Wir haben vier Frauen besucht, die das heutige Westend prägen – zwei Künstlerinnen und zwei Gastronominnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch eint sie die Verbundenheit mit dem Westend, einem spannenden Viertel zum Arbeiten und Leben.
Wer vom Münchner Westend spricht, meint meist nur das kleine Dreieck Schwanthalerhöhe zwischen Hackerbrücke, Donnersbergerbrücke und Theresienwiese. Das Viertel entstand Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Bahnlinien und der damit verbundenen Industrialisierung. Aufgrund der guten Anbindung siedelten sich viele Händler und Handerwerksbetriebe an. Und auch 125 Jahre später lassen sich davon noch Spuren erkennen: Fast die Hälfte des Wohnungsbestands stammt aus der Zeit vor 1919 – in den Hinterhöfen finden sich kleine Handwerksbetriebe, oft zu erkennen an den alten Schornsteinen.
Wer sich historische Fotos vom Westend anschaut, dem fällt auf: Die Frauen haben in diesem Viertel immer eine wichtige Rolle gespielt. Und dann ist da noch die größte Frau, die über dem Viertel thront: die Bavaria.
Natürlich hat sich auch viel verändert: Statt an Kramerläden läuft man heute an schicken Designbüros, hippen Cafés und neueröffneten Restaurants vorbei. Statt Kolonialwaren gibt es Second-Hand-Mode, Wohnaccessoires und Kunst. Wer sich historische Fotografien vom Westend anschaut, dem fällt auf: Die Frauen haben in diesem Viertel immer eine wichtige Rolle gespielt – ob in den Fabriken oder den Lebensmittelläden. Und dann ist da noch die größte Frau Münchens, die über dem Viertel thront: die Bavaria. Nicht nur Schutzpatronin Bayerns, sondern auch das Wahrzeichen des Westends.
Wir haben uns auf die Suche gemacht und im Viertel vier Frauen besucht, die das heutige Westend prägen. Die hier kreativ arbeiten, Räume schaffen und Menschen zusammenbringen. Darunter zwei Künstlerinnen und zwei Gastronominnen, die von ihrer Arbeit erzählen und uns mitnehmen in Nachbarschaft rund um's Westend!
Wer die Illustratorin Steffi Bauer in ihrem Atelier in der Kazmairstraße besucht, fühlt sich gleich willkommen. Das liegt nicht nur an den einladenden Räumlichkeiten, sondern vor allem an Bauers herzlicher und offener Art. Sofort möchte man sich dazusetzen und mitzeichnen – und tatsächlich ist das bei ihr auch möglich: Ein Mal im Monat finden hier Illustrations-Workshops statt. Es geht um's Blindmalen, Linksmalen, sich ausprobieren und so seinen eigenen Zeichenstil finden. Bauer sagt selbst über sich: „Ich kann gar nicht zeichnen, dafür fehlt mir die Geduld! Illustration finde ich viel spannender, weil es darum geht, das Unperfekte oder Außergewöhnliche zu finden und herauszuarbeiten.“
Bevor Steffi Bauer sich als Illustratorin und Textildesignerin selbstständig machte, arbeitete sie bei dem Münchner Modelabel A Kind Of Guise: „Dort konnte ich meine ersten Hemden designen – und habe den gesamten Prozess von der Stoffauswahl bis zum Verkauf mitverfolgt. Das hilft mir bis heute bei meiner Arbeit, auch bei meinem kleinen Webshop, in dem ich meine Bilder und Postkarten sowie Halstücher und Stofftaschen verkaufe.“ Zu Bauer's Kunden zählen lokale Marken, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, wie Naturkosmetik München und die Mikrofarm Gräfelfing. Dazu kommen internationale Brands wie HAY, Reform oder Fritz Hansen.
„Das Westend ist wahnsinnig entspannt. Und es ist viel grüner, als manche denken. Wir haben den Bavariapark und den Westpark um's Eck.“
„Momentan gibt es viel zu tun – da bin ich froh, dass unsere Wohnung nur ein paar Meter vom Ladenbüro entfernt ist“, erzählt sie. Steffi Bauer wohnt mit ihrer Familie schon seit Jahren im Westend und könnte sich momentan auch kein anderes Viertel vorstellen: „Das Westend ist wahnsinnig entspannt. Und es ist viel grüner, als manche denken. Wir haben den Bavariapark und den Westpark um's Eck. Den habe ich erst so richtig entdeckt, als wir hergezogen sind und jetzt liebe ich ihn.“
Immer wieder ploppen kleine Cafés und neue Läden auf, immer mehr Kreative ziehen ins Viertel und eröffnen Büros. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass es hier noch einfacher ist, etwas Bezahlbares zu finden. Steffi empfiehlt: „Ganz neu ist das Mira Café & Studio um die Ecke vom lieben Norbert, der arbeitet als Stylist und hat jetzt sein eigenes Café eröffnet. Außerdem trifft man mich oft im Stray Coffee Roasters, im bayerischen Wirtshaus Eder, im Café Colombo oder bei der Phaedra in ihrem Laden heißeliebe. Mein Tipp im Westend für Foodies ist außerdem Das Kulinariat, die haben unglaublich tolles Essen.“
Steffi Bauer Illustration, Kazmairstraße 46
Tolles Essen gibt's auch ein paar Straßen weiter im französischen Bistro Coup de Coeur von Mona John. Die Münchner Köchin hat während der Pandemie das Projekt „Kochen für Nachbarn“ gestartet: Jede Woche gibt es ein wechselndes Gericht, das man vorbestellen und abholen kann. Als John letztes Jahr dafür auf der Suche nach einer neuen Produktionsküche war, stolperte sie per Zufall über das kleine Restaurant in der Westendstraße – und eröffnete kurzerhand ihr eigenes Bistro. Anfangs war nur mittags geöffnet, mittlerweile können die Gäste auch vier Mal pro Woche abends essen.
