Drei Männer von den Münchner Schwuplattlern mit Lederhosen, Tracht und Hüten lehnen an einem Schaufenster mit Glitzervorhang.

Viertelspaziergang Glockenbachviertel: Schwuhplattler

„In der Tracht steckt unsere Identität“

Eng sitzende Lederhosen, liebevolle Zierstickerei und Männer, die im Kreis tanzen: Nirgends geht es konservativer zu als in bayerischen Trachtenvereinen. Ein Spaziergang durchs Glockenbachviertel mit den „Schwuhplattlern“, die Schwulsein und Brauchtum seit Jahrzehnten miteinander verbinden.

Vor St. Willibrord warten zwei Männer. Der jüngere der beiden trägt Tracht und einen perfekt gezwirbelten Schnurrbart, auch der ältere hat eine Tracht dabei, allerdings noch eingepackt in seinem Jutebeutel. Darauf steht: „Bayern – traditionell anders“. Es wäre der perfekte Leitspruch für die „Schwuhplattler“, bei denen die beiden Mitglied sind. Denn der Münchner Verein verbindet das Schwulsein und das bayerische Brauchtum, genauer, das Schuhplatteln. Ein jahrhundertealter bayerischer Tanz, der seinen vermeintlichen Ursprung in der Nachahmung des Balztanzes des Auerhahns hat und bis heute von vielen Heimat- und Trachtenvereinen in Oberbayern, Tirol und Salzburg getanzt wird – und eben auch im Münchner Glockenbachviertel.

Der Münchner Verein verbindet das Schwulsein und das bayerische Brauchtum, genauer, das Schuhplatteln.

Der mit dem fabelhaften Schnurrbart heißt Christoph Häckner und ist mit 27 Jahren das jüngste Mitglied der Schwuhplattler. Christian Schumann, 44, ist der Probenleiter des Vereins, der 1997 von Sepp Stückl, 72, gegründet wurde. Und dieser Stückl ist es auch, auf den gerade alle warten. Denn er ist nicht nur der Gründer der Schwuhplattler, sondern auch der mit dem Schlüssel zum Döllinger-Saal in der aus rotem Ziegelstein gebauten altkatholischen Kirche, in dem normalerweise geprobt wird. Heute wird sich allerdings nur umgezogen, denn die Schwuhplattler aus drei Generationen wollen ihr Glockenbachviertel zeigen – natürlich in voller Lederhosenmontur. Denn Tradition und Tracht, Heimatverbundenheit und Homosexualität, das hat eigentlich schon immer zusammengepasst. Nur getraut hat es sich lange Zeit niemand.

Auch oder vor allem nicht die Kirche. Jetzt kommt Sepp Stückl, er sperrt die Tür zum Probenraum auf. Stückl ist gläubiger Katholik, aber das hat seiner Kirche damals nicht gereicht, das Schwulsein war angeblich Sünde und Krankheit. „Mei Geld wollten's scho', aber mi wollten's ned“, sagt Stückl und grinst schelmisch. Also ging er damals auf die Suche nach einer anderen Kirchengemeinde. Mit den evangelischen Christen versuchte er es, aber da fehlte ihm das „Bayerisch-Barocke“, wie er sagt. Als er bei einem evangelischen Gottesdienst dann auch noch aus Versehen und ein bisschen zu laut „Ich glaube an die heilige katholische Kirche“ betete, war klar: Das wird nichts. 

Tradition und Tracht, Heimatverbundenheit und Homosexualität, das hat eigentlich schon immer zusammengepasst. Nur getraut hat es sich lange Zeit niemand. 

