Der Wirt Gregor Lemke steht in seinem Wirtshaus Klosterwirt

Interview mit Gregor Lemke

„Wenn die Münchner da sind, kommen die Touristen von allein“

Gregor Lemke ist nicht nur seit Jahrzehnten passionierter Gastronom, sondern auch Vorsitzender des Vereins Münchner Innenstadtwirte. Wir treffen uns in seiner Wirtschaft, dem Klosterwirt an der Frauenkirche, und sprechen über Traditionen, die Lieblinsgerichte der Münchner und darüber, was einen guten Gastgeber ausmacht.

München hat hunderte Wirtshäuser, in der Innenstadt ist die Dichte besonders hoch. Eines davon ist der Augustiner Klosterwirt direkt an der Frauenkirche. Die Wirtschaft ist groß: Drinnen warten 430 Plätze, draußen noch einmal 150, knapp hundert Mitarbeiter kümmern sich um die Gäste aus aller Welt. Geschäftsführer und Wirt ist Gregor Lemke, der zuvor das Bratwurst Röslein in Nürnberg geführt hat. Vor acht Jahren kam er dann für diesen Job zurück in seine Heimatstadt, heute ist er zudem der Vorsitzende und Sprecher des Münchner Innenstadtwirte e.V. Wir treffen Lemke zu einem bayerischen Mittagessen im Klosterwirt, denn bei Käsespätzle und Apfelkücherl lässt es sich einfach noch besser über Lieblingsgerichte, Lieblingswirtshäuser und die Wiesn reden.

 

Herr Lemke, was bedeutet für Sie bayerische Wirtshauskultur?

Das ist für mich das Gefühl, dass man zusammenkommt. Der typische Charakter eines Dorfwirtshauses: Der Pfarrer sitzt neben dem Lehrer, der Bauarbeiter neben der Familie mit Kindern. Alle Bevölkerungsschichten treffen sich, ratschen, sitzen gemeinsam am Stammtisch, man tauscht sich aus und diskutiert. Das hab' ich schon so in meiner Kindheit mitbekommen, als meine Eltern für ein paar Jahre ein Wirtshaus in Garmisch hatten – und das ist für mich bis heute der Inbegriff eines Wirtshauses geblieben!

„Das Wirtshaus war anfangs überhaupt nicht mein Ding, aber heute sitzen wir hier.“

Wenn Sie selbst aus einer Gastronomenfamilie kommen, war es dann unausweichlich, selber auch Wirt zu werden?

Es war tatsächlich ein bisschen so: Mein Onkel hat früher im Königshof am Stachus gearbeitet und mir angeboten, die Hotelfachschule in Bad Reichenhall zu bezahlen. Das war ein verlockendes Angebot, denn die Ausbildung war teuer und immerhin besser als eine Banklehre. Also habe ich dort Hotelfachmann gelernt und kam seither nicht mehr aus der Schiene raus. Vom Königshof, sehr gehobener Gastronomie mit einem Stern, bin ich dann in den Donisl gewechselt – das war eine wilde Zeit Ende der 80er Jahre: voll, laut und versoffen, eben ein kompletter Kontrast zur Sternegastronomie. Das Wirtshaus war anfangs überhaupt nicht mein Ding, aber heute sitzen wir hier. Ich hätte wirklich niemals gedacht, dass ich Wirt werde, was ich aber immer wusste: Dass ich Gastronomie machen möchte, das ist mein Beruf, es macht mir Spaß! Und wenn dir dein Job Spaß macht, das ist doch das Beste, was es gibt.

Sind Sie jeden Tag im Klosterwirt? Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich bin momentan öfter da, als mir lieb ist – letzte Woche waren es sieben Tage, aber das ist eigentlich nicht die Norm. Ich hab sonst viele Außentermine, gerade auch mit meiner Funktion bei dem Verein Münchner Innenstadtwirte. Gestern Abend war ich im Rathaus, nächste Woche haben wir unser Sommerfest.

 

Die Gastronomie kann einen sehr fordern. Was machen Sie zum Ausgleich?

Meine Frau hat einmal gemeint, dass sie das an mir bewundert: Egal was im Geschäft los war, ich komme nach Hause und bin entspannt. Das hat zum einen mit mentalem Training zu tun – während meiner Fahrt nach Hause kann ich gut runterfahren – zum anderen mache ich jeden Morgen Yogaübungen. Wenn ich frei habe, gehe ich gerne zum Wellness oder bin in unserem Häuschen in Griechenland.

„Wer herzlich und empathisch ist, sich für die Menschen interessiert, der ist automatisch ein guter Gastgeber.“

Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Gastgeber aus?

