In München leben viele Schriftsteller*innen, die einen ganz besonderen Bezug zur Stadt haben. Unsere Redakteurin möchte wissen, welchen Einfluss München auf ihr Schaffen hat. Diesmal: Drehbuchautorin Elena Hell isst mit ihr im Café Schuntner Torte und erzählt von ihrer Recherche zur neuen Serie „Sisi“.
Sie ist ein waschechtes Münchner Kindl, weshalb es mich nicht überrascht, als sie das Café Schuntner zum Treffen vorschlägt – eine Kuchen-Institution in Sendling, die es bereits seit 1947 gibt. Elena Hell ist Drehbuch- und Romanautorin, ihren Abschluss hat sie an der renommierten Hochschule für Fernsehen und Film in München gemacht. Bekannt wurde sie mit der Arbeit an der Serie „Sisi“, die seit 2021 ausgestrahlt wird und für die sie gemeinsam mit Robert Krause die Drehbücher schrieb.
Wir stehen vor der Theke und bewundern die Kuchen in der Auslage. „Ich liebe Sahnetorten, auch wenn ich sie nicht so gut vertrage”, meint Hell und grinst. „Aber ich habe die Tradition, dass wenn ein Text abgeschickt ist oder es etwas anderes zu feiern gibt, hierher zu kommen.“ Ein Grund zu feiern war auf jeden Fall der Moment, als sie das Angebot bekam, das Drehbuch für „Sisi” zu schreiben.
Ich lasse ein Stück Himbeertorte auf der Zunge zergehen und frage, warum es eine weitere Interpretation der Sisi-Figur überhaupt gebraucht habe. Die Autorin erzählt, dass die Idee vom Produzenten stamme. Der wollte mit seinen Töchtern die alten Filme mit Romy Schneider in der Hauptrolle anschauen, saß jedoch bald alleine vor dem Fernseher – eine moderne Neuinterpretation des Stoffes musste also her! Auch Elena Hell überlegte nicht lange. „Schon als Kind fand ich Sisi total cool. Prinzessin werden und diese große Liebe … das alles hat mich einfach begeistert.“
Die Terrasse vor dem Café leert sich langsam, während der Feierabendtrubel auf der Straße anschwillt. Währenddessen tauchen wir immer tiefer in Hells Arbeit ein. Ich will wissen, wie sie einen neuen Zugang zu einer Person fand, über die bereits so viel gesagt wurde. Wo fängt man da an? „Erstmal habe ich gegoogelt“, meint Hell und lacht laut und ansteckend. Beim Schreiben hatte das Team eine historische Beratung sowie eine Assistenz, die Fragen zu Alltäglichem abgenommen hat – zum Beispiel, ob es zu Sisis Zeiten schon Bierdeckel gab.
Weil Hell und Krause bei der Entwicklung des Stoffes ein extrem hohes Tempo hatten, war diese Hilfe Gold wert. Die Frage, die mich dabei am meisten beschäftigt, ist, wie sie die Balance halten konnten zwischen Fiktion und Fakten. „Wir haben uns oft für kreative Freiheit entschieden! Ich hatte deshalb schon Angst, dass Leute auf die Barrikaden gehen“, gesteht sie. „Aber ich habe einige Biografien über Sisi gelesen und gemerkt, dass jeder Autor sein eigenes Bild von dieser Frau hat. Deshalb sage ich immer, dass ich eine freie Interpretation zur Person geschrieben habe.“
Als wir aufbrechen, um durch das Viertel zu spazieren, erzählt mir Elena Hell von ihrem Ausflug zum Schloss Possenhofen. Beeindruckend fand sie die Tatsache, dass man dort unter denselben Bäumen entlanggehen kann, unter denen Sisi bereits geschritten ist. Eine magische Vorstellung. Wie kam es ihrer Meinung nach überhaupt dazu, dass aus diesem schüchternen Mädchen eine selbstbewusste Kaiserin wurde, die bis heute ikonisiert wird? „Sisi hat sich von Schauspielerinnen abgeschaut, wie man posiert und sich inszeniert. So entstanden ihre Schönheitenalben mit Fotografien von Frauen aus der ganzen Welt. Sie hat sich beigebracht, wie man für sich selbst PR macht.“
Auch Elena Hell kennt sich mit der Verzahnung von Mode und Schönheit aus, denn die Autorin modelte einige Jahre nach dem Abitur. Hell hatte dadurch die finanziellen Möglichkeiten, auch anderes ausprobieren. Sie begann zu studieren und machte in einem Freisemester einen Schauspielkurs. Im Rahmen dessen entstand ein Drehbuch. „Das war mein Aha-Erlebnis“, schlussfolgert sie und ich denke: Sie ist ein Mensch, der viel Ausdruck mitbringt. Man schaut sie gerne an, man hört ihr gerne zu. Und jetzt, als Autorin, lässt sie diesen in ihre eigenen Zeilen fließen.