In den Neunzigerjahren sitzt Stückl in einem Aids-Gottesdienst in eben jener altkatholischen Kirche, vor der sich die drei Schwuhplattler heute versammelt haben. Und was Stückl da hört, kann er fast nicht glauben. Da stehen eine Pfarrerin und ein Bischof, die sich beide von dem damals geläufigen Ausspruch, Aids sei eine Strafe, eine „Geißel Gottes“, distanzieren. Stückl blieb bei der altkatholischen Kirche, die sich nach dem Ersten Vatikanischen Konzil von der römischen Mutterkirche löste, weil sie nicht damit einverstanden war, dass der Papst als unfehlbar und als alleiniger Entscheider galt. „Der Name ist ein bisschen irreführend, weil alle meinen, die altkatholische Kirche ist konservativer als die katholische“, sagt Stückl. In der altkatholischen Kirche aber gibt es kein Zölibat, Frauen können Priesterinnen werden, homosexuelle Menschen dürfen heiraten, und die Schwuhplattler können hier proben. Das tun sie auch – seit mittlerweile 27 Jahren.

Christian Schumann, der Probenleiter, lenkt die Gruppe zu unserem ersten Ziel, dem Sub an der Müllerstraße – einem schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum inklusive Bar. „Zentren wie das Sub oder das lesbische Pendant LeZ sind einfach wichtig. Wenn man sich in seiner Outing-Phase befindet und vielleicht noch mit eigenen Barrieren zu kämpfen hat, sind das sichere Anlaufstellen“, sagt Schumann. Das Glockenbachviertel ist das queere In-Viertel Münchens und die Müllerstraße sein Zentrum. Die drei Schwuhplattler steuern als nächstes auf das Fesch zu, ein bayerisch-queeres Wirtshaus mit Stehausschank. Hier platteln die Schwuhplattler seit mehr als 20 Jahren zum Beginn der Wiesn. Gleich nebenan ist auch das diversity Café, ein Ort für queere Menschen bis 27 Jahre. „Der Christoph darf hier noch rein, Sepp und ich nicht mehr. Das Café ist erst nach uns gekommen“, sagt Schumann, als er daran vorbeigeht. „So jung ist man damals nicht schwul geworden“, sagt Sepp Stückl, der Älteste.

In der altkatholischen Kirche aber gibt es kein Zölibat, Frauen können Priesterinnen werden, homosexuelle Menschen dürfen heiraten, und die Schwuhplattler können hier proben. Das tun sie auch – seit mittlerweile 27 Jahren.

Die Gruppe steht jetzt vor den Glasfenstern des Sub und Stückl erzählt, wie er Mitte der Achtzigerjahre, „als für mich klar war, dass ich schwul bin“, seine ersten Ausflüge von seiner Heimat am Staffelsee nach München machte. Da lag das Sub noch nicht direkt an der Müllerstraße, sondern im Keller eines Rückgebäudes. „Das war richtig versteckt, das war Wahnsinn“, sagt er und schaut durch die Fenster des Sub, dessen Fassade heute ganz selbstverständlich in Regenbogenfahnen gekleidet ist. Stückl war auf solche Gruppen angewiesen, egal, wie versteckt sie waren, das Internet, das gab es damals noch nicht.

„Ich kenne die Welt nur mit Internet und ich kenne München auch nur schwul“, sagt Häckner, der Jüngste. Als er 2019 aus beruflichen Gründen nach München kam, war schon alles da: die Schwuhplattler, sein schwuler Onkel, seine queere Rugbymannschaft – die Munich Monks. Aber dass das alles auch heute noch schwierig sein kann, weiß auch Häckner. Er kommt aus einem fränkischen Dorf nahe Schweinfurt, „da gibt es eben keine 20 Schwulenkneipen“, sagt er. Aber Tracht, die gibt es da, gab's schon immer, in jeder Generation. Da sind sich alle drei einig.