Meine Devise ist: Du musst die Menschen mögen, das ist die Grundvoraussetzung. Dem Gast das Gefühl geben, dass du dich freust, dass er da ist. Mit dem Laden, allen Mitarbeitern, dem Interior eine Atmosphäre schaffen, die vermittelt, dass jeder willkommen ist. Es hat auch viel mit Authentizität zu tun, kein „Gesicht aufsetzen“. Wer herzlich und empathisch ist, sich für die Menschen interessiert, der ist automatisch ein guter Gastgeber.

 

Wie schafft man es eigentlich, Tourist*innen und Einheimische gleichermaßen anzusprechen?

Wenn die Münchner da sind, kommen die Touristen von allein. Im Klosterwirt haben wir bis zu 70 Prozent Einheimische zu Gast – man kennt sich, man grüßt sich, es wird Bairisch gesprochen. Wenn Sie sich einmal umschauen: Da vorne sitzt ein Vater mit einem Sohn, hinter uns ein Geschäftsmann mit Handy und drüben ist der Stammtisch mit denen, die jeden Tag zum Bier trinken und ratschen kommen. Touristen suchen Authentizität und die finden sie im Wirtshaus. Für mich sind das nicht zwei verschiedene Zielgruppen, sondern das eine bedingt das andere.

Was bestellen die Münchner*innen und was die Besucher*innen?

Asiatische Gäste bestellen gerne Haxn – umso größer, desto besser. Die wird dann vor dem Essen erst einmal ausgiebig fotografiert! Und die Münchner haben genauso ihre Gerichte, oft sind es Sachen, die man nicht mehr oft auf der Karte findet: saures Lüngerl oder Beuscherl – das isst nur der, der’s kennt. Was aber alle schätzen, ist ein guter Schweinsbraten.

„Asiatische Gäste bestellen gerne Haxn, die Münchner saures Lüngerl oder Beuscherl. Was aber alle schätzen, ist ein guter Schweinsbraten.“

Sie arbeiten schon viele Jahrzehnte in der Gastronomie. Was hat sich in der Zeit verändert oder bleibt im Wirtshaus sowieso immer alles gleich?

Ich will nicht sagen, dass die Wirtshauskultur frei von Trends ist, aber sie ist in jedem Fall schwerfälliger. Aber das sehe ich positiv: Wir springen nicht auf jede Welle auf und wenn wir etwas ändern, wie zum Beispiel mehr vegetarische Gerichte, dann werden die behutsam in die bestehende Karte aufgenommen. Was sicherlich auffällt: Die Leute sind etwas bewusster als früher, trotzdem gibt es eine ganz tradierte Erwartungshaltung an das Wirtshaus.

 

Die Trends zeigen: Es wird weniger Bier getrunken und weniger Fleisch gegessen, als noch vor ein paar Jahren. Hat das klassische Wirtshaus vielleicht bald ausgedient?

Ein gut geführtes Wirtshaus ist in meinen Augen nie verstaubt, weil sich Tradition und Moderne nicht ausschließen. Wenn jemand Fusionküche sucht, dann findet er das in München. Aber wenn's ein ordentlicher Schweinsbraten wie bei der Oma sein soll, dann geht's nach wie vor in's Wirtshaus. Und deshalb wird es immer modern sein, das Tradierte zu behalten.

„Die Leute sind sicherlich etwas bewusster als früher, aber trotzdem gibt es eine ganz tradierte Erwartungshaltung an ein Wirtshaus.“

Was sind No-gos, wenn Sie als Gast ins Wirtshaus gehen?

No-Gos sind für mich Unfreundlichkeit und Hochnäsigkeit. Sehr wichtig sind Hygiene und Sauberkeit, wie ist der Service, in welcher Relation steht das Essen zum Preis. Ich bin schon viel entspannter geworden, als ich es früher noch war. Was aber gar nicht geht: Wenn die Bedienung mit dem Finger im Glas abräumt, ich nenne das auch den „Affengriff“. Denn ein Bierglas braucht drei Spülgänge, um das Fingerfett rauszubekommen – sonst fällt der Schaum sehr schnell in sich zusammen. Wenn man an den Nebentisch schaut, kann man das Glas lesen – das heißt, man kann genau sehen, wie viel bei jedem Schluck aus dem Glas gegangen ist und das zeigt, dass es richtig sauber ist.

Welches sind Ihre Lieblingswirtshäuser? Wo trifft man Sie, wenn nicht hier?

Wenn’s nicht in der Innenstadt sein soll, gehe ich gerne zum Augustiner Keller hoch. Sensationell, dass man dort für die Größe so viel Qualität bekommt – eine richtige bayerische Urgewalt der Gastronomie. Ansonsten bin ich gerne am Wörthsee, wir wohnen in Germering, da ist das Fünf-Seen-Land nicht weit. Man kann schön spazieren, im Seehaus Raabe einkehren, beim Augustiner in Steinebach ein Bier trinken und sich danach mit einem Eis auf die Wiese legen oder noch baden gehen – ein Traum! Was ich auch gerne mache: Ein Boot mieten und auf dem Starnberger See rumschippern.

