ludwig II. dem Strengen die Bauarbeiten für einen zweiten, weiter gefassten Mauerring. Letztes Teilstück war das 1337 vollendete Isartor. Die Mauer umfasste das pilzförmige Gebiet innerhalb des heutigen Altstadtrings.
Im 15. und im 17. Jahrhundert folgten Erweiterungsbauten, die wehrtechnischen Erfordernissen Rechnung trugen. Der Stadtgraben wurde zugeschüttet und parallel zur Stadtmauer eine Zwingermauer mit 44 weiteren Türmen errichtet. An den exponierten Ecken entstanden zusätzliche Rundtürme. Straßennamen wie Jungfernturm-, Falkenturm-, Neuturmstraße, Am Kosttor, und Zwingerstraße zeugen noch heute davon.
Nach Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs kamen unter Kurfürst Maximilian I. zwischen 1619 und 1640 Wallanlagen, Bastionen und ein bis zu 30 Meter breiter Stadtgraben hinzu, der durch die Stadtbäche geflutet werden konnte. Der öffentlich zugängliche Dichtergarten nördlich des Hofgartens ist die einzig erhaltene Bastion der Befestigungsanlage des 17./ 18. Jahrhunderts.
Neben dem kurzen Teilstück des zweiten Mauerrings an der Jungfernturmstraße hinter dem Literaturhaus gibt es nahe des Isartors noch ein paar weitere Zeugnisse der zweiten Stadtbefestigung zu entdecken. Nördlich des Isartors stand ihr höchster Turm. Eine Mauer des sogenannten „Lueg ins Land“ ist die Südmauer des heutigen Anwesens Marienstraße 21. Wandmalereien und eine Steintafel auf dem Nachbarhaus (Vindelikerhaus) weisen auf diesen ehemaligen Stadtturm hin.
Gleich daneben, im Innenhof des Hauses Thomas-Wimmer-Ring 3, findet sich das Fundament eines Geschützturmes aus derselben Zeit. Stadtmauerreste wurden in den 1980er-Jahren in den Neubau des Gebäudes am Thomas-Wimmer-Ring 1 integriert und können durch die Glasfront besichtigt werden.
Auch interessant: Das Münchner Stadtmuseum zeigt in seiner Dauerausstellung „Typisch München“ auch Ansichten des mittelalterlichen Münchens. Im Bayerischen Nationalmuseum steht das Original des Sandtnerschen Stadtmodells von 1570 und ein interaktives Modell, das München im 19. Jahrhundert zeigt, mit einer damals noch existierenden barocken Wallanlage. Im Rittersaal sind historische Waffen ausgestellt, die bei Verteidigung der Stadt auf der Stadtmauer zum Einsatz kamen.