Häckner holt jetzt sein Handy aus der Tasche und sucht nach einem Bild. „So bin ich groß geworden“, sagt er und zeigt das Bild auf seinem Handy – damals noch ohne Schnurrbart, aber in rot-weißer fränkischer Tracht. Die Tracht hat er immer noch, zieht sie auch immer noch an. Die Schwuhplattler haben im Gegensatz zu vielen Trachtenvereinen keine vorgeschriebene Tracht, hier soll sich jeder individuell zeigen können, weil die eigene Tracht, das ist auch das eigene Leben, die eigene Geschichte. An Häckners Trachtenweste kommt all das zusammen, was ihn ausmacht: der Pin seines heimatlichen Trachtenvereins „Die Semfelder“, eine Regenbogen-Schleife, sein „Dancing Queen“-Anstecker. „In der Tracht steckt unsere eigene Identität, jeder hat seinen eigenen Weg gefunden“, sagt Schumann, der Probenleiter.

Häckner kommt aus einem fränkischen Dorf nahe Schweinfurt, „da gibt es eben keine 20 Schwulenkneipen“, sagt er. Aber Tracht, die gibt es da, gab's schon immer, in jeder Generation. Da sind sich alle drei einig.

Schumann lebt seit 21 Jahren in Bayern, gebürtig ist er in Hessen, eine Heimattracht hat er keine, aber zu Hause hat er mittlerweile eine Tracht liegen, in deren Hosenträger seine Geschichte gestickt ist: Pflanzen, Bäume, Rosen. Seine Eltern hatten eine Baumschule, da half Schumann immer dabei, die Rosen zu veredeln. Und Sepp Stückl, der Älteste? Der hatte in seiner Kindheit sowieso jeden Tag eine Tracht an. Genauso wie seine Geschwister, Eltern und die Oma. Alle drei sind Fans der Tracht, halten daran fest, weil sie sich in ihr wohlfühlen, weil sie Teil ihrer Heimat, ihres Aufwachsens, ihrer Persönlichkeit ist – und weil es einfach gut aussieht. „In Tracht ist man halt immer ordentlich angezogen, gell“, sagt Christoph Häckner.

Gut angezogen geht es weiter durch das Glockenbachviertel, vorbei an der berühmten Deutschen Eiche, dem traditionsreichen und weltbekannten Hotel mit Restaurant, Dachterrasse und großer Männersauna, zum Gärtnerplatz. Häckner geht an dem Rondell vorbei, in dem nicht nur im Frühling die Blumen blühen, schaut auf das Staatstheater am Gärtnerplatz, mit seinen klassizistischen Fenstern, Säulen und Laternen, schmunzelt und sagt: „Die Opernwelt bebt.“ Im Gärtnerplatztheater spielen die Schwuhplattler gerade in dem Stück „Der Vogelhändler“ mit, wurden eigens dafür angefragt. „Das ist noch mal eine ganz andere Form des Ankommens“, sagt Schumann, der Probenleiter.

Die Schwuhplattler haben im Gegensatz zu vielen Trachtenvereinen keine vorgeschriebene Tracht, hier soll sich jeder individuell zeigen können, weil die eigene Tracht, das ist auch das eigene Leben, die eigene Geschichte.

Sepp Stückl gründete die Schwuhplattler damals, weil viele homosexuelle Menschen Ende der Neunzigerjahre in ihren Heimatvereinen nicht gern gesehen waren, da war die Angst vor dem Anderssein noch zu groß, das Wissen zu klein. Stückl wollte klarmachen: Auch Trachtler können schwul sein, und hier im Glockenbachviertel in München gibt es einen Platz für sie. Mehr als zwei Jahrzehnte später stehen die Schwuhplattler auf der Bühne eines Staatstheaters, treten zu bester Sendezeit im Komödienstadel des Bayerischen Rundfunks auf, auf Starkbier- und Maibaumfesten sowieso, werden für den CSD gebucht und für die Gay Sundays im Bräurosl-Zelt auf der Wiesn. Und die Männer, die damals Probleme mit ihren Heimatvereinen hatten, sitzen teilweise in deren Vorständen.