Aber man muss rechtzeitig reservieren, denn das Coup de Coeur hat sich längst über die Viertelgrenzen hinaus herumgesprochen. Auch viele Franzosen essen gerne hier – ein riesen Kompliment für John, die in Paris und in der Bretagne gekocht hat: „Nach dem Abitur wollte ich unbedingt eine Kochlehre in Frankreich machen. Auch, weil es dort so tollen Fisch gibt, den bereite ich am liebsten zu. Für meinen Fisch habe ich eine französischen Lieferanten, der mir frische Ware vom Fischmarkt aus Frankreich holt.“ Diese Woche steht eine Dorade auf der Karte mit Pfifferlingen und Grenaille-Kartoffeln in einer Eigelb-Speck-Vanillesauce.
„Ich kannte das Westend vor der Eröffnung des Bistros kaum, aber es ist ein super sympathisches Viertel, weil es so bodenständig ist.“
Die Köchin erklärt: „Wir haben jeden Tag drei Gerichte auf der Karte – eines mit Fisch, eines mit Fleisch und ein vegetarisches – sowie zwei verschiedene Desserts. Jede Woche wird mindestens ein neues Gericht auf die Karte gesetzt, so gibt es immer etwas Neues und wir bleiben kreativ.“ Im Moment hat Mona John zum Glück jede Menge Unterstützung von ihrem Team, denn erst vor wenigen Monaten wurde sie Mama. Während wir das Interview führen und sie in der offenen Restaurantküche für uns kocht, schläft ihre kleine Tochter in einem Tragetuch an ihrer Brust.
Aufgewachsen ist John im Münchner Osten, momentan wohnt sie in Neuhausen, hätte aber nichts dagegen sofort ins Westend zu ziehen. „Ich kannte das Westend vor der Eröffnung des Bistros kaum, aber es ist ein super sympathisches Viertel, weil es so bodenständig ist. Am liebsten würde ich jeden Tag im Das Kulinariat essen gehen, kleine Pausen verbringe ich meist im Fika Ladencafé oder im Bavariapark“, erzählt sie, während sie uns das fantastische Dessert serviert – eine dunkle Schokoganache mit schwarzem Knoblauch, schwarzer Johannisbeere und Kakaoschalen.
Coup de Coeur, Westendstraße 29
Manche Menschen suchen lange, bis sie ihre Bestimmung gefunden haben – und andere wissen von Anfang an genau, was sie machen wollen. Eine von ihnen ist Maria Cepissakova, Keramikkünstlerin mit eigenem Atelier in der Gollierstraße im Westend. Nach dem Fachabitur zog die gebürtige Slowakin nach München und begann mit nur 19 Jahren als damals jüngste Studentin an der Akademie der Bildenden Künste: „Ich hatte vor dem Studium noch eine Ausbildung zur Keramikerin gemacht – mir war es wichtig, erst einmal das Handwerk zu verstehen, damit ich daraus dann Kunst machen kann.“
Cepissakova's Ladenatelier teilt sich zwei Bereiche auf: In einem ist ihre Angewandte Kunst ausgestellt, in aufwendiger Handarbeit entstehen Becher, Schalen und Vasen an der Drehscheibe – und es finden regelmäßig Workshops statt. In dem anderen Teil kann man ihre freie Kunst bewundern: Objekte und Skulpturen, darunter auch eine große Wandarbeit zum Thema Wasser, die zuletzt in der Galerie Handwerk ausgestellt war. „Meine Kunst ist mein Zuhause. Mir ist ganz egal, wo ich schöpfen darf – dort, wo der Keramikofen steht, fühle ich mich wohl.“ Gerade arbeitet die Künstlerin für eine Kundin auf Mallorca an einer großen Mosaik-Arbeit und ist dafür immer wieder auf der spanischen Baleareninsel.
