Bunt, traditionell, vielfältig – das sind die Münchner Stadtviertel. Unser Podcast „Auf eine Runde mit ...“ bietet ganz persönliche Einblicke durch die Linsen der Menschen, die hier leben und ihre Viertel am besten kennen. Diesmal: Der Designer Christian Hundertmark zeigt uns sein Westend.
Mit dem Einsetzen der Industrialisierung hat das Viertel früher vor allem Arbeiter*innen angezogen, schnell wurde das Westend „Glasscherbenviertel“ genannt. Heute leben hier 25 Nationen zusammen, was das Viertel so multikulturell macht und vor allem eine kulinarische Vielfalt mit sich bringt. Der gebürtige Münchner Christian Hundertmark ist einer von vielen, die hier nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten. Als Designer mit den Wurzeln in der Urban Art war er früher auf der ganzen Welt unterwegs – an diesem herbstlichen Nachmittag streift er mit unserer Autorin durchs Quartier.
Früher Glasscherbenviertel, heute ein bunter Mix aus Handwerk und modernen Einflüssen junger Menschen. Gleichzeitig klopft die Gentrifizierung an die Tür. Wie siehst du den status quo des Viertels?
Ich bin wahrscheinlich Teil der Gentrifizierung, weil meist ist es doch so, dass erst die Künstler kommen, dann die Designstudios und dann die Eltern. (lacht) Nein, Spaß beiseite: Man sagt bereits seit zehn Jahren, dass das Westend groß im Kommen ist, ich glaube allerdings, dass sich hier alles einpendeln wird – auch, weil es nicht so nah am Zentrum liegt wie beispielsweise das Glockenbachviertel.
Wenn du durch die Straßen läufst, was fällt dir dann besonders auf? Was magst du am Viertel?
Dass es so unmünchnerisch ist! Vor allem hier, wo wir das Studio haben, empfinde ich das Haus und die Umgebung als den wahrscheinlich multikulturellsten Ort in der ganzen Stadt: Unser Loft ist am Heimeranplatz in einem alten, denkmalgeschützten Fabrikgebäude. Es sollte mal abgerissen werden, weil es etwas runtergekommen ist, was aber für uns als Designer, Künstler und Architekten kein Problem ist. Im selben Haus befindet sich übrigens auch eine Moschee, weshalb sich auch mal der Innenhof mit 200 Muslimen füllt – sehr spannend! Außerdem gibt es verschiedene Tanzstudios, da hört man Techno, Salsa oder auch mal eine Schreitherapie. (lacht)
Kommen wir mal zu deiner Arbeit. Du machst so viele verschiedene Dinge, die alle einen kreativen Kern haben.
Ich habe Kommunikationsdesign studiert und arbeite seit 20 Jahren selbstständig. Mittlerweile verdiene ich als Designer mein Geld, habe aber einen Hintergrund, der sich aus Graffiti und Urban Art zusammensetzt. Deshalb hat mich die Kunst nie losgelassen. In den letzten Jahren kam sie deshalb wieder mehr zurück in mein Leben und ich mache einen Spagat zwischen Design und Kunst, weshalb ich wirklich schöne Projekte machen darf wie Bücher, Magazine und Poster. Außerdem kommen immer wieder Ausstellungen dazu.
Ziehst du deine Inspiration auch aus der Stadt, beispielsweise bei Spaziergängen, oder kommt die ganz woanders her?
Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, findet man überall Inspiration. Wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, kommen mir schnell größere Ideen, egal ob im Wald oder bei einer Runde um den Block. Aber ich bekomme sie natürlich auch von anderen Designern und allen, die hier mit im Büro sitzen.
Wir brechen gleich zu unserem Streifzug durchs Westend auf. Was sind denn die ersten Spots und warum hast du sie ausgesucht?
Der Erste steht lustigerweise direkt neben dir! Christian deutet auf einen großen, wunderschönen Blumenstrauß auf seinem Schreibtisch. Wir starten bei einem kleinen Blumenladen direkt ums Eck, wo ich öfter einkaufe. Außerdem ist das Westend mittlerweile kulinarisch sehr weit vorne mit dabei...
Eine gute Stunde später stehen wir vor einem Waschsalon und entscheiden spontan, hier unsere zweite Aufnahme zu machen.
Hier riecht es nach frischer Wäsche! Ein wunderschöner Waschsalon ...
... in dem ich noch nie war, obwohl ich seit sieben Jahren im Viertel wohne!
