In München leben viele Schriftsteller*innen, die einen ganz besonderen Bezug zur Stadt haben. Unsere Autorin möchte wissen, welchen Einfluss München auf ihr Schaffen hat. Pierre Jarawan nimmt uns mit in die Autorenbuchhandlung in Schwabing und in die Volkssternwarte, wo er gerade für seinen dritten Roman recherchiert.
Er stand bereits vor über 1000 Leuten auf der Bühne, um als Poetry Slammer seine Texte vorzutragen. Heute ist Pierre Jarawan Bestseller-Autor zweier Romane, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Im Gespräch erzählt er von seiner Arbeit und den Dingen, die er an München besonders mag.
Wir sitzen zwischen Kinderbüchern im hinteren Teil der Autorenbuchhandlung in Schwabing, an der gegenüberliegenden Wand hängt eine Porträtaufnahme des jungen Paul Auster – signiert, wie wir später erfahren. Die Buchhandlung, die dieses Jahr 50-jähriges Bestehen feiert, hat Pierre Jarawan als Treffpunkt vorgeschlagen. „Ich mag das Persönliche hier“, sagt er. „Es werden junge Autorinnen und Autoren gefördert, die Buchhandlung hat außerdem ein Auge darauf, wer in München veröffentlicht. Ich komme nicht nur hierher, um ein Buch zu kaufen, sondern auch, um mich kurz zu unterhalten.“
Karin Staisch, die Leiterin der Buchhandlung, setzt sich zu uns und erzählt, dass der Schwerpunkt der Auswahl auf langlebiger, hochwertiger Literatur liegt. Da reihen sich Jarawans Geschichten gut ein. Mit drei Jahren kam der Autor nach München, er ist Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter. In seinen Romanen widmet er sich der komplexen Geschichte des Libanons, verwebt Fiktionales mit geschichtlichen Fakten wie den Auswirkungen des Arabischen Frühlings und dem Bürgerkrieg im Land. „Ich schätze die Vielfalt an seinen Büchern“, sagt Staisch. „Wenn man am Schluss angekommen ist und feststellt, wo der Ursprung der roten Fäden gelegt wurde und wie Pierre sie schließlich zusammengefügt hat: das ist große Kunst.“
Und Kunst hat viele Gesichter. Bevor Pierre Jarawan Schriftsteller wurde, war er im Poetry Slam zuhause – 2012 hat er sogar den deutschen Meistertitel gewonnen. Dabei handelt es sich um einen Dichterwettstreit, vorab geschriebene Texte werden einem Publikum vorgetragen. „Drei Regeln gibt es zu beachten“, erklärt er. „Der Text muss selbst geschrieben und in einem Zeitlimit von sechs Minuten vorgetragen werden. Außerdem darf man keine Requisiten verwenden. Am Ende entscheidet das Publikum, wer gewinnt.“ Ich frage ihn, ob es ihm leichtgefallen ist, die große Bühne mit dem ruhigen Arbeitszimmer zu tauschen, und er antwortet, dass er für den Werdegang dankbar ist. „Vollzeit-Profi zu sein war kräftezehrend. Um davon leben zu können, hatte ich über 100 Auftritte im Jahr und habe zusätzlich verschiedene Workshops gehalten.“ Heute moderiert er den Isar Slam in München, sitzt aber vor allem am Schreibtisch zuhause in Schwabing und widmet sich seinen Büchern.
„Alles pulsiert, alles leuchtet. Beirut bei Nacht, diese funkelnde Schönheit, ein Diadem aus flirrenden Lichtern, ein Band aus Atemlosigkeit.“ So beginnt sein erster Roman „Am Ende bleiben die Zedern“, der mit dem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet wurde. Ein Roman, der die Zerrissenheit des Landes spüren lässt und gleichzeitig durch seine zarte, poetische Sprache tief hinein zieht. „Das schönste Kompliment zum ersten Buch war, dass Leute, die den Libanon gar nicht kannten, hingeflogen sind. Sie haben mir Fotos geschickt von Schauplätzen, das Buch dabei in der Hand.“
Wie geht das, frage ich ihn, im beschaulichen München über den Libanon zu schreiben? Ist er ein Beobachter von außen oder lässt er sich von der Geschichte einnehmen? „Ich versuche, die Emotionen zuzulassen, denn ich glaube, das lässt den Text stärker werden. Das ist nicht immer leicht und manchmal wird's mir zu viel, aber ich finde es gut, überwältigt zu werden.“ Entspannen kann er dann am besten im Englischen Garten, dessen Eingang direkt um die Ecke seiner Wohnung liegt. Ansonsten trifft man ihn übrigens in der Staatsbibliothek – „ein riesiger Schatz, dort finde ich die abwegigsten Bücher“ – oder in den arabischen Supermärkten in der Landwehrstraße auf der Suche nach außergewöhnlichen Gewürzen und Fladenbrot. In letzter Zeit war er jedoch auch an einem Ort anzutreffen, der auf den ersten Blick überrascht: die Münchner Volkssternwarte, wo er für seinen aktuellen Roman recherchiert.
Seit über 70 Jahren steht sie am Rande des heutigen Werksviertels, und was mal bescheiden begonnen hat, hat sich als eingetragener Verein etabliert, der zu den wichtigsten deutschen Sternwarten zählt. Björn Wirtjes nimmt uns in Empfang und zeigt uns gleich vom Dach aus den tollen Blick über München. „Das hier ist ein denkmalgeschützter Hochbunker. Ein stabiler Bau, da wackelt nichts. Deshalb eignet sich das Haus so gut, um Teleskope aufzubauen.“ Weil der Himmel bedeckt ist, stellt er uns zum Spaß eins der Geräte ein, um den Wendelstein sehen zu können. Auf dem Berg, der zum Bayerischen Alpenland gehört, befindet sich ebenfalls ein Observatorium, und zwar das der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Also winken wir zumindest den Kolleg*innen kurz zu.
Danach nehmen wir noch im Planetarium Platz, wo ein altes Zeiss-Gerät die Planetenkonstellationen an die Decke wirft – einen Nachthimmel, der sich von dunkelblau nach pink verfärbt. Als die Sonne wieder aufgeht, blicke ich in Jarawans beseeltes Gesicht. Auch wenn sein dritter Roman ebenfalls im Nahen Osten spielt, stellt die Recherche in der Volkssternwarte ein wichtiges Puzzleteil des Großen Ganzen dar. Ein kleines Stück München im Libanon, sozusagen.
Auf dem Heimweg frage ich den Autor, der bereits seit 2012 hier lebt, was er an München mag. „Ich habe mich einfach in die Stadt verliebt und in meine jetzige Frau. Ich fand's hier von Anfang an super. Durch meine Slam-Reisen kenne ich viele Städte und muss sagen: Nirgendwo ist es so wie hier.“