Für die Reihe „Ich war noch niemals …“ besuchen unsere Autorinnen und Autoren Orte in München, an denen sie noch nie waren – und das, obwohl sie seit Jahren oder sogar schon immer in der Stadt leben. Diesmal besucht Anika Landsteiner zum ersten Mal das Valentin-Karlstadt-Musäum.
„Klar kenne ich Karl Valentin“, sage ich selbstbewusst. „Der Komiker, oder?“, schiebe ich hinterher. Denn ich weiß kaum etwas über das Werk und Leben des Münchner Urgesteins. Auch, weil ich noch nie im Valentin-Karlstadt-Musäum war, das ihm und seiner Partnerin Liesl Karlstadt gewidmet ist. 1959 wurde es eröffnet, damals noch mit dem alleinigen Fokus auf ihn. 2001 kam das Karlstadt-Kabinett im zweiten Stock hinzu.
Ich betrete den winzigen Eingangsbereich und steige die schmale Treppe in den ersten Stock hinauf. Das Museum, das sich in den steinernen Türmen des Isartors befindet, fühlt sich an wie aus der Zeit gefallen. Auf eine charmante, kuriose Art und Weise, die mir gefällt.
Die Dauerausstellung im ersten Stock ist Valentins Leben und Arbeit gewidmet. Sofort verliere ich den Überblick in diesem liebevoll arrangierten Sammelsurium an persönlichen Gegenständen, Bühnenrequisiten und absurden Objekten. Darunter auch mein Favorit: Der Winterzahnstocher, der mit Fellimitat überzogen ist. Eine andere Besucherin fragt laut: „Wo geht's denn hier los?“ Da muss ich grinsen, weil diese latente Orientierungslosigkeit zu Valentins Persönlichkeit passt: Wer so viel ausprobierte und beherrschte wie er – Schauspiel, Komik, Filme, Wortakrobatik und vieles mehr – war sicherlich auch mal überfordert.
„Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“
Aus den privaten Überlieferungen erfahre ich, dass Valentin privilegiert aufgewachsen ist, jedoch nicht ohne Trauma: Seine Schwester und die beiden Brüder starben im Kindesalter, er überlebte als einziger. Fortan projizierte die Mutter ihre Verlustängste auf ihn und aus dem hageren Kerl wurde ein nervöser Hypochonder und Kontrollfreak, der nicht selten in diversen Arztpraxen saß mit der Frage: „Meinen'S, daß man das leicht kriegt?“ Wenn Valentin die Angst in Worte packte, ließ er den für ihn typischen Witz mitschwingen. Apropos Witz! Eine Umdrehung weiter bringt mich das Ausstellungsstück „Geschmolzene Schneeplastik“ zum Lachen: eine Schale Wasser.
Nochmal herumgedreht, wartet der „liegende Stehkragen“ – ein weißer, wahrscheinlich gestärkter Kragen, der, nunja, liegt. Wenn man möchte, kann man sich in diesem Türmchen also beliebig oft im Kreis drehen und kommt an einer überraschenden Stelle heraus. Vielleicht liegt es an diesem kindlichen, schnörkellosen Kern von Valentins Humor, dass er bis heute als Universalgenie bezeichnet wird und Künstler wie Bertolt Brecht, Loriot und den irischen Schriftsteller Samuel Beckett beeinflusste.
Mit der Komikerin Liesl Karlstadt gelang dem Stückeschreiber der Durchbruch als Paar auf der Bühne. Ihre Sketche und späteren Kurzfilme sind skurril, sie zeugen von Slapstick, nicht zuletzt aufgrund von Valentins langen, dürren Körper, mit dem er gekonnt spielte. In den Genuss dieser chaotischen Verwirrspiele kommt man übrigens im eingerichteten Mini-Kino, das eine Auswahl an Filmen in voller Länge zeigt. Bevor ich mich selbst setze, beobachte ich eine Weile amüsiert die Museumsgäste, die da sitzen und über das Duo schmunzeln.
Ein Schlüsselelement der Sketche ist die Vieldeutigkeit von Sprache. Valentin inszenierte sich nicht selten als sturer Mann, der sich in eine Sache hineinsteigerte, Karlstadt übernahm den rationalen Part, der ihn beruhigte. Privat scheint das ähnlich gewesen zu sein: Die beiden wurden ein Liebespaar, obwohl Valentin verheirateter Familienvater war. Ein Umstand, der Karlstadt sehr belastete, eben auch, weil sie dem Nervenbündel und Grantler Valentin unentwegt den Rücken stärkte.
Im Oktober 1934 eröffnete der Komiker sein Panoptikum, eine Mischung aus Wachsfiguren-Kuriositäten und Gruselkabinett. Weil die Realisierung Unsummen verschlang, nahm Liesl Karlstadt einen privaten Kredit auf, um ihn zu unterstützen. Doch die Gäste reagierten geschockt und konnten wenig mit den Ausstellungsstücken anfangen, weshalb der Erfolg ausblieb. Karlstadt ging es ähnlich. Nachdem sich das Panoptikum zudem als finanzielles Desaster entpuppte und schließen musste, fiel sie in eine tiefe Krise und versuchte, sich das Leben zu nehmen.
„Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
Valentins Arbeit geriet während des Zweiten Weltkriegs mehr und mehr in Vergessenheit. Eine traurige Entwicklung, die gleichzeitig einen wichtigen Einblick ins Zeitgeschehen aus kultureller Sicht liefert. Weil Museen und Einrichtungen schließen mussten oder vernichtet wurden, blieben Auftritte aus. 1941 war er gezwungen, nach Planegg zu ziehen, da seine Münchner Wohnung zerstört wurde. Valentin litt so sehr unter der Umsiedlung, dass er 1945 verzweifelt an den Münchner Bürgermeister schrieb – mit der Bitte um ein neues Apartment in der Stadt. Der im Museum ausgestellte Brief endet mit der tragikomischen Zeile: „Ich bin nun 63 Jahre alt, aber ich bin noch so rüstig, als wäre ich erst 62.“
Nach diesem detaillierten Einblick in Valentins Leben mache ich noch einen Abstecher zu Karlstadts Ausstellungsräume, weil mich interessiert, wie es nach ihrer Krise weiterging. Nach einer zweijährigen Auszeit und dem Tod Valentins im Jahr 1948 hatte sie Auftritte an renommierten Theatern wie den Münchner Kammerspielen und dem Residenztheater. Sie drehte sogar den ersten Werbespot fürs deutsche Fernsehen, und zwar für Persil, der 1956 ausgestrahlt wurde. „Die richtige Lisl Karlstadt bist du nur an meiner Seite“ schrieb Valentin ihr einmal in einem Brief – eine Übergriffigkeit, die mich sprachlos macht. Karlstadts Erfolge zeigen vielmehr, dass sie auch ohne ihn Karriere machen konnte, ja vielleicht sogar freier war als mit ihm.
„Ich bin kein direkter Rüpel, aber die Brennnessel unter den Liebesblumen.“
Ganz oben im Südturm angekommen, befindet sich ein kleines Traditionscafé. Allerhand skurrile Deko-Elemente verbinden Valentins Hang zum Grotesken mit der Gemütlichkeit der Stube. Das Café öffnet ganz nach seinem Humor um 11:01 am Vormittag, dann gibt es Weißwürste, Kuchen und Kaffee. Ich bestelle eine heiße Schokolade mit Sahne und beobachte die kleine Federmaus-Attrappe oberhalb der Eingangstür, die sich bewegt, sobald sich die Tür öffnet. Jedes Mal erschrecke ich mich dabei. Das hätte ihm gut gefallen.