Lass uns mal die Runde zusammenfassen, die wir gerade gedreht haben!
Noch vor dem Blumenladen Las Flores ist uns direkt die kleine Kneipe „Bei Gisi“ aufgefallen. Ich war zwar noch nie drin, das muss aber ganz bald nachgeholt werden! Eine richtige Boazn, wo sogar noch eine Goaßnmaß (ein Mischgetränk aus Bier, Cola und Kirschlikör) ausgeschenkt wird. Dann sind wir am Opson vorbeigekommen, ein richtig schöner, moderner Grieche, und nicht weit entfernt ein ganz anderer Tipp: die Pâtisserie Amandine, wo es kleine Tartes, Croissants und auch selbst gebackenes Brot gibt. Und dann kam der „König vom Westend“, ein klassischer Dönerladen!
Würdest du seinen Namen denn unterstreichen?
Ja, auf jeden Fall, auch wenn es noch zwei weitere gute im Viertel gibt. In der Nähe des Cafés Lohner & Grobitsch kann man auch Kunst gucken, da steht nämlich die endlose Treppe, die man nicht betreten kann. In der Gollierstraße sind wir noch an einem alten Comicladen, Comics N' more, vorbeigekommen und jetzt sitzen wir hier in diesem Waschsalon in der Parkstraße.
Mir ist beim Spaziergang aufgefallen, dass das Westend eine spannende Ästhetik hat mit verschiedenen Einflüssen, die man in der Architektur sieht. Und auch die Menschen sind ganz unterschiedlich. Oder?
Ja, es ist einfach total bunt gemischt. Das Viertel wirkt nicht geleckt, auch wenn man mal auf Businessleute trifft. So ein paar Unikate sieht man auch öfter auf der Straße.
Lass uns eine schnelle Frage-Antwort-Runde spielen! Antworte einfach aus dem Bauch heraus. Biergarten oder Bar?
Bar. Weil ich fast nie Bier trinke. Auch wenn ich Biergärten an sich schön finde.
Kleinkunstbühne oder Oper?
Auf jeden Fall Kleinkunstbühne. Oper ist schon auch mal gut, um den Eindruck zu erwecken, besonders kultiviert zu sein, aber so ein richtiger Fan bin ich nicht. Ich mag aber die Plakate der Oper sehr, die mein Kollege Mirko macht!
BMX oder Skateboard?
BMX, weil ich damit groß geworden bin. Zwar auch mit Skateboard, aber BMX war zuerst da.
Gibt es eigentlich hier in der Nähe Orte, an denen man eins von beiden fahren kann?
Endlos viele! An der Theresienwiese gibt es einen Skateplatz, am Heimeranplatz auch und am Hirschgarten. Und am Feierwerk auch! Also im Radius von zwei Kilometern findet man recht viel. Da hätte ich mir früher die Finger nach geleckt, aber jetzt bin ich dort wegen meiner Tochter.
Butterbrezn oder Leberkassemmel?
Mittlerweile Butterbrezn, weil ich sehr wenig Fleisch esse. Aber neulich hatte ich eine sehr leckere Leberkassemmel!
Das Westend in drei Worten?
Schmutzig. Charmant. Und ein kleines bisschen hip.
Das ist eine sehr schöne Kombination!
Ja, oder? Und man kann auch beliebig tauschen und sagen: Hip, schmutzig und ein kleines bisschen charmant! Oh, das ist der Claim fürs Westend! Drei Zutaten, aus denen es besteht und was das Viertel so einzigartig macht.
Zum Abschluss, Christian: Gibt es denn bald eine Ausstellung oder etwas anderes Erlebbares von dir, was wir empfehlen können?
Ja! Allerdings nicht in München. Ich arbeite mit einem Freund unter dem Namen „Layer Cake“ zusammen. Bis Ende des Jahres läuft unsere Ausstellung im Urban Nation in Berlin, wo wir mehrere Künstler aus der ganzen Welt zusammengebracht haben. Derzeit sind wir damit beschäftigt, die Ausstellung nach L.A. oder alternativ nach Tokio zu bringen – und beides sieht gut aus.
Cool! Vielen Dank dir!
Auch interessant: Die Illustratorin Lea Reusse hat das Westend nochmal ganz anders entdeckt: Mit ihren vom Kulturreferat geförderten „Westend Stories“ entdeckt sie das Viertel in illustrierten Geschichten über besondere Orte und Menschen.