Am 8. Juli 2022 wurde der erste Teil des Deutschen Museums auf der Museumsinsel nach über fünf Jahren wieder eröffnet. Vorangegangen ist der größte Umbau in der fast hundertjährigen Geschichte des Gebäudes: 19 komplett neue Ausstellungen sind nun zu sehen – Meisterwerke der Naturwissenschaft und Technik von Atomphysik bis Robotik. Unsere Autorin hat sich dort umgesehen.
Als Ferdinand von Miller das Deutsche Museum am 7. Mai 1925 eröffnete, wurde streng auf die Einhaltung des vorgeschriebenen Pfades durch die Abteilungen geachtet. Heute darf man frei schwelgen in der Welt der Wissenschaft und Technik und mal der einen und mal der anderen Abteilung Stippvisiten abstatten. Es gibt ungeheuer viel zu erleben, zu lernen und selbst auszuprobieren. In habe mir für meinen ersten Besuch nach der Wiedereröffnung fünf Abteilungen herausgepickt, in denen ich drei lehrreiche und vergnügliche Stunden verbracht habe:
„Chemie ist wenn es stinkt und kracht", so grenzt sich die Chemie wohl gegen die Physik ab. Zu beiden habe ich in der Schulzeit keinen rechten Zugang finden können. In Erinnerung geblieben ist mir allein das staubige Katzenfell, an dem ein Metallstab so lange gerieben wurde bis es funkte. Ich bereue, dass ich damals nicht aufgeschlossener war, aber mein Besuch im Deutschen Museum zeigt, dass es nie zu spät ist, sich für eine Materie zu begeistern. Die Schaukästen mit Erklärungen in einer sehr klaren Sprache laden mich freundlich ein in die Welt der Wissenschaft.
Chemie funktioniert wie ein Baukasten mit Atomen als Bausteinen, lese ich, ganz entscheidend für die Eigenschaften einer Substanz ist ihr Bauplan. Wasserstoff macht unsere Haare blond, Wasser aber nicht. Beide bestehen aus Wasserstoff- und Sauerstoffatomen, nur halt in unterschiedlichen Anteilen. Das leuchtet mir ein. Den chemischen Baukasten samt Wasserstoff und Sauerstoff finde ich zudem gleich nebenan in Form eines beleuchteten Periodensystems wieder.
Chemie ist, wenn es stinkt und kracht!
Im Besucherlabor erlebe ich mit einigen anderen Chemie-Laien ein kleines Wunder: Eine Mischung aus zwei Salzen wird mit Hilfe eines Eiswürfels zu einer grünlichen Stichflamme entfacht.
Chemie prägt unseren Alltag. Meine Laufschuhe beispielsweise, lerne ich, verdanken ihren langen Halt und ihre gute Dämpfung dem Einsatz ausgeklügelter Kunststoffmischungen. Die Ausstellung zeigt, wie wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Chemie gewinnbringend bei der Ernährung, in der Industrie und beim Bauen eingesetzt werden, thematisiert aber auch die Kehrseiten, wie zum Beispiel die Belastung der Umwelt durch Plastikmüll.
Ganz besonders beeindruckt und nachdenklich gemacht hat mich der schlichte Holztisch mit den Apparaturen, dessen Existenz die Welt so entscheidend verändert hat. Hier stellte das Team um Otto Hahn und Lise Meitner am 19. Dezember 1938 überrascht fest, dass sie ein Atom gespalten hatten, etwas, das sie nach dem damaligen Erkenntnisstand nicht für möglich gehalten hätten.
In der Musikinstrumenten-Abteilung wird die Funktionsweise einer Orgel vorgeführt, die eigens für das Deutsche Museum gebaut wurde. Zunächst klingt der angestimmte Marsch „Pomp and Circumstance“ von Edward Elgar wie auf einem Klavier gespielt, dann braust das Instrument durch Öffnen der Register gewaltig auf. Ich bin ergriffen, mir schießen Tränen in die Augen, damit hätte ich an diesem Ort nun wirklich nicht gerechnet. Zweimal täglich gibt es hier Führungen, bei denen Instrumente gespielt werden. Klangbeispiele von 40 der insgesamt 250 Austellungsstücke kann man sonst auch über den digitalen Museumsguide oder die kostenlose Deutsches Museum App nachhören.
