Wir haben vier Mitglieder des größten Orchesters in München nach ihren Instrumenten gefragt. Hier erfahren Sie mehr über den Münchner Philharmoniker Raffaele Giannotti, seinen Weg zum Fagott und was das Fagott mit den Lippen macht.
„Ich komme aus einer musikalischen Familie. Mein Vater ist Oboist, meine Schwester Geigerin, und so kam ich schon früh in Kontakt mit allen möglichen Instrumenten. Als ich klein war, hatten wir ein Buch zu Hause, da waren sämtliche Orchesterinstrumente abgebildet. Ich war gerade mal drei Jahre alt und fand das Fagott am schönsten von allen Instrumenten. Es hatte so eine schöne braune Farbe. Trotzdem spielte ich erst einmal Klavier, denn für ein Kind ist das Fagott einfach zu unhandlich, zu groß, zu schwer. Und dann kam irgendwann der große Tag, damals in Lecce, ich war etwa zehn Jahre alt und durfte endlich zum Fagottunterricht. Meine Eltern hatten mich nicht hingehalten, wie man Kinder oft vertröstet, denen man das Erlernen eines Instruments nicht zutraut, oder keine Lust hat, sich jeden Tag das Geübe anzuhören. Ich durfte loslegen und bin heute wie damals auch nach all den Jahren noch immer voller Begeisterung für das Instrument.
Ich liebe das Üben, es ist mir niemals eine Last. Gott sei Dank, denn man muss viel üben an diesem Instrument. Das glaubt man vielleicht gar nicht, wenn man es im Orchester hört, hinten bei den Holzbläsern, und es nur ab und zu klanglich in den Vordergrund tritt. Vor allem die Lippenspannung muss optimal sein, das ist für ein Kind schon sehr schwierig. Dazu muss man auch die Wangenmuskulatur trainieren, und zwar täglich. Es geht auch um die Koordination von Lippen und Fingern, von Tonerzeugung und Grifftechnik. Der Ton wird ja zunächst mit einem Doppelrohrblatt erzeugt, also zwei zusammengebundenen Holzblättchen, die in Schwingung geraten, wenn man sie anbläst. Das geht schon mit einem einfachen Rohrblatt und funktioniert im Prinzip so, wie wenn man einen Grashalm zwischen die Daumen klemmt und bläst. Dieses Rohrblatt ist eine Wissenschaft für sich.
Man sucht oft lange nach dem geeigneten Holzstück, etwa sechs Zentimeter lang, feilt tagelang daran herum, bis der Klang perfekt ist.
Die Urform, die heute noch bei Volksinstrumenten verwendet wird, kann man sich vorstellen wie einen am vorderen Ende plattgedrückten Strohhalm, den man an beiden Seiten aufschlitzt. Für ein modernes Orchesterinstrument ist das Rohrblatt etwas größer und komplizierter hergestellt, in der Regel aus Pfahlrohr. Man kann es zwar fertig kaufen, aber man lernt schon früh, es selber herzustellen, insbesondere die Spitze für die eigenen Bedürfnisse exakt auszuarbeiten. Der sensibelste Teil des Instruments ist das Doppelrohrblatt, das bei der Oboe in einer Kapsel mit einer Blasöffnung versteckt ist, beim Fagott aber offen, sodass man es komplett in den Mund steckt und dort den nötigen Anblasdruck erzeugt. Man sucht oft lange nach dem geeigneten Holzstück, etwa sechs Zentimeter lang, feilt tagelang daran herum, bis der Klang perfekt ist. Dann muss es ruhen, denn es verändert sich noch durch die Feuchtigkeit. Man kann also nicht am Morgen ein neues Rohrblatt bauen und am Abend ein Konzert spielen.
Für ein Projekt mit fünf Tagen Proben und zwei Aufführungen brauche ich mindestens ein neues Rohrblatt, oft auch zwei. Die individuelle Herstellung ist für einen Profi unabdingbar, es muss ja ganz verschiedenen Anforderungen gerecht werden, die ich schon bei der Wahl des Materials berücksichtigen muss. Für das Orchesterstück ,Le sacre du printemps‘ von Igor Strawinsky brauche ich ein sehr robustes, wir sagen: sicheres, Rohr. Das Holz darf nicht zu hart und nicht zu flexibel sein, es muss gut schwingen, aber nicht zu weich, und nicht zu schnell verschleißen. Wenn es zu weich ist, verschließt es sich, statt zu schwingen, wenn es zu hart ist, schwingt es nicht richtig, man braucht auch viel zu viel Druck im Mundraum. Auch das braucht seine Zeit, bis man die Herstellung eines Rohrblattes beherrscht. Ich war 14 Jahre alt, als ich das erste Mal, natürlich unter Aufsicht meines Lehrers, ein gebrauchstüchtiges Rohrblatt gebaut habe. Mit fünfzehn Jahren habe ich meine Ausbildung mit Diplom in Turin beendet. Nach der Schule studierte ich dann weiter in Wien, hatte aber schon eine Stelle im Orchester in Florenz. Danach spielte ich in München vor und bekam die Stelle als Solofagottist bei den Philharmonikern. Das Probejahr in München war hart, fast alle Stücke, die auf dem Plan standen, hatte ich noch nie zuvor gespielt. Aber ich habe das als Herausforderung verstanden, und meine größte Motivation war: Die Kollegen sollten stolz auf mich sein. Das muss man nicht zeigen, das ist wie in der Familie: Man weiß, was der andere kann, und freut sich über ihn und mit ihm.“
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