Aufbruch im Frühling, Orgien im Herbst, Rückzug im Winter: Kunstwerke thematisieren den Lauf der Jahreszeiten. Drei Beispiele aus Münchner Häusern.
Sarah Louisa Henn, Kuratorin:
„Wassily Kandinsky und Gabriele Münter lernten sich über das Malen kennen: Kandinsky war Münters Lehrer an der privaten Phalanx-Schule. Spätestens seit 1903 waren sie offiziell ein Paar. Da Kandinsky jedoch noch verheiratet war, war es eine gesellschaftlich illegitime Beziehung, die sie in München nicht ausleben konnten. ,Wir können nur außer der Welt zusammen sein‘, schrieb Kandinsky Münter in einem Brief. Das war vermutlich einer der Gründe dafür, wieso das Paar ab 1904 eine ausgeprägte Reisetätigkeit an den Tag legte. 1904 fuhren sie nach Tunesien, waren dort aber vom Wetter auch nicht gerade begeistert, der Kontrast zur Kälte des deutschen Winters fiel geringer aus als erhofft.
Im Jahr darauf fuhren sie an die Blumenriviera, an die Mittelmeerküste in Ligurien. Dort gefiel es ihnen sehr gut, was auch daran lag, dass sie nun zum ersten Mal ein gemeinsames häusliches Leben führen konnten. Sie bewohnten eine große Villa mit Köchin und freuten sich daran, für ein ganz normales, legitimes Paar gehalten zu werden. Daneben widmeten sie sich ihrer Kunst. Sie wandten sich beide entschieden gegen den damals vorherrschenden Akademismus, malten kleinformatig, schnell und skizzenhaft. Dabei trugen sie die Farben direkt mit dem Spachtel oder Palettmesser auf, was den Bildern bis heute eine beeindruckende Lebendigkeit gibt.
Auch der Blick ,vom Fenster‘ ist alles andere als ein Atelierbild, hier ging es darum, den Eindruck schnell und roh auf die Leinwand zu bringen. Man sieht eine winterliche Gartenlandschaft, anders als in Deutschland ist die nicht weiß, sondern grün und erdbraun. Von Münter gibt es aus derselben Zeit aber auch Bilder von verschneiten Stränden, so durchgehend warm war es also doch wieder nicht. Und als dann der Frühling kam, war es mit der gemeinsamen Häuslichkeit auch wieder schnell vorbei. Kandinsky hatte panische Angst vor Schlangen und als diese aus dem Winterschlaf erwachten und wieder durch den Garten krochen, mussten beide die Flucht ergreifen.“
Wassily Kandinsky: Rapallo – vom Fenster
1906
Lenbachhaus
Achim Hochdörfer, Direktor des Museums Brandhorst:
„Auf den ersten Blick sieht man auf den Bildern des Zyklus ‚Bacchanalia‘ nur rauchige, erdfarbene Schlieren. Wie immer bei Twombly aber geht es auch hier um ein Spiel mit Verweisen. Der Name des Zyklus zitiert ein für Twombly wichtiges Vorbild: den Barock-Maler Nicolas Poussain. Der lebte – wie Twombly – in Italien und nahm das klassizistische Erbe da als freie Gegenwelt zum absolutistisch-religiösen Frankreich wahr. In mehreren Bildern widmete er sich dem Thema der Bacchanalien: Das waren mehrtägige Fruchtbarkeitsfeste im März zu Ehren des Rauschgottes Bacchus. Überlieferungen zufolge ging es dabei wild und ausgelassen zu und Poussain malte auch tatsächlich Orgien.
Twombly bezieht sich nicht nur im Titel auf Poussain, in jedem seiner Bilder befindet sich auch eine kleine Reproduktion der barocken Gemälde. Twombly verlegt das Bacchanal jedoch in den Herbst, wozu auch die erdigen Farben passen. Worauf er sich genau bezieht, lässt er offen, aber der Untertitel ‚5 Days in October‘ verweist vage auf ein Ereignis.
Sexualität war in Twomblys Kunst immer ein wichtiges Thema und die Verbindung mit Rausch drückt sich hier auch in den neblig-rauchigen Schlieren aus. Das alles ist nun aber, wie bei Poussin und in den historischen Bacchanalien auch, an das Thema Zyklus und Jahreszeiten angedockt. Sexualität und Rausch, für uns heute beides sehr private Angelegenheiten, treten hier in einer quasi öffentlichen Funktion zutage: als das, was dem immerwährenden Werden zugrunde liegt. Ewig ist in diesem Sinne der Wandel.“
Cy Twombly: Bacchanalia – Fall (5 Days in October)
1977
Museum Brandhorst
Auch interessant: Von Cy Twombly gibt es im Museum Brandhorst noch viel mehr zu sehen. Sein Lepanto-Zyklus ist eine monumentale Studie über Leben, Geschichte und Licht. Die Bilder hängen in einem Raum, dessen Lichtverhältnisse genau für den Zyklus gestaltet wurden.
Mirjam Neumeister, Oberkonservatorin:
„Jan Brueghel der Ältere widmete sich dem seinerzeit sehr populären Thema der Jahreszeiten. Das Bild des Winters fällt aus dem Zyklus heraus, was sehr interessant ist, denn es ist die einzige der vier Darstellungen, die in einen Innenraum blickt. Man sieht ein etwas verwirrendes Ambiente: eine Art Wohnzimmer, das jedoch auf einer Seite offen ist und den Blick auf eine städtische Winterszene öffnet. Im Hintergrund sieht man Schlittschuhläufer auf Eis, schon damals war das ein Volksvergnügen, das in zahlreichen niederländischen Gemälden dargestellt ist. Im Zentrum der Komposition befindet sich jedoch der Innenraum. Damit wird gezeigt, dass sich das Leben im Winter ins Häusliche zurückzieht. Hier findet gerade eine Feier statt.
Heute assoziieren wir den Winter mit Kälte und Mangel, im Mittelalter und der frühen Neuzeit stand der Winter jedoch für gefüllte Speisekammern, für Ausruhen und Schlemmerei. Kurz: Er war die angenehme Zeit des Jahres. Das zeigt sich hier auch in den üppig dargebotenen Speisen. Man sieht typisches Wintergemüse wie Lauch und Sellerie, aber auch Fische, Schinken und sogar Waffeln, wie es sie heute noch gibt. Der Winter war die einzige Jahreszeit, in der Genuss erlaubt war. Dezent deutet Brueghel sogar noch weitere Ausschweifungen an, die Masken verweisen auf den Karneval, der ja ebenfalls im Winter stattfindet.
Aber Brueghel ist vor allem ein Mann der Moral. Er achtet den Willen zum Genuss, will diesem jedoch enge Grenzen setzen. Das Paar am Tisch, bestehend aus einem alten Mann und einer fast noch jugendlichen Frau, steht für Lust und Begierde. Was daraus droht, ist durch ein anderes Symbol angedeutet. Eines der Gemälde an der Wand stellt den mythologischen Helden Paris dar, der durch seine Lust – er wurde von Aphrodite durch die Liebe Helenas belohnt – bekanntlich den Trojanischen Krieg auslöste. Brueghel ermahnt also: Sinnlichkeit führt auf Abwege, Maßhalten lautet die Devise!“
Jan Brueghel d. Ä.: Der Winter
1616
Alte Pinakothek München
Auch interessant: Der Vater von Jan Brueghel, Pieter Bruegel, war für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens bekannt. In unserer Reihe „Münchner, die auf Bilder starren“ beschäftigt sich unser Autor vier Stunden lang mit dem Werk „Schlaraffenland“ in der Alten Pinakothek.