Das Museum besitzt auch einen Vorläufer des Synthesizers, das sogenannte Trautonium, mit dem Oskar Sala für Hitchcocks Horrorfilm „Die Vögel“ das Vogelgeschrei und andere unheimliche Soundeffekte erzeugte.
Das Deutsche Museum besitzt Unikate von Musikinstrumenten des 16. Jahrhunderts und auch jenes legendäre Exemplar des Synthesizers „Moog IIIp“ aus der Zeit Ende der 1960er-Jahre, mit dem die Beatles nachweislich ihr Album „Abbey Road“ einspielten. Wenig später erwarb Giorgio Moroder das gute Stück und nahm damit in seinen Münchner Musicland Studios den legendären Hit „I feel love“ mit Donna Summer auf.
Das Museum besitzt auch einen Vorläufer des Synthesizers, das sogenannte Trautonium, mit dem Oskar Sala für Hitchcocks Horrorfilm „Die Vögel“ die Vogelstimmen und andere unheimliche Soundeffekte erzeugte. Insgesamt erzählen rund 250 Exponate die Geschichte der Musikinstrumente von der Renaissance bis zur Gegenwart. Zuletzt werfe ich noch einen Blick ins Depot, wo man sich einen Eindruck von der Arbeit hinter den Kulissen verschaffen kann.
Was ist das? Es glänzt und schimmert und wächst uns über den Kopf? Des Rätsels Lösung ist die Skulptur aus Elektroschrott in der Abteilung Elektronik. Vom Boden zur Decke wirbeln einem Tornado gleich all die ausgemusterten Teile unserer schnelllebigen Zeit. Was gerade noch der letzte Schrei war, ist morgen schon von gestern: Handys, der gute alte Walkman, Spielkonsolen, Rasierapparate, Taschenrechner, Drucker, Bildschirme und oh!, da oben hängt ja tatsächlich auch der bunte Kinderkassettenrekorder meiner Tochter! Ich bin ein Teil des Übels!
Was ist das? Es glänzt und schimmert und wächst uns über den Kopf?
Das schlechte Gewissen über unsere Wegwerfgesellschaft wird von sentimentalen Schüben unterbrochen. Auch von Reue darüber, dass ich den Apple-Computer, auf dem ich vor 30 Jahren meine Magisterarbeit getippt habe, so gedankenlos entsorgt habe. Heute ist er unter anderem auch in der Neuen Sammlung – The Design Museum in der Pinakothek der Moderne ausgestellt. Hier im Deutschen Museum ist der Apple-I zu sehen, der Computer, den Steve Jobs und Steve Wozniak in der väterlichen Garage konstruierten und der den Grundstein zum milliardenschweren Apple-Konzern legte.
Der Bereich Recycling in der Abteilung zeigt, was mit dem Rest der gigantischen Masse an Geräten geschieht, die es nicht auf die Skulptur geschafft haben. Insgesamt wird die Entwicklung der elektronischen Technologien innerhalb der vergangenen 100 Jahre gezeigt und wie sie sich auf unsere Gesellschaft ausgewirkt hat: vom Lichtschalter bis zum Herzschrittmacher, vom Smartphone übers Auto bis zum Kraftwerk.
Die Reise durch den menschlichen Körper beginnt bei einem großen begehbaren Kopf, um den herum sich die Themeninseln zu Augen, Ohren und Zähnen gruppieren. Weiter geht es zu einem Herz auf Stelzen, wo man Wissenswertes zum Herz-Kreislauf-System erfährt, und hinab bis in die Glieder und Gelenke. Ich bin begeistert: Hier, wie in den übrigen Ausstellungen herrscht nach Sanierung und Umbau eine große Klarheit und Übersichtlichkeit. Der Ausstellungsbau, die Exponate, die Erklärungstafeln und Medientische, alles ist einladend, selbsterklärend und an keiner Stelle überfordernd. Für kleine Museumsgäste gibt es die Eule Milla, die auf einer eigenen Kinderspur durch die Ausstellung führt.
Das Thema dieser Ausstellung dürfte die meisten brennend interessieren. Hier werden Wege und Mittel aufgezeigt, die Pharmazie und Medizintechnik seit Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden haben, um Menschen zu heilen und ihre Gesundheit bestmöglich zu erhalten. Der Brutschrank aus der Berliner Charité, mit dem Robert Koch 1881 den Tuberkulose-Erreger entdeckte, ist genauso Gegenstand der Ausstellung, wie die winzige Ampulle mit dem ersten mRNA-basierten Impfstoff gegen Corona, der die entscheidende Wende in der Pandemie gebracht hat. Hochmodern und auf dem allerletzten Stand der Technik ist ein weiteres Highlight der Medizintechnik: Ein Roboter, der einem Menschen Stents zur Erweiterung der Blutgefäße des Herzens einführen kann. Der Roboter operiert, die Ärzt*innen lenken den Eingriff nur noch vom Bildschirm aus.