Rund um den Gärtnerplatz tummeln sich Bars, Designerläden, Galerien und schicke Restaurants, sie machen die Gegend zu einem der beliebtesten Ausgehviertel Münchens. An das „Scherbenviertel“, als das das Glockenbachviertel früher bekannt war, erinnert heute nicht mehr viel. Aber nicht weit entfernt vom Gärtnerplatz steht ein jahrhundertealtes Stück Vierteltradition weiterhin fest an ihrem Platz. Um dort hinzukommen, biegen die drei Schwuhplattler in die Klenzestraße ein, biegen noch einmal rechts ab und bleiben vor dem Wirtshaus Fraunhofer stehen, einem historischen Wirtshaus mit Kleinkunsttheater und dem alternativem Werkstattkino im Hinterhof.

Sepp Stückl gründete die Schwuhplattler damals, weil viele homosexuelle Menschen Ende der Neunzigerjahre in ihren Heimatvereinen nicht gern gesehen waren, da war die Angst vor dem Anderssein noch zu groß, das Wissen zu klein.

Noch hat es zu, also klopft Stückl an die Scheibe und ruft „Beppi, kannst du aufmachen?“ Josef „Beppi“ Bachmaier ist der langjährige Wirt des Fraunhofer und den Schwuhplattlern macht er selbstverständlich auf. So ganz wissen beide Parteien nicht mehr, wann sie sich kennengelernt haben. Beim Frühschoppen mit Volkstanz auf Einladung des Wirts? Bei einer Veranstaltung des Bezirksausschusses? Lange ist es auf jeden Fall her, über 20 Jahre sicher, da sind sich alle einig. „Das war noch ganz früh, da wart ihr noch gar nicht erlaubt“, sagt Wirt Bachmaier und schmunzelt. Auch die drei Schwuhplattler lachen. 

Vom trubeligen Herzen des Ausgehviertels möchten die Schwuhplattler noch einen Schlenker zum „Rosa Stangerl“ am Karl-Heinrich-Ulrichs-Platz machen. Der Maibaum liegt am idyllisch zugewachsenen Westermühlbach, der Name des Platzes erinnert an einen Vorkämpfer der Gleichberechtigung. Karl Heinrich Ulrichs setzte sich beim Deutschen Juristentag 1867 öffentlich für die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Beziehungen ein und trug wesentlich zur rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung Homosexueller bei. Von hier aus sind es auch nur ein paar Schritte zum Alten Südlichen Friedhof. Auf dem ehemaligen Pestfriedhof befinden sich viele Gräber berühmter Münchner Persönlichkeiten. Auch Ignaz von Döllinger wurde hier begraben, der Theologe, nach dem der Saal und der Probenraum der Schwuhplattler in der Kirche St. Willibrord benannt ist.

Die Schwuhplattler verkörper wie kein anderer Münchner Verein Offenheit, Toleranz und gute Laune.

Da fällt Sepp Stückl noch eine Geschichte ein. Als die eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt wurde, ließen sich Stückl und sein Mann trauen. Nach der kirchlichen Trauung gab es im Döllinger-Saal noch Kaffee, danach ging es in ein bayerisches Wirtshaus in der nahe gelegenen Thalkirchner Straße. Eingeladen war auch eine Arbeitskollegin von Stückl, eine, die im Trachtenverein ist, eine, die gerne tanzt. „Wie sie nach München reingefahren ist, hat sie noch zu ihrem Mo gesagt ‚Mensch, da kann ich heute viel tanzen, da sind viele Männer da. Wie's dann da war, hat's g'sagt: ‚Mei, jetzt tanzen die ja alle miteinander.‘“ Willkommen gefühlt haben dürfte sie sich trotzdem, schließlich verkörpern die Schwuhplattler wie kein anderer Münchner Verein Offenheit, Toleranz und gute Laune.

 

 

Text: Nansen & Piccard, Fotos: Frank Stolle
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