„Für mich ist die Wiesn nicht nur ein Ort, sondern vor allem ein Lebensgefühl.“

Nach 16 Jahren in Nürnberg sind Sie für den Job im Klosterwirt nach München zurückgekommen. Was gefällt Ihnen an der Stadt?

München ist lebensoffen, positiv, tolerant und sicher! München ist eine Stadt, in der jeder zweite Deutsche gerne leben möchte. München ist ein Gefühl, was aus einem ganz tiefen Selbstverständnis vermittelt wird. Der Münchner vermittelt das – und jeder, der zwei Jahre in der Stadt lebt, versucht dieses Münchner-sein mitzunehmen. Die Stadt ist einfach super! Ich hab mich sehr gefreut zurückzukommen, das war wie ein Nachhausekommen.

 

Sie sind auch der Sprecher der Münchner Innenstadtwirte. Warum braucht es so einen Verein?

Wir funktionieren wie ein Interessensverband, auch wenn unsere Läden ganz verschieden sind. Es sind Kaffeehäuser dabei, bayerische Wirtshäuser, aber auch Gourmet-Lokale – vom Brenner’s, über das Café Luitpold bis zum Hofbräuhaus. Wichtig ist, dass das Lokal keiner Kette angehört und sich schon in der Innenstadt behaupten konnte. Wir tauschen uns regelmäßig aus – über aktuelle Maßnahmen und Nachrichten, aber auch über Kleinigkeiten wie neue Arbeitsgeräte. Wenn man Fragen oder Anliegen hat, kann man die bei den Behörden gesammelt vortragen. Nach dem Motto: Gemeinsam ist man stärker. Und wir organisieren Veranstaltungen, wie die Wirtshaus-Wiesn, die wir uns 2020 als Oktoberfest-Ersatz überlegt haben. Die wurde so gut angenommen, dass sie auch dieses Jahr wieder stattfinden soll.

Könnte man sagen: Die Leute, die ins Wirtshaus kommen, wollen ein bisschen Oktoberfest-Gefühl?

In jedem Fall ist die Erwartungshaltung von München-Besuchern eng verbunden mit der bayerischen Wirtshauskultur – das haben wir ja weltweit transportiert mit dem Oktoberfest. Und diesen Eindruck kann man im Kleinen auch im Wirtshaus erfüllen. Für mich ist die Wiesn nicht nur ein Ort, sondern vor allem ein Lebensgefühl. Es ist eine gewisse Art des Zusammenseins, Fröhlichseins, Feierns. Dass es noch einen fixen Ort und Zeitraum für dieses Ereignis gibt, ist das Sahnehäubchen. 

„Die Erwartungshaltung von München-Besuchern ist eng verbunden mit der bayerischen Wirtshauskultur – und das kann man auch im Kleinen im Wirtshaus erfüllen.

Wie sieht der perfekte Tag auf dem Oktoberfest für Sie aus?

Für mich beginnt der ideale Wiesn-Tag bei schönem Wetter nachmittags, man geht raus, kauft sich Mandeln, fährt mit der Oma die Krinoline. Ich find’s wunderbar, dass es die Oide Wiesn gibt. Und dann geht's ins Augustiner-Zelt, ich bestelle Ente vom Spieß oder ein frisches Hendl und trink ein, zwei Bier – danach geh' ich glücklich nach Hause.

 

Tragen Sie eigentlich jeden Tag Tracht?

Zu Hause trage ich’s Dirndl (lacht). Nein, ich trage gerne Tracht, wenn ich in die Arbeit oder zu offiziellen Terminen gehe, für mich hat das mit Authentizität zu tun und wieder mit der Erwartung der Gäste. Am Ende des Tages zeigt es auch Respekt vor den Besuchern. Wenn ich nach Hause komme, freue ich mich aber auch mal auf etwas Bequemes.

 

Eine letzte Frage: Was halten Sie von dem Sprichwort „Wer nichts wird, wird Wirt“?

(schmunzelt) Ich glaube, wer einmal in das Berufsbild des Wirtes reingeschmeckt hat, der weiß, dass man auch jede Menge unternehmerisches Denken braucht. Natürlich kann jeder eine Kneipe aufmachen, es gibt keinen Ausbildungsberuf dafür. Ich hab in meinem Leben aber auch schon viele pleite gehen sehen sind. Deswegen: Man muss Ahnung haben von diesem Job!

 

 

Text: Anja Schauberger; Fotos: Frank Stolle
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