Traditionelle Currygerichte und indisches Streetfood im Deli Tadka, Essen wie in Thailand im Khanittha, koreanisches Bibimbap und Sushi im Asia Street by Mun – und weiter in den pazifischen Raum mit dem Aloha Poke. Das Werksviertel-Mitte ist der Hotspot für authentisch asiatisches Streetfood. Eine Schlemmertour durch eine besondere Küchenkultur.
Was für manche ein wahnwitziger Plan wäre, war für Monthipha Saparp schlicht einer, der „thailändisch anders“ ist. Als frisch gebackene Unternehmerin hatte sie jahrelang keine Zeit, ihre Heimat zu besuchen. „Irgendwann dachte ich: Dann hole ich mein Thailand eben zu mir“, sagt Monthipha. Also ließ sie in Bangkok einige Schiffscontainer füllen und schaffte alles hierher: bunte Leuchtreklameschilder, Tuk-Tuks, Imbisswagen, Wimpel und Lampions, ein Porträt des Königs, ja selbst das Besteck und die Soßenbehälter. Hier, das ist das Khanittha im Werksviertel-Mitte am Ostbahnhof.
Ein Ort, an dem es tatsächlich leichtfällt, sich auf einen thailändischen Streetfood-Markt zu träumen. Dafür sorgt neben der liebevoll gestalteten Szenerie die Geräuschkulisse: klappernde Woks, thailändische Popmusik, der heitere Umgang des Teams, in dem ausschließlich Menschen aus Thailand arbeiten. Ihre Vollendung findet die Illusion jedoch, sobald das Essen auf den Tisch kommt. Geang Pa etwa, ein rotes Curry, das nach Kaffirlimettenblättern, Thaibasilikum und Zitronengras duftet. Oder Sate Moo, gegrillte Schweinefleischspieße, die mit einem kleinen Ball aus Sticky Rice und einer süßlich-herben Chilisoße serviert werden.
Dass Monthipha mit ihrem Konzept ausgerechnet im Werksviertel ein Zuhause fand, ist nur auf den ersten Blick ein Zufall. Denn das ehemalige Industrieareal war lange Zeit gleichbedeutend mit quirliger Gastronomie. Drei Jahrzehnte lang existierte hier mit dem Kunstpark Ost und später der Kultfabrik Europas größtes Ausgehviertel, das Clubs, Bars, Konzerthallen und Restaurants umfasste. Seit 2017 wird das gesamte Areal grundlegend erneuert, doch es ist das erklärte Ziel, keine anonyme Wohn- und Bürowüste entstehen zu lassen. Deshalb hat man große Flächen für die Gastronomie reserviert. Und diese urbane Verdichtung bei gleichzeitigem Erhalt von Freiräumen scheint einer ganz bestimmten Küchenkultur in die Hände zu spielen: asiatischem Streetfood.
Von Thailändisch über Koreanisch und Indisch bis hin zu Japanisch und – immer weiter gen Osten – Hawaiianisch: Im Werksviertel kann man vom asiatischen Streetfood-Restaurant zum pazifischen Imbissstand spazieren, wobei „spazieren“ schon eine Übertreibung ist. Tatsächlich fällt man eher aus dem einen raus und stolpert in das nächste rein, denn die Restaurants befinden sich alle im Erdgeschoss desselben Gebäudes. So ergibt sich hier die Möglichkeit für eine Foodtour der besonderen Art: mit weniger als hundert Schritten einmal kreuz und quer über den asiatischen Kontinent (und darüber hinaus).
Wir beschließen, uns von Ost nach West zu essen – und beginnen so weit östlich, wie es nur geht: bei Aloha Poke in Hawaii. Dort haben polynesische, ostasiatische und nordamerikanische Einflüsse ein interessantes Gericht hervorgebracht: Poke. Der Name bedeutet übersetzt schlicht „in Stücke schneiden“ und bezeichnet traditionellerweise eine Art Salat aus rohem Fisch und Reis. So einfach das Prinzip, so vielfältig die möglichen Formen, die das Gericht annehmen kann. Erlaubt ist, was schmeckt und grundsätzlich ins Konzept passt. Und das ist viel.
Allein bei Aloha Poke, so erzählt es Co-Gründer Thomas Kruse, kommen sie auf sage und schreibe vier Millionen mögliche Kombinationen. Die gigantische Zahl wirkt noch unglaublicher, wenn man vor der Theke steht, wo die Zutaten hübsch säuberlich in Schüsseln präsentiert werden. Denn bei Aloha Poke wird jeder dazu angehalten, sich aus den vier Grundpfeilern Reis, Protein, Rohkost und zahlreichen Toppings eine persönliche Bowl zusammenzustellen. „Das macht am meisten Spaß“, sagt Kruse.
Wir möchten trotzdem erst mal einen der Klassiker probieren und entscheiden uns für eine der Housebowls, eine gemischte Poke mit rohem Thunfisch, Lachs, Garnelen, dazu verschiedene Salate und frische Mango, Avocadocreme, Gojibeeren und ein Erdnuss-Koriander-Dressing. Insgesamt sind die Zutaten so zurückhaltend, dass der Geschmack des rohen Fischs voll zur Geltung kommt. Gleichzeitig sorgt das Dressing für eine vollmundige Samtigkeit, während die Beeren und die Mango hier und da einen süßen Akzent setzen.
Von Thailändisch über Koreanisch und Indisch bis hin zu Japanisch und – immer weiter gen Osten – Hawaiianisch.
Unsere nächste Bowl stellen wir selbst zusammen. Wir entscheiden uns für eine vegane Variante mit Curry-Mango-Tofu, Hühnchen aus Erbsenprotein, Wassermelone, Röstzwiebeln und einem Honig-Soja-Dressing. Obwohl wir das Gefühl haben, die Zutaten etwas planlos miteinander kombiniert zu haben, schmeckt das Ergebnis hervorragend. Genau darin sieht Kruse auch das Geheimnis der Poke-Bowls. „Weil alles direkt vor dem Gast zubereitet wird, herrscht bei uns schonungslose Transparenz“, sagt er. „Und wenn alle Zutaten von bester Qualität sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch das Ergebnis schmeckt. Egal, in welcher Kombination.“
Von Hawaii aus machen wir uns auf den Weg nach Japan, Korea und die Philippinen. Nach wenigen Metern haben wir unser Ziel erreicht: das Asia Street by Mun. Während bei Aloha Poke pastellfarbenes Gute-Laune-Flair herrscht, strahlt das Asia Street by Mun die dampfig-enge Atmosphäre einer typischen asiatischen Garküche aus. Auf dem Menü stehen neben japanischem Sushi, Ramen und Gyoza koreanisches Bibimbap und Currys, außerdem Adobo, ein philippinisches Schmorgericht. Es wirkt ein bisschen so, als wollte sich der Mensch, der es zusammengestellt hat, nicht nur auf eine Sache beschränken – und tatsächlich trifft das den Stil von Mun Kim ziemlich genau.
Der Koreaner aus Honolulu war erst Banker an der Wallstreet, bevor er in Los Angeles eine Ausbildung zum Sushikoch machte, dann zwei Restaurants in Argentinien eröffnete und 2015 schließlich nach München kam, um in Haidhausen das mehrfach ausgezeichnete Mun zu eröffnen. Das Asia Street by Mun ist die niedrigschwellige Ergänzung zu seinem Gourmetrestaurant und erlaubt es ihm gleichzeitig, Neues auszuprobieren. „Hier sind wir zu 25 Prozent Experimentierküche“, sagt Mun. Dabei geht es kein Stück weniger authentisch zu, jedenfalls nicht nach Muns Definition von Authentizität: „Alle Gerichte auf der Karte basieren auf meinen Erfahrungen. In diesem Sinne sind sie eine authentische Repräsentation meines bisherigen Lebens“, sagt Mun.
Besonders interessant ist dabei der Umstand, dass sich Mun bisher vor allem in der gehobenen Küche bewegt hat. Denn dieses Wissen lässt er nun in seine Interpretation von asiatischem Streetfood einfließen, was sich direkt bemerkbar macht, als er uns sein Sushi serviert. Der Reis ist perfekt gewürzt, der Lachs zart und fein im Geschmack, die Sojasoße nicht wie oft üblich einfach nur salzig, sondern ausgewogen würzig.