„Das Westend ist mein Viertel, es hat eine ganz besondere Atmosphäre – sehr offen, freundlich, fast familiär. Das liegt sicherlich auch daran, dass alles so nah beieinander liegt.“
Maria Cepissakova wohnt nur fünf Minuten von ihrem Atelier entfernt, direkt beim Westpark. Im Westend schätzt sie vor allem den Zusammenhalt untereinander: Das Stray Coffee gegenüber schenkt in ihren Bechern aus, dafür holt sich Maria dort jeden Tag ihren Kaffee. Bei ihren Workshops gab es oft vietnamesisches Essen vom Nachbarlokal Ca Go, dafür stehen draußen im Sommer die Vasen von Maria auf den Tischen. Wenn ihrer Keramik-Kollegin Lisa Muck aus der Bergmannstraße mal das Material ausgeht, ruft sie bei Maria an – und anders herum. Es gibt viele Geschichten wie diese!
Drei weitere Adressen, die Maria Cepissakova allen, die das Westend besuchen, ans Herz legt: „Bei den Jungs von Goodbois findet man coole Hoodies und Shirts, das Restaurant Abant macht feine italienische und türkische Küche – Pizza aus dem Holzofen, aber auch vegetarische Gerichte aus der Türkei.“ Der Parke6 Store hat hochwertige, skandinavische Modelabels im Sortiment – hier stöbert die Künstlerin, wenn sie ein Outfit für ein besonderes Event braucht. „Das Westend ist mein Viertel, es hat eine ganz besondere Atmosphäre – sehr offen, freundlich, fast familiär. Das liegt sicherlich auch daran, dass alles so nah beieinander liegt.“
Atelier Maria Cepissakova, Gollierstraße 33
Familiär geht es auch im gemütlichen Schwanthaler ein paar Straßen weiter zu. Katharina Janas hatte genaue Vorstellungen von ihrem ersten eigenen Wirtshaus, als sie es 2018 eröffnete. Zuvor hatte die Gastronomin über ein Jahr nach der passenden Location gesucht. Eigentlich wollte sie nach Neuhausen, hier wohnt die gebürtige Münchnerin, hier hatte sie schon mal eine Kneipe. Doch dann fand sie die Räumlichkeiten in der Schwanthalerstraße: „Früher war hier eine Kneipe mit Fliesenboden, Plastiksofa und Spielautomaten. Ich hatte eine Vision von dem Laden, habe ihn selbst renoviert und heute ist alles genauso, wie ich es mir vorgestellt habe.“
Katharina Janas hat ihre Ausbildung im Hotel Bayerischer Hof gemacht. Ihr Ausbildungsleiter wollte auf keinen Fall, dass seine Schützlinge als „Biergartenbedienung enden“, aber Janas dachte sich, nichts lieber als das und arbeitete im weltbekannten Hofbräuhaus sowie im Tegernseer im Tal. Danach verschlug es sie erst einmal nach Rom für ein Philosophie-Studium, raus aus der Gastro, mal etwas ganz anderes. Das Studium hilft ihr bis heute, im Service kommt sie mit vielen Gästen ins Gespräch: „Eigentlich macht man den ganzen Tag Philosophie hier. Sokrates ist ja auch immer auf den Marktplatz gegangen und hat mit den Leuten geredet.“
„Das Westend ist wie ein Dorf. Wenn meine Freundin Monika vorbeischaut und sieht, dass ich viel zu tun habe, hilft sie schnell mal hinter dem Tresen aus.“
Das Schwanthaler ist ein Ort, an dem man gerne länger sitzen bleibt und philosophiert: Ein modernes Wirtshaus mit waldgrüner Holzvertäfelung, traditionellen Bauernstühlen und getrockneten Hopfen-Girlanden. Mittendrin hängt ein Gemälde vom Westend, das die Bavaria und die Theresienwiese zeigt – sogar das hat Janas selbst gemalt. Draußen wartet ein uriger Schanigarten, der im Sommer gut besucht ist. Sowieso ist in der Schwanthalerstraße immer etwas los, Janas nennt sie auch liebevoll die „verrückteste Straße Münchens“.
Die Renner in ihrem Wirtshaus sind das Münchner Schnitzel und das Böflamott, ein altes bayerisches Gericht, das nicht mehr viele Wirtshäuser auf der Karte haben. Mittlerweile hat Janas viele Stammgäste, einer sagt immer, er fühle sich wie bei seiner Mutter im Dorf-Wirtshaus. Ein Kompliment für die Wirtin. Auch dass ihre Gäste alle so angenehm und nett sind, viele kommen aus der Nachbarschaft: „Das Westend ist wie ein Dorf. Wenn meine Freundin Monika aus der Fayn's Backeck vorbeischaut und sieht, dass ich viel zu tun habe, hilft sie schnell mal hinter dem Tresen aus.“
Schwanthaler Wirtshaus, Schwanthalerstraße 135