Gentlemen! This is no humbug.
An vielen Stationen kann man selbst in die Rolle eines Arztes oder einer Ärztin schlüpfen. Bei einem Kräftemessen à la „Hau den Lukas“ staune ich, wie viel Kraft man aufwenden muss, um einen Zahn zu ziehen, so fest ist er im Kiefer verankert. Über ein anderes Gerät nehme ich den Leberfleck auf meinem Handrücken stark vergrößert in Augenschein und besonders originell finde ich die Station, bei der ich virtuell ein Brillenmodell aus den 1960er-Jahren aufprobieren kann. Steht mir gar nicht schlecht!
In der Ausstellung ist auch die erste Operation unter Betäubung dokumentiert, die der englische Chirurg John Collins Warren 1846 an einem Patienten durchführte. „Gentleman! This is no humbug.“, soll er dem anwesenden Fachpublikum verkündet haben – nachdem der Äther die gewünschte Wirkung gezeigt hatte. Welch ein Segen für die Menschheit!
Die Bisons, die unsere Vorfahren auf die Wände ihrer Höhlen malten, Gutenbergs Buchdruck und Emojis: Sie alle sind Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach dem Austausch von Informationen. Damit diese Art der Verständigung auch funktioniert, muss Einigkeit darüber bestehen, was die Bilder, Zeichen oder Schriften zu bedeuten haben. Die Ausstellung „Bild Schrift Codes“ zeigt und erläutert die unterschiedlichen Zeichen und Medien, die der Mensch von den Anfängen bis zum heutigen Tag für die Übermittlung von Nachrichten genutzt hat, und zeichnet historische Umbrüche nach. Ein Highlight sind die Druckmaschinen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur „Planeta“ aus dem Jahr 1925, von deren Geschwindigkeit man sich bei regelmäßigen Vorführungen überzeugen kann.
Die Bisons, die unsere Vorfahren auf die Wände ihrer Höhlen malten, Gutenbergs Buchdruck und Emojis: Sie alle sind Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses nach dem Austausch von Informationen.
Gerade nutzen wir ja vor allem WhatsApp und Co., denke ich mit Blick auf eine Tafel mit den Smileys. Wunderlich finde ich die inzwischen fast obligatorische schriftliche Verabredung zum Telefonieren. Und warum verbringen nicht nur Teenies ganze Tage damit, die Botschaft hinter einer kryptischen WhatsApp-Nachricht zu entschlüsseln, anstatt die Anruffunktion zu aktivieren und Klartext zu sprechen?
Verschlüsselungs- und Entzifferungstechniken von der Antike bis heute sind dann auch ein anderes großes Thema der Ausstellung und manches Objekt hat eine spannende Geschichte zu erzählen. Was zum Beispiel auf den ersten Blick wirkt wie eine verrostete Schreibmaschine, ist das sehr seltene „Schlüsselgerät 41“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Es wurde von Schatzsuchern mit ihren Metalldetektoren in der Nähe von Aying bei München im Wald gefunden und diente der geheimen Weitergabe militärisch relevanter Informationen. Die ganze Geschichte des Fundes, das Rätsel um seine Funktionsweise und die historischen Hintergründe sind multimedial aufbereitet.
Und damit bin ich schon fast am Ende meiner individuellen kleinen Runde durch das neue Deutsche Museum, bei der ich ein Viertel der neuen Ausstellungen erkundet habe. Mein Besuch endet mit dem Vorsatz, bald wieder zu kommen, um die restlichen Abteilungen zu besichtigen und mit dem Versuch, meine Begeisterung in einen abschließenden Satz zu packen. Hier ist er:
Im neuen Deutschen Museum spürt man in beinahe jedem Detail der Ausstellungen, wie sehr den Kurator*innen daran gelegen ist, Freude und ein tieferes Verständnis für die Welt der Wissenschaft und Technik zu wecken.
Übrigens: Mit der München Card oder dem München City Pass können Sie beim Eintritt kräftig sparen und das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr ist nach Wunsch inbegriffen.