Bei unserem Streifzug durch Sendling kommen wir am Stemmerhof vorbei, ein ehemaliger Bauernhof, der heute einem kleinen Dorfplatz gleicht. Drumherum haben sich tolle Restaurants, Weinbars und Cafés angesiedelt, mittendrin steht ein Eiswagen, der an heißen Sommertagen das ganze Viertel versorgt. Sogar ein Hoftheater gibt es. Wir sprechen über besondere Orte wie diesen und die Autorin kommt ins Schwärmen: „Auch das Dreimühlenviertel ist toll. Und die Taverna Anesis für griechisches Essen. Die City Kinos mag ich sehr mit dem tollen Innenhof und das Naturbad Maria Einsiedel!“ Als wir spontan zu dem vielleicht schönsten Schwimmbad der Stadt fahren, frage ich sie, ob ihr das eingefallen ist, weil sie gerade den Bestseller-Roman 22 Bahnen adaptiert. „Über den Schwimmbad-Kosmos des Buches habe ich mich sehr gefreut! Aber ich schwimme auch privat viel und bin sehr gerne im Einsiedel”, antwortet sie.
So geht es auch der Protagonistin Tilda, die in dem Überraschungshit aus der Feder von Caroline Wahl jeden Tag 22 Bahnen schwimmt. Vielmehr schwimmt sie sich frei von der Last der alkoholkranken Mutter zuhause. Der Roman stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, die Autorin wurde vielfach ausgezeichnet. Hatte Elena Hell Bammel, die Geschichte, die so viele in ihr Herz geschlossen haben, fürs Kino neu zu schreiben? Sie nickt sofort. „Es ist eine Herausforderung, die Gefühle und den Vibe, die vom Roman ausgehen, richtig zu treffen. Ich hoffe, dass viele Menschen im Film wiederentdecken, was sie am Buch lieben. Und vielleicht gibt es ja manches, was das Ganze noch krönt”, verrät sie.
Bevor sie in das jadegrüne Wasser springt, will ich von ihr wissen, warum sie München nie den Rücken gekehrt hat. „Gefühlt ist die Welt hier in Ordnung. München ist wie die Käseplatte unter der Glasglocke und ich brauche das, um zu entspannen.“ Ich weiß, was sie meint, und kann das gut nachvollziehen. München hat eine hohe Lebensqualität – und genau deshalb ist die Millionenstadt oft näher dran am Dörflichen als an der pulsierenden Metropole. Dazu passt auch das besondere Schwimmbad, in dem wir sind, denn es wurde nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert. Einzigartig ist auch der fast 400 Meter lange (und eiskalte!) Isarkanal, der durch die Anlage fließt.
Elena Hell setzt die Schwimmbrille auf und lässt sich ins Becken gleiten. Kurz zuckt sie zusammen, hinter ihr geht die Sonne unter. „Auf das Schicki-Micki in München könnte ich allerdings verzichten”, schiebt sie nach. „Aber es gehört wohl dazu.“ Ich frage sie, ob sie ihre Stadt manchmal verteidigt gegenüber denjenigen, die sich auf den altbekannten Klischees ausruhen. „Auf jeden Fall! Man muss sich auf München einlassen. Sich Zeit nehmen, um über manches hinauszuschauen”, sagt sie.
Und dann schwimmt sie los.