„Unsere Sojasoße besteht noch aus vier weiteren Zutaten“, sagt Mun lächelnd und zeigt mir ein paar große Glasbehälter, in denen er mit Seetang versetzten Essig reifen lässt. Dann probieren wir noch das koreanische Bibimbap mit gegrilltem Rindfleisch, eine bunte Reisschüssel mit verschiedenen Gemüsen, die Mun an seine Kindheit erinnert. Es schmeckt fantastisch. Bohnensprossen, Spinat und Shiitakepilze sind auf den Punkt gegart, das Rind mürbe und intensiv, doch der eigentliche Star ist die Gochujang, eine fermentierte Chilipaste, die Mun selbst herstellt und die dem Gericht eine geschmackliche Tiefe verleiht, wie man sie nur selten findet.
„In Thailand bestellt man gemeinsam das Menü hoch und runter und isst die Speisen alle gleichzeitig.“
Nachdem wir uns durch die ostasiatischen Spezialitäten probiert haben, sitzen wir wenig später im bereits erwähnten Khanittha und träumen uns auf einen thailändischen Streetfood-Market. Dabei hilft uns ein Glas Nom Yen, das im Westen auch als „Thai Pink Milk“ bekannt ist und aus einem roten Sirup mit Milch besteht und auf Eis serviert wird. Noch hilfreicher ist allerdings das Essen, das ausschließlich nach alten Familienrezepten von Monthiphas Mutter gekocht wird. Neben dem Curry und den gegrillten Spießen probieren wir noch hausgemachte Frühlingsrollen und frittierte Wan Tan mit Huhn, Garnelen und Gemüse, außerdem das süß-säuerliche Nudelgericht Pad Thai.
Eher zufällig essen wir dabei genauso, wie es sich Monthipha wünscht: völlig durcheinander. „In Thailand bestellt man gemeinsam das Menü hoch und runter und isst die Speisen alle gleichzeitig“, erzählt sie uns später. „Die Suppe ist bei uns keine Vorspeise, sondern zum Spülen da.“ Den Gerichten merkt man deutlich an, dass sie erst vor wenigen Momenten den Wok verlassen haben. Auch die Soßen schmecken frisch und selbst gemacht.
Zum Schluss dann allerdings eine kleine Warnung von Monthipha: „Meinen Köchen mache ich nur eine Vorgabe“, sagt sie. „Dass sie so kochen, wie wir in Thailand essen.“ Gut möglich also, dass das Pad Thai beim nächsten Mal ein kleines bisschen anders schmeckt. An diesem Punkt kommen wir uns vor, als hätten wir uns bereits durch ganz Asien gegessen. Dabei haben wir nur einen Bruchteil der Länder abgedeckt und jeweils gerade mal ein paar Gerichte probiert. Auch der gesamte südasiatische Subkontinent fehlt noch.
Beim Deli Tadka können wir zumindest letzteren noch kennenlernen. Der indische Imbiss bietet vor allem sogenannte Buddha Bowls an – bunte Schüsselgerichte, die neben einem klassischen Curry noch diverse Toppings wie Chutneys und Salate sowie eingelegtes Gemüse enthalten. Aman, der uns an diesem Tag bedient, erzählt uns, dass so ein Angebot in seiner Heimat Indien wohl eher schwer zu finden sein dürfte. Denn dort werden Currys in der Regel ohne Rohkost gegessen. Die ebenfalls angebotenen Samosas, Tikkis und Pav würde man hingegen genau so finden. Wir nehmen eine Tikka-Taka-Tak-Bowl mit Masala, gegrilltem Hühnerfleisch aus dem Tandoori-Ofen, Babyspinat, eingelegten Mungbohnen und einem Tomaten-Ingwer-Chutney.
Dass es sich bei der Bowl offenbar um eine westliche Adaption handelt, schadet dem Gericht kein bisschen. Im Gegenteil: Der frische Salat harmoniert wunderbar mit dem cremigen Curry, die Mungbohnen verleihen ihm Biss und das Chutney sorgt für einen ordentlichen Schärfekick. Am liebsten würden wir auch noch die diversen Teigtaschen und Küchlein probieren, aber der Füllstand unserer Mägen lässt keinen weiteren Happen zu. Damit sind am Ende unserer Schlemmertour drei Dinge sicher: Im Werksviertel kann man sich hervorragend durch die gigantische Vielfalt der asiatischen Streetfood-Küche probieren. Zweitens: Alles ist mit einem Besuch kaum zu schaffen. Und drittens: Wir